Eva Schuderer: „Keinen Komödienstadl inszenieren.“

Gentrifizierung? Es ist das gefühlte Unwort, der letzten Jahre! Der letzten Jahre? Entmietung ist tatsächlich schon länger ein Thema als vermutet. Gerhard Polt hat schon in den späten 70er Jahren mit „Amalienstraße“ ein Stück über die Entmietung verfasst und in 30 Rollen eingesprochen. Studenten, zunehmende Amerikanisierung und die Verdrängung der einsässigen Bewohner aus ihrem Viertel sind die Schlagworte. Doch was haben München 1976 und Berlin 2012 gemeinsam? Es herrscht Aufbruchstimmung, gekoppelt mit Unmut in den Vierteln „Maxvorstadt“ und „Neukölln“.

Die gebürtige Münchnerin und Wahlberlinerin Eva Schuderer wagte sich nach 36 Jahren wieder an Polts Ode um die Amalienstraße Nummer 79. Im Heimathafen Neukölln hat sie am Wochenende vom 01.-03.11.2012 in drei Abendvorstellungen das Frühwerk von Polt „Als wenn man ein Dachs wär in seinem Bau“ als Live-Hörspiel eingerichtet. In den Rollen befinden sich: Okin Cznupolowsky, Salome Dastmalchi, Theresa Hanich und Jakob Schreier.

Ein Gespräch über das immer noch aktuelle Thema der Entmietung und ein bayrisches Stück in Berlin.

Eva, wie kommt man als Münchner Kindl zum Heimathafen Neukölln und noch dazu mit einem urbayrischen Polt?

Seit drei Jahren lebe ich nun in Berlin, im Sommer bekam ich den Auftrag hier eine szenische Lesung im Theater einzurichten. Nachdem der Heimathafen als Volkstheater verstanden wird, schmiegt sich die Themengestaltung der Stücke möglichst nah an das heran, was sich hier im Viertel abspielt. Mir kam der Text von Polt in die Hände, der sich wesentlich um Entmietung dreht. Und gerade zu dieser Zeit wurde auch das Haus neben dem Theater entmietet.

Was sagt denn Herr Polt dazu, dass sie ihn hier in Berlin adaptiert haben?

Die Vermittlung lief zunächst über Jürgen Geers, der damals die Hörspielregie führte und den Hessischen Rundfunk. Es hieß dann Herr Polt würde sich melden. Ich war schon sehr aufgeregt, denn wann bekommt man schon eine E-Mail von Gerhard Polt? Nach langem Warten, klingelte das Telefon. Frau Polt, die ihrem Mann verblüffend ähnlich klingt, war am Apparat: „Sie wollen den Dachs machen? Ach mei, dann machen sie’s halt.“ und damit war der Startschuss gegeben. Von Seitens Herrn Geers, bekamen wir positives Feedback für unser Vorhaben, das hat uns schon gefreut.

Wie setzt man die bayrische Textur in den Berliner Gefilden um?

Mir lag es vor allem daran, keinen Komödienstadel zu inszenieren. Die Färbung eines Polts muss man aber schon verstehen, deshalb kam es zur Münchner Besetzung mit Okin Cznupolowsky, Theresa Hanich und Jakob Schreier – Salome Dastmalchi als einzige Berlinerin im Gespann. Da für mich im Vorhinein fest stand, dass Musik eine wesentliche Rolle spielen sollte, haben wir in die Lesung außer Polts „Beton, Beton“ noch drei weitere Stücke von Okin integriert. Bei den Proben entstanden kleine Improvisationen von Okins Texten mit denen er die Lesung bricht.

Auf den gesellschaftlichen Dauerbrenner Gentrifizierung sensibel einzugehen, gerade in Stadtteilen wie Neukölln, ist wohl nicht die einfachste Aufgabe. Mit dem Dachs ist es gelungen.

Ja, es hat funktioniert. Vielleicht liegt es an diesem Bogen, der erst über Münchnen und die Historie gespannt wurde. Der Ansatz des Theaters ist zu kommentieren und darauf einzugehen was dieses Viertel ausmacht. Deshalb war es mir schon wichtig, sich mit diesen Entwicklungen auseinanderzusetzen, die mit der Gentrifizierung einhergehen. Man kann es einfach nicht ausblenden. Das spannende ist, wie verblüffend nahe die Probleme und Hintergründe von heute wie damals sind, selbst bei einem fast 40 Jahre altem Stück aus so unterschiedlichen Sphären. Es zeitgenössisch zu kommentieren, hätte für mich nicht diesem Reiz ausgemacht – wie den Weg über die historische München Ecke zu gehen.

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„Also einen auszuräuchern, als wenn man ein Dachs wär in seinem Bau, dem man versucht von allem, was einem am Leben hält zu trennen“, beklagte Herr Polt als Jennerwein in seinem Hörspiel. Dieses Schicksal, das ihn als Mieter der Amalienstraße selbst traf, wird im Original in allen 30 Rollen von ihm gesprochen. Hier könnt ihr reinhören.
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Eindrücke von „Als wenn man ein Dachs wär in seinem Bau“ im Heimathafen in Neuköln:

Fotos: Natalie Mayroth

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