Camilla Guttner: „Nicht an den neoliberalen Mainstream anpassen!“

Camilla_GuttnerFotos: Caroline von Eichhorn

Ich sehe Camilla Guttner zum ersten Mal nachts um zwei an der Eisbach-Welle, mit Lederjacke und Lippenstift. Wir gehen clubben. Auch wenn wir uns im Dunkeln begegnen, bemerke ich Camilla’s Vorliebe für Düsteres und Mystisches nicht, denn sie lacht und reißt laufend Witze. Doch als ich Camillas Bilder, Filme und Lieder kennenlerne, ist alles klar.

Camilla Guttner ist Malerin, Filmemacherin und Musikerin und wie sie sagt – Studentin auf Lebenszeit. Erst hat sie an der Akademie der Bildenden Künste München Malerei und an der LMU Kunstgeschichte studiert, jetzt studiert sie an der HFF München Spielfilm Regie.

Ein Interview über die Verknüpfung von Künsten.

Du filmst, malst und machst Musik. Kriegst du das alles wirklich unter einen Hut?

Im Grunde genommen ist es alles dasselbe. Es sind nur verschiedene Medien und Wege um etwas auszudrücken. Ich mache das blockweise. Meine Band THE LAST EXIT ist jetzt zwei Jahre stillgelegen, weil ich so sehr in der Filmhochschule involviert war. Jetzt komme ich ins Hauptstudium und habe mehr Luft – da lege ich wieder mit der Band los, und auch mit der Malerei.

Film und Musik ist ja flächendeckend populär. Aber brauchen wir Malerei im Jahr 2013?

Ja! Malerei will never die! Aber … stimmt: es geht zurück und ich sehe auch wenige Maler auf dem Markt mit denen ich mich identifizieren kann.

Welche wären das?

Ich mag es lieber wild und rau. Der Kunstbegriff hat sich total verwässert, da es den Marketingleuten gelungen ist, ihre kommerziell ausgerichteten Tätigkeiten als Kunst zu erklären. Es setzen sich zwar ab und zu auch Künstler durch, die sich um Wahrhaftigkeit und eigenen Ausdruck bemühen, aber es werden immer weniger, so zum Beispiel Arnulf Rainer, William Kentridge, Louise Bourgeois, Anselm Kiefer, Per Kierkeby, Georg Baselitz und Thomas Schütte. Früher hat der Inhalt die Form bestimmt, heute ist vieles beliebig und inhaltsleer, man bezieht sich oft nur auf die Form und Inhalt spielt keine Rolle mehr. Daher gibt es heutzutage in der Bildenden Kunst wenige Künstler die ich als Vorbilder nennen könnte. Ich werde mehr von den Alten Meistern beeinflusst, so etwa von den schwarzen Bildern von Francisco Goya und seinen Aquatintadrucke und Zeichnungen, von den Selbstporträts von Rembrandt, aber auch von Francis Bacon, von einigen der Werke des abstrakten Expressionisten Robert Motherwell und von Edvard Munch.

Inspiration hast du. Aber findest du für deine Einfälle immer den richtigen Kanal – Film, Malerei oder Musik?

Ja, die Medien sind grundverschieden. Beim Malen kommen die Ideen mehr aus dem Bauch heraus. Beim Film ist es eine ganze Geschichte, die mir einfällt. Bei Songs ist es eher so, dass mir ein kurzes Riff einfällt und dann baue ich darauf auf.

Hast du manchmal eine Grundidee, die du in allen drei Genres Film, Malerei und Musik umsetzt?

Nicht bewusst. Aber es gibt ja viele Leute, wie zum Beispiel Michael Haneke, die sagen: man macht im Grunde genommen sein Leben lang denselben Film. Ich habe das auch bei mir selbst bemerkt, dass meine Songs um die selben Themen kreisen, die mich immer wieder beschäftigen. Bei mir geht es viel um enttäuschte Hoffnungen, um das gegen den Strom schwimmen und den Kampf gegen die Anpassung. Auch existenziellen Themen interessieren mich sehr: Liebe, Tod, Einsamkeit. Im Moment beschäftigt mich, wie hart das Leben sein kann, der Existenzkampf des Einzelnen, die Niederlagen, die jeder erleiden muss. Aber auch die Sehnsucht nach dem richtigen Leben. Die Träume, die man hat, und wie flüchtig sie sind. Und dass man Widerstand leisten muss – wie im Leben, so in der Malerei, im Film in der Musik.

Was meinst du konkret mit Widerstand leisten?

Ich möchte mich nicht an den neoliberalen Mainstream anpassen, an das was die Gesellschaft vorgibt, sondern meinen eigenen Weg gehen. Michael Haneke etwa, dessen Filme ich sehr bewundere – er hat vor kurzem einen Workshop an der HFF gegeben – nennt sich selbst einen „Sturschädl“, da er immer seinen eigenen Weg gegangen ist. Nur so konnte er sich durchsetzen, auch wenn ihm zu Beginn einige Projekte deshalb geplatzt sind.

Als was siehst du dich selbst am meisten: Filmemacherin, Malerin oder Musikerin?

Ich fühle mich immer als das, was ich am meisten mache – derzeit ist das Film. Aber am liebsten mache ich mein Leben lang alles Mögliche.

Alles Mögliche machen – bist du nicht total zerstreut?

Tja … wenn ich mir die Uhr stellen würde und mir sage: jetzt mach ich Malerei, in zwei Stunden mach ich Film, und danach Bandmusik – dann würde das nicht funktionieren. Aber es sind meist automatisch lange Durststrecken zwischen den einzelnen Projekten. Bis ich etwa Fördergelder für ein Drehbuch erhalte, treffe ich mich mit meiner Band oder male. Wenn man in größeren Blöcken denkt, funktioniert das.

Wie kommst du zu neuen Einfällen?

Beim Film erzähl ich meist Dinge aus meinem Leben, die um mich herum geschehen. Insofern fällt es mir sehr leicht. Außerdem wird man an der HFF auch gut betreut. Beim Malen ist es schwieriger, da ich das alleine, ohne ein Team, mache. Ich habe mich oft vor der weißen Leinwand dabei erwischt, dass ich das ganze Atelier aufräume, obwohl ich das eigentlich hasse. Oder dass ich nach zwei Stunden sage: das ist zu anstrengend, ich geh jetzt in den Biergarten.

Was glaubst du: ist Kreativität angeboren oder kann man sie sich antrainieren?

Schwierige Frage. Ich denke, dass es ist schon eine gewisse Art zu Denken oder zu sein – vom Kopf her. Manche Leute lassen Ideen lieber zu, andere nicht so gerne. Ich glaube, dass es eine Art Charaktersache ist.

Du bist in vielen Institutionen in denen es um Kreativität geht. Hast du durch das Studieren deine Kreativität verbessert?

An der Kunstakademie gab es Auf und Abs. Es gab Sachen die haben eine blockiert und paralysiert. Und dann gab es Momente, die mir Power gegeben haben – etwa wenn ich weiß, dass Leute meine Sachen sehen und sie nicht im dunklen Kämmerlein verschwinden. Und hier in der Filmhochschule wird man von allen Seiten gut betreut und ist mit so vielen Menschen in Kontakt, dass das ganz gut funktioniert. Aber an der Kunstakademie war ich auch noch jünger.

Was möchtest du als nächstes Studieren?

Ich glaube beim Film belasse ich es. Ich glaube jetzt reicht es.

Das sagst du doch nur, weil du noch am Anfang deines Studium stehst.

Ja? Ne. Filmhochschule ist schon die Krönung, ich glaube danach würde mich nichts mehr so pushen. Naja, vielleicht Philosophie …

Studieren ist ja nicht billig. Wie hast du dich über 10 Jahre hinweg durchgeschlagen. Hast du keine finanziellen Probleme?

Die habe ich laufend. Aber die werde ich bei meinem Job haben, bis ich alt bin. Insofern kann ich mich jetzt schon daran gewöhnen. Um über die Runden zu kommen, habe ich zum Beispiel vier Jahre lang an der Rezeption einer Klinik gearbeitet, in 24-Stunden-Schichten.

