DJ Hell: „Nie einem typischen DJ-Klischee entsprechen!“

DJ Hell (c) Sophie WanningerFoto: Ann-Sophie Wanninger

Ruft man Helmut Joseph Geier (51) alias DJ Hell an, wird man kein Glück haben. Der DJ, Produzent und Inhaber von International Deejay Gigolos ruft immer nur zurück, heißt es. Dieser kleine Mythos rankt um Hell – geprüft habe ich diese Erzählung leider nicht – denn wir haben uns per Email im Münchner Bon Valeur verabredet. Dieses Lokal in der Innenstadt ist eine kleine Wohlfühlinsel. Mit wenigen, ausgewählten Gerichten und gutem Cappuccino. Weil ich zu früh da bin, bestelle ich schon Mal einen heißen Ingwer und rede kurz mit dem jungen Mann, der heute Schicht hat. „Der Hell ist öfter hier“, erzählt er mir, als ich ihn frage, ob es in Ordnung ist hier später Fotos zu machen. Nach langem Aufenthalt in Berlin und New York ist München jetzt wieder Hells Lebensmittelpunkt. Ganz weg war er nie, sagt er. Seit 17 Jahren hat er eine Zweitwohnung an der Theresienwiese, seit 35 Jahren legt er auf und macht seit 20 Jahren im Technogeschäft immer wieder international von sich reden. Hell öffnet die Tür zum Bon Valeur um 15.08 Uhr. Ich hatte schon ein bisschen Angst, dass er doch nicht mehr kommt. Er gibt seine Essensbestellung schon am Tresen auf. Das Gespräch beginnen wir mit Erinnerungen an die Dreharbeiten zu „Durch die Nacht mit DJ Hell und Bai Ling“ und mit zwei Tomate-Mozzarella-Panini.

Hell, wie war das, als dich bei Artes Format „Durch die Nacht mit“ die Schauspielerin Bai Ling dazu genötigt hat, im Restaurant mit einem Löffel so zu tun, als würdest du mit Boris Becker telefonieren?

Habe ich das? Ich habe es mir schon sehr lange nicht mehr angesehen. Sollte ich vielleicht Mal wieder tun. Mit dem ganzen Treffen war ich nicht ganz glücklich. Wir waren den ganzen Tag zusammen, obwohl wir uns, glaube ich, von Anfang an nicht richtig mochten. Obwohl ich einige Filme von ihr ganz gut fand, war schon beim ersten Eindruck alles verloren. Sie hat dann versucht, mich in der Limousine zu küssen und mich vor allem im Restaurant aus der Reserve zu locken. Das war mir total unangenehm, aber ich habe versucht die Form zu wahren und den Tag für uns Beide so erträglich wie möglich zu machen. Ich weiß noch ganz genau, wie unterkühlt der Abschied am P1 war: Autotür auf – und tschüss. Seit dem haben wir uns nie wieder gesehen. Meine Favoriten für „Durch die Nacht mit“ waren ja Grace Jones und David Bowie, aber die hat Arte leider nicht bekommen.

Die Art wie du dich auf einigen deiner Fotos inszenierst erinnert oft an David Bowie. Hat er dich beeinflusst?

Für die Inszenierungen, Fotoshootings, Coverkonzepte und Shows habe ich mich sicherlich auch von David Bowie inspirieren lassen. Aber auch von Andy Warhol und anderen prägenden Künstlern und Vordenkern. Alle Images waren sehr bewusst entwickelt und künstlerisch gehalten. Von Anfang an habe ich die Außendarstellung zusammen mit Grafikern, Modedesignern und Künstlern konzipiert. Das, was hier entstanden ist, war oft fremd im Umfeld von DJ-Magazinen und in der DJ-Welt. Dem typischen DJ-Klischee wollte ich nie entsprechen. Ich hatte immer schon ganz eigene Vorstellungen und die waren oft sehr anders als das, was schon etabliert war.

Hast du den im SZ Magazin erschienen Beitrag „Schlecht aufgelegt“ gelesen? Über die neuen melancholischen Pressefotos von DJs?

Ich habe ihn gelesen und mich fast ein bisschen gewundert. Die Autorin kenne und schätze ich sehr. Aber 2013 einen Artikel über eine neue DJ-Generation zu schreiben und dann Kollegen zu zeigen, die außer zwei, drei Ausnahmen, relativ unbeschriebene Blätter sind… Die Geschichte war wissenschaftlich fundiert, es sind Psychologen zu Wort gekommen, aber meiner Meinung nach ist diese Story trotzdem nicht in sich schlüssig. Vielleicht wollten diese Protagonisten in dem Moment besonders nachdenklich und intelligent wirken. Aber ich denke, man könnte das nochmal recherchieren und die gegenteilige Story aufbauen – zum Beispiel, dass die DJs der neuen Generation alles luftige, spaßige Zeitgenossen sind, die sich maßgeblich der Spaßkultur verschrieben haben.

