Kirsten Becken: „Es tut gut, sich zu verzetteln!“

Kirsten BeckenFoto: Jessica Barthel

Für gewöhnlich überlässt die warmherzige Fotografin Kirsten Becken (32) kreative Prozesse am liebsten dem Zufall. Dieser sorgte in der Vergangenheit bereits dafür, dass sie beispielsweise Jürgen Teller treffen oder Angelika Taschen porträtieren konnte.

Dass in Kürze ihr erstes Kind geboren wird, handhabt sie jedoch mit erstaunlicher Nüchternheit. Mit einer Breze in der Hand setzt sie sich in fragilen Strumpfhosen neben mich auf den schmutzigen Asphalt in die Frühlingssonne und erläutert kauend die Logik des längst feststehenden Rufnamens für das Kleine: Der Name soll so kurz wie möglich sein.

Meine Fragen zur Diskrepanz und wiederkehrenden Frauenrolle in ihrer künstlerischen Arbeit haben ihr glücklicherweise mehr Buchstaben entlockt.

Zum Einstieg möchte ich kurz auf deinen Werdegang zu sprechen kommen: du stammst aus dem Niederrhein und hast an der Folkwang in Essen studiert, die ja in grafischen Kreisen sehr renommiert ist. Identifizierst du dich mit dieser Universität?

Vor allem habe ich nach einer Ausbildungsmöglichkeit in meiner Nähe gesucht, und die Arbeitsweise dort fand ich super; die Chemie stimmte sofort. Damals hatte ich die Fotografie als Metier noch gar nicht richtig im Kopf, und teilweise waren mir die typischen Bilder von Garagentoren und Kaugummiautomaten zu sachlich. Ich habe immer gerne Situationen inszeniert, die meine Professoren zunächst gar nicht schätzten, und daher meist für mich selbst gearbeitet.

Was schnell auffällt, wenn man dein Portfolio betrachtet, ist die unglaubliche Bandbreite: von Modestrecken über Kinderportraits, Editorials bis hin zu Dokumentarfotografie. Ist es für dich, fachlich gesehen, schöner, eine Richtung exzellent zu beherrschen, oder eben mehrere Dinge gleichzeitig zu bewerkstelligen?

Um es gleich vorweg zu schicken: das Einzige, das ich nicht machen möchte, ist klassische Werbefotografie. Und damit meine ich die hart retuschierte, die auf gute Laune abzielt. – Oh, jetzt laufen mir wahrscheinlich alle Auftraggeber weg. (lacht) – Im Prinzip geht es mir bei meiner Arbeit darum, ein gesundes Gleichgewicht zu schaffen, und genau dafür brauche ich viele Baustellen gleichzeitig. So funktioniere ich. Da bin ich auch oft situativ veranlagt und überlege mir, was wo funktionieren kann. Hier im Studio geht es natürlich ebenso darum, etwas Kohle zu machen – da bin ich auch so stur, zu sagen: als Fotograf möchte ich mit dem, was ich mache, Geld verdienen. Das bedeutet, ich suche mir gezielt Privatpersonen und ebenso kommerzielle Auftraggeber, bin da aber auch sehr offen für Projekte, die nicht zwangsläufig cool sein müssen. Ich halte das für eine Form der Bescheidenheit oder auch Lockerheit, die ich habe, dass ich nicht in Kategorien denