Mathias Modica: „Im Aufwachzimmer wusste ich, ich muss etwas anderes als Deep House machen.“

Munk_c_sdsuchtFoto: Natalie Mayroth

Man nennt ihn den Moroder des Underground – nicht nur wegen seines erweiterten Disko-Sounds, sondern auch, weil er italienische Wurzeln hat. Munk alias Mathias Modica  führt obendrein seit 15 Jahren das Musiklabel Gomma, das in Deutschland in puncto Elektronik zu den wichtigsten Playern gehört, also im wahrsten Sinne des Wortes „den Ton angibt“. Munks neues  ein neues Album herausgebracht: Chanson 3000. Es klingt natürlich elektronisch, sehr feierfreudig und kantig verspleent – und verbindet in den Songs vor allem zwei Elemente: glamourös-melodische Leichtfüßigkeit mit experimenteller Beat-Bastelei. Die Mädels werden sich freuen.

Obwohl Munk aus München kommt, ist er hier nicht mehr allzu häufig anzufinden.Während unseres Interviews sitzt er gerade in einem Café in Turin und bestellt sich zwischendrin auf Italienisch einen Kaffee, während ich meine Schorle am Münchner Küchentisch trinke.

Mathias, Dein Album Chanson 3000 ist seit ein paar Tagen draußen. Noch aufgeregt?

Natürlich, ich bin total aufgeregt! (lacht)

Dein letztes Album ist ein paar Jahre her. Wie hart war die Arbeit an deiner neuen Platte?

Nicht zu hart. Es ist ja bereits meine vierte Platte. Ich bin es gewöhnt. Das Produzieren macht mir Spaß.

Wieso hast du Chanson 3000 in Berlin aufgenommen?

Weil die zwei Sängerinnen, mit denen ich zusammen arbeite, in Berlin leben. Die hängen da in Neukölln rum, wo ich auch wohne. Da ist gerade eine ganze Musikszene gelandet. Das Interessante an den beiden Mädels ist: sie wollten nicht nach Berlin um Techno zu machen, wie 99 Prozent der anderen, die da abhängen und Vollbärte tragen. Deswegen war es ganz wunderbar, als wir uns getroffen haben, denn ich will auch nicht so `nen doofen Techno machen. Es hat sich gefügt. Ich habe die Musik gemacht, die beiden haben gesungen, jetzt sind wir ganz happy. 

Wenn nicht Techno – wart ihr drei euch einig, dass es Disko wird?

Nein, die zwei sind beide musikalisch sehr offen und haben einen breiten musikalischen Background. Lizzie Paige, Partyveranstalterin aus New York, war musikalisch breitgefächert unterwegs. Mona Lazette aus London hat viele Projekte gemacht, sie war zum Beispiel mit Kele von Bloc Party auf Tour. Den beiden und mir geht es darum, was Eigenes, nicht Kategorisierbares zu finden, was Originelles.

Hat den Anspruch, etwas nicht Kategorisierbares zu machen, nicht jeder Künstler, oder vielleicht sogar jeder Mensch?

Ehrlich gesagt: nein. Wenn ich mich umsehe, sehe ich zu 85 Prozent Menschen, die gleich aussehen (egal ob Hipster, Normalo oder Pensionisten), die die gleiche Musik mögen (Deep House & Radio Energy), das Gleiche auf Facebook liken (Katzen) und die gleichen Hobbies haben (Fussball & Formel 1).

Auf welche Originalitäten bist du auf Chanson 3000 stolz?

Ich mag, dass es total schwierig ist, die Musik einzuordnen. Es sind zwei, drei Songs mit Diskoelementen drin. Es ist aber kein reines Diskoalbum, es ist auch kein House-Album. Deep House ist ja so eine Modemusik momentan, die jeder 14-Jährige und jede 80-Jährige hört.

Was magst du nicht an Deep House?

Mein Erweckungserlebnis war beim Internisten. Ich hatte eine ambulante Operation, und es lief eine Deep House-CD im Aufwachzimmer. Ich dachte mir nur so: Hey Alter, da stimmt was nicht. Hier lassen sich 70-jährige Omis behandeln und es läuft Deep House? Der Arzt meinte so: Ne ne, das ist Absicht. Deep House stört niemanden, das gefällt jedem. Da wusste ich, ich muss unbedingt etwas anderes als Deep House machen. Daher bin ich stolz darauf, um deine Frage zu beantworten, dass diese Musik nicht einordnungsbar ist. Es ist weder Deep House, noch Disco, noch Elektropop im klassischen Sinne. Es ist etwas Eigenes.

Sind Genre-Einordnungen nicht sowieso längst überholt? Der britische Radio-DJ John Peel hat bereits gesagt, er weiß nicht, wo er welche elektronische Musik reinstecken soll. Wenn er es nicht weiß, wer dann?

Das stimmt theoretisch. Aber in Zeiten der Popmoderne und Retromanie ist alles auch eine Wiederholung dessen, was bereits stattgefunden hat. Gerade in der elektronischen Musikszene. Da gibt es etwa das große Technorevival, die gleiche Musik war ja vor 10 bis 20 Jahren schon da.

Hast du deswegen den Titel Chanson mit einer 3000 hintendran gewählt?

3000 ist ein Symbol für nach vorne gewandt. Ich bin gelangweilt von den Bezügen auf die Vergangenheit. 

Und wieso Chanson? Die findet man auf deinem Album ja nicht unbedingt, auch wenn sich vieles sehr melodisch und heiter anhört.