Dich macht die Presse ja gerne zu einem „Glamour DJ“, zum Beispiel schreibt Dirk Peitz in der Zeit: „… sein eigentliches Habitat ist der exklusive Club, das ist sozusagen das mobile Versprechen, das er mitbringt, egal, wo er hinkommt und wie es dort wirklich aussieht: Hell liefert schöne Menschen, teure Getränke, schweißtreibende Ausschweifungen. Wo Hell ist, schaut es gut aus.“ Ist das wirklich immer so oder ist das auch ein heraufbeschworenes Image?


DJ Hell und Glamour. Es geht mir gar nicht um Glitzer und Glamour, sondern um eine künstlerische Aussage und eine Weiterentwicklung auf allen Ebenen. Die neue Generation hat oft ein Image von mir, das ich nicht so richtig nachvollziehen kann. Ich glaube da wird viel falsch interpretiert und verstanden. Als ich Anfang der Neunziger das erste Mal beim Auflegen Anzug und Krawatte getragen habe, war es ein Ding der Unmöglichkeit bei einer Technoparty so aufzutauchen. Das konnte man eigentlich nicht bringen. Das war eine massive Provokation und ein absolutes No-Go. Für die Szene in Berlin und München
.

Wie kamst du dazu, plötzlich einen Anzug zum Auflegen zu tragen?

Die Technouniform in den 90gern war ja Military, Carhartt- und Secondhand/Vintage. Wir waren alle so angezogen, auch ich. Das war ein klares Statement. In meiner Mod-Vergangenheit waren Anzüge relevant und wichtig. Da war bei mir schon der Ansatz da, aber nie genug Geld für einen ordentlichen Anzug. Anfang der Neunziger habe ich dann angefangen den englischen Mod-Style mit meiner Tätigkeit als Techno-DJ zu verbinden. Das war nicht so gerne gesehen und war auf alle Fälle nicht angebracht. Nach zehn Jahren kamen dann alle mit einem Anzug und daher ist das jetzt schon wieder völlig überholt. Das wichtigste Fashion-Statement war für mich die letzten Jahre das T-Shirt mit Jeans und die Wahl der passenden Sneakers. Ich finde eher schade, dass es die letzten Jahre fast nur noch ausschließlich um Marketing-Promotion und Präsentation in der House- und Technowelt geht. Die Musikauswahl oder künstlerisches Denken und Arbeiten ist schwer in den Hintergrund geraten. Es geht im Grunde immer in Richtung Optimierung und maximale Aufmerksamkeit und vor allem bunte Lichter, LED und Laser auf großen Bühnen. Die DJ-Kultur und Record Art ist ursprünglich in Clubs und Warehouses
entstanden und dahin sollte sie sich wieder zurück besinnen.


Aber einige Flaschen Champagner stehen doch nach wie vor auf deinem Technical Rider?

Ja aber aus dem Grund, dass ich kein Bier trinke und keine andere Alkoholika vertrage. Ich trinke generell so gut wie keinen Alkohol. Es war eine pragmatische Entscheidung Champagner in den Technical Rider aufzunehmen. Der Grund hierfür war, dass es früher keinen Champagner in den Technoclubs und auf Festivals gab. Der Champagner ist immer für meine Freunde und Freunde der Freunde. Mein favorisiertes Sommergetränk 2013 war aber die Rhabarber-Schorle.

Um auf Jeans mit T-Shirt zurückzukommen. Heute bist du aber schon chic angezogen, du hast kein T-Shirt, keine Jeans und keine Sneakers an.

Nein! Aber was ich heute trage, würde ich keines Falls als chic bezeichnen. Das ist Alltag. Wenn ich wirklich chic bin, also auf einer Gala eingeladen bin oder auf den Roten Teppich muss, dann sieht das anders aus.

Aber abgeravet siehst du nicht aus.

Nein das nicht. Ich mag aber schon gerne Sachen die alt aussehen. Ich habe schon viel in Warehouses in den USA eingekauft, dort kann man ja Kleidung nach Kilogewicht kaufen. Viele Grafiken für Projekte sind von Logos inspiriert, die ich auf alten T-Shirts dort gefunden habe. Auch das Gigolo-Logo. Aber das mit den T-Shirts als Message oder Vintage-Prints, das ist ja eigentlich auch schon länger in der Mitte angekommen.

Also wird es für dich wieder ein Mal Zeit DJ Hell neu zu erfinden?

Ja.

Wie gehst du an ein neues Konzept ran?

Das passiert ganz natürlich. Ich komme gerade aus Tokio von einem Festival, war vor Kurzem in Luxemburg auf einem Art&Body Festival, fliege nächste Woche nach Paris, um im Club von David Lynch aufzulegen. Auf meinen Reisen bekomme ich so viel Input und immer die neuesten Informationen und das Wichtigste ist, dass ich mich ein, zwei Mal im Jahr da rausnehme. Aus dem Touring und dem Auflegen und das Ganze für mich filtere. Ich versuche herauszufinden, was relevant oder ungewöhnlich war, was ein neuer Impuls für mich sein könnte. Techno ist für mich ein Lebensgefühl, eine Lebensphilosophie. Da gehört dazu, wie ich mich kleide, die Art wie ich kommuniziere, was für ein Auto ich fahre, wie ich wohne.