An jeder Hochschule findet sich ja ein gewisser Menschenschlag. Wie passt du dich an?

Bei Kunstgeschichte kam es mir schon ein bisschen vor wie in einem Studiengang für höhere Töchterchen. Da haben sich schon die ein oder anderen Freundschaften gebildet, aber die sind nach dem Studium auch wieder verschwunden. An der Kunstakademie war ich 19 Jahre alt, alle anderen 37, das war schon mal eine Kluft. In der Kunstwelt gibt es auch viele affektierte Menschen. Da hab ich mich nicht ganz so wohl gefühlt. Ich habe mich auch nicht angepasst, aber ich wurde ruhiger und weniger offen anderen gegenüber. Jetzt, an der Filmhochschule, ticken sie wie ich. Ich fühle mich im wahrsten Sinne des Wortes im richtigen Film und pudelwohl – aber das liegt auch daran, dass ich jetzt älter bin.

Du bist in Institutionen, in denen viele ehrgeizige Menschen ein- und ausgehen. Ist die Konkurrenz nicht auf Dauer anstrengend?

An der Kunstakademie war der Konkurrenzdruck schon sehr hoch. Da gibt es schon viele Ellenbogenkämpfe. Mir wurde auch immer gesagt, dass es nur 0,01 Prozent überhaupt schaffen. Bei der Filmhochschule tritt man ja als Team auf. Da kommt das nicht so sehr zum Vorschein. Ich weiß aber noch nicht, wie es später in der Berufswelt ist. Aber es gibt ja auch gesunden Konkurrenzdruck, etwa im Atelier, wenn man sieht: verdammt, der hat schon wieder fünf Bilder gemacht und ich war faul. Da muss man sich sagen: ich will meine Sachen machen.

In den fünf Jahren Kunstakademie-Studium haben sich sicher einige Sachen angestaut – im Gegensatz zu deinen Filmen, die man alle auf einer Festplatte lagern kann. Wo sind deine Bilder?

Ich muss sagen es hat sich leider gar nicht so viel angestaut. Da ich zum einen immer sehr große Bilder gemalt habe, war ich schon drei Monate dran. Zum anderen war es schwierig in den Malraum zu kommen, weil immer jemand den Schlüssel vergessen hat. Es sind vielleicht so 24, 25 Stück. Die stehen alle bei mir im Atelier, in Plopp-Folie eingeschweißt.

Was hast du aus der Malerei mit ins Filmemachen genommen?

In meinem letzten Film „Anybody Out There“ habe ich gemerkt, wie ich die Bilder mit dem Kameramann gemeinsam komponiere. Es sind meist sehr statische Bilder. Und meine Bilder und Filme haben ein ähnliches Feeling – das Mystisch-Überhöhte kommt immer wieder durch.

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Camilla auf Flachware.de

Camilla’s Band The Last Exit

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Eindrücke aus dem Atelier:

Atelier_Camilla_Guttner
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There are 3 comments

  1. Mister M

    Herrlich, beim Lesen und Anschauen der Bilder war ich gespannt dabei. Sehr schön und interessant geschrieben. Kleine nette Details im Text und den Bildern erhöhen den Schmunzel-Faktor :)

  2. Karsten

    „Oder dass ich nach zwei Stunden sage: das ist zu anstrengend, ich geh jetzt in den Biergarten.“ – Sehr schoen zu sehen, dass immer mal wieder die Camilla durchkommt, die man so schaetzt und gern hat. :) Thumbs up! ;)

  3. FALSCH

    ständig bekommt man von allen möglichen Leuten erklärt man solle künstlerisch nicht in zu viele Richtungen driften und sich auf eine wesentliche Sache konzentrieren. Es ist schön zu sehen dass es Menschen gibt die dem Klischee ordentlich in den Hintern treten! Man muss doch einfach machen auf was man selber Lust hat. Dann entstehen auf jeden Fall neue Dinge die schön sein können: in Film, Kunst, Musik, Literatur und überall. Ein hoch auf die Vielfältigkeit des Schaffens! Endlich. Danke!

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