Chanson heißt ja nichts anderes als Lied auf Französisch – ich habe es als Gegenmodell zum sogenannten Track gewählt. Inzwischen ist es in der elektronischen Szene Mainstream geworden, Tracks zu produzieren – also Strukturen aus dem DJ-Kontext zu verwenden. Da ist erst der Beat, dann kommt der Gesang, dann pausiert der Bass. Alles bleibt auf einem Grundton. Das ist langweilig auf Dauer. Ich beziehe mich in Chanson 3000 auf die klassische Songstruktur außerhalb der elektronischen Szene. Daher heißt das Album so. 

So 3000ig hört sich das Album aber nicht immer an. Man findet viele Diskoelemente aus den Siebzigern, und Dance und Synthiepop aus den Achtzigern. Ist deine Platte nicht ein Zitat auf die Vergangenheit?

Das stimmt. Aber es gilt die alte Kunstregel: Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit. Neues entsteht immer aus der Kombination verschiedener Sachen. Das war bei Picasso so, der sich seine Nasen und Elemente von den alten Griechen geliehen hatte und durch Neukombination eine neue Avantgarde geschaffen hat. Oder bei Giorgio Moroder, der die Sechziger Jahre Songstrukturen und Soulmusic mit neuem Maschinensound kombiniert hat und damit damals die „Musik der Zukunft“ geschaffen hat.

Ist es ein Kompliment für dich, wenn man dich den Moroder des Underground nennt?

Ja. Ich meine, der Mann hat die Musikwelt verändert. Wenn jemand sagt, ich hätte ähnliches Potential, freut mich das natürlich. Aber er ist großspurig. Erst war er Innovator, später aber nur noch ein kommerzieller Pop-Produzent und Multi-Millionär. Ich bin kein Multi-Millionär und werde nie einer sein. 

Welches ist dein persönlicher Lieblingssong auf Chanson 3000?

Deceiver. Der ist herbstlich, und er hat einen komischen Beat. Erst dachte ich, dass der Beat gar nicht funktioniert. Die Struktur habe ich gemacht, als ich, glaube ich, betrunken war. Aber es ergänzt sich gut: die Harmonien, der vertrackte Beat, und der melancholische Gesang von Lizzie. 

Wer schreibt die Texte in deinen Songs?

Zum Teil ich und zum Teil die beiden Sängerinnen.

Hast du ihnen freie Hand gelassen?

Die haben gemacht, was sie wollen. Wenn zwei Mädchen ihren Willen durchsetzen, ziehe ich eh den Kürzeren. Manche Texte sind ironisch. Bei anderen ist es tiefgründiger. Meine sprachlichen Fähigkeiten im Englischen sind ehrlich gesagt auch eher begrenzt. Mir geht’s in erster Linie in der Musik. Daher kann es sein, dass es bei den Texten ein paar Schwachpunkte gibt.

Noch so ein Schwachpunkt: wieso feierst du keine Album-Release in München?

Es hat sich noch nicht ergeben. Das soll jetzt nicht anmaßend klingen, aber für eine Albumrelease ist es wichtig in den Hauptstädten zu sein: Paris, London, Amsterdam, Berlin. Jemand will aber vielleicht ein Konzert organisieren für zwei Gomma Bands und Munk als Live Band. 

Hast du keine Lust mehr auf München?

Doch, doch, total. Ich bin Lokalpatriot. Ich verteidige München. München wird in Deutschland unterschätzt. Es gibt so viele subkulturelle Ecken. Interessanterweise wird München im Ausland München ganz anders gesehen. Die Italiener stehen total drauf, die Franzosen auch. Die beobachten, was da passiert. Die Filmszene: Alle großartigen deutschen Filme aus den Siebzigern und Achtzigern kommen aus München.

Welchen Münchner Film magst du besonders gerne?

Alles von Fassbinder. Aber nicht nur Film – auch die Design-, und Musikszene. Jürgen Teller, und viele andere Fotografen alle in München studiert. Es ist ein riesengroßes subkulturelles Szenario. Gleichzeitig haben sich die Münchner selber an vieles zu sehr gewöhnt. Man surft in der Stadt. Wie geil ist das denn? (lacht) Amen. 

Hörst du deine Musik privat, beim Kochen oder Aufräumen?

Niemals. Da muss ich kotzen. Man muss es ja immer wieder anhören. Wenn man daran arbeitet, dann ist es fertig, muss es mastern lassen, muss die Zusammenstellung der Reihenfolge machen. Und beim Auflegen, da wollen die Leute natürlich auch meine Songs hören. Ey, da kann ich sie nicht noch zu Hause anhören. Ne, ne, ne.

 Was hörst du zu Hause?

Jazz oder klassische Musik. Ich mag Ligetti oder Stockhausen. Das hat auch mit meiner familiären Prägung zu tun. Mein Vater ist klassischer Musiker an der Hochschule für Musik in München. Ich habe auch Klavier studiert.

Mit welchem Komponisten würdest du gerne eine Platte aufnehmen (wenn er noch leben würde)?

Igor Strawinski. Mein absolutes Idol in Sachen Musik, Lifestyle und Klamotten.

Eine letzte Frage an den Elektroniker. Wie würdest du Musik machen, wenn der Strom ausfällt?

So, wie ich sie gelernt habe: Am Klavier, mit Drums oder Saxophon. Da braucht man keinen Strom. Und wenn es dunkel ist, ist es eh romantischer.

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Zur Webseite von Munk

Chanson 3000 auf Soundcloud

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