Wenn es um Konzepte für Künstler in meinem Label geht, dann sprechen wir, tauschen uns aus. Da hat ja jeder seine eigene Vorstellung, sogar eine sehr genaue. Darüber reden wir, hören viel Musik und überlegen wie wir dieses Lebensgefühl repräsentieren.

Geht es dir darum neue Trends zu entdecken und umzusetzen?

Keine Trends. Ich suche Impulse und neue Sichtweisen. Ein Trend ist etwas das kommt und geht, ein Impuls ist ein Aufbruch zu ganz etwas Neuem. Darauf warten alle: „To go where no men has gone before.“

Das passiert heute nicht mehr in so großen Schritten wie in den Achtziger Jahren. Zu der Zeit haben mir Freunde eine Kassette geschenkt, mit Musik, die sie in New York aus im Radio kopiert hatten. (Kiss fm – DJ Tony Humphries) Die Tapes waren mit „House-Musik“ markiert. Wir hatten uns alle erst Mal gefragt, was ist denn jetzt Haus Musik? Was soll das sein. Dabei hatte ich schon die entsprechenden US-Import-Platten und wusste nur noch nicht, dass man diese synchronisieren, das Tempo an den 1210ern (Plattenspieler von Technics) verändern und sie mixen konnte, also zwei Musikstücke gleichzeitig übereinanderlegen. Das war revolutionär! Ich bin da auch sofort eingestiegen, habe im Größenwahn genau das angefangen und über die Jahre hin verfeinert. Diese Musik hat ein völlig neues Lebensgefühl festgehalten, das war 1985/86. Verstanden habe ich es erst, als ich angefangen habe zu produzieren und recherchiert habe, wie das alles gemacht wird. Das waren nicht ausgesprochene Geheimnisse. Man musste die bestimmte Drum-Maschine von Roland (808-909) programmieren, ohne die waren das nicht die Art von Beats. Alles andere war nur eine schlechte Kopie. Wichtig war das Geheimnis und die Magie dahinter zu ergründen und dann eine eigene Version davon zu fertigen. Meine erste Platte hieß dann: My Definition of House Music auf R&S Records – das war 1992 auf dem damals wichtigsten Label für elektronische Musik.

Da hast du ja schon Mal mit einem großen Statement angefangen.

Ehrlich gesagt war das einer meiner größten Erfolge. Das ist er sogar immer noch. Nach zwanzig Jahren. Durch diese Veröffentlichung gab es für mich die ersten internationalen Bookings.

Du wusstest also schön früh, dass du dein Ding durchziehst?

Da musste ich mich nicht festlegen, das war für mich klar. Etwas aufgreifen und dann eins zu eins kopieren, das war nie meine Definition. Meine Aufgabenstellung, Techno und House-Musik aus dem Underground zu pushen. Nie war ich der Meinung, dass sie nur elitär ist, wenn sie von wenigen gehört wird. Ich wollte diese neuen Strömungen, die ich für so wichtig, kraftvoll und zukunftsweisend betrachtete, auch Menschen näher bringen, die nicht in Clubs gehen und diese Musik eigentlich nicht hören.

Damit hast du der Szene und vielen DJ Kollegen wohl vor den Kopf gestoßen. War nicht die Rede von Verrat?

Ehre wem Ehre gebührt.

Wie hast du es geschafft, dich immer wieder weiterzuentwickeln?

Ich interessiere mich für neue Musik, neue technische Errungenschaften und Möglichkeiten. Es muss immer weitergehen – Musik ist für mich ein Träger von Ideen.

DJ Hell legt am Samstag, den 05. Oktober bei Club Autonomica im Kong auf. Hier geht es zu der Veranstaltung auf Facebook. Mit einem Kommentar unter dieses Interview bis Freitag, den 04.10. 12 Uhr, könnt ihr 1×2 Gästelisteplätze gewinnen.

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DJ Hell´s Webseite.

DJ Hell auf Facebook.

Aktuelles Set auf Soundcloud:

 

There are 16 comments

  1. andrea

    äußerst sympathische selbstdarstellung – und ich bin eine dj hell-followerin schon seit seiner „villa in traunstein“ anfang der 90er jahre!!! möchte ihm im KONG nicht missen, daher…wäre toll, 2 karten zu gewinnen;-) DANKE!!!

  2. Matilda

    Rhabarber-Schorle war bereits 2012 mein favorisiertes Sommergetränk…hehehehehe :) Gleich und gleich gesellt sich ürgentwie gern. ;)

  3. KANZLER

    Den Meister des „Original Street Techno“ mal wieder auflegen zu sehen wäre super! Es gibt ja leider nur selten die Möglichkeit in München.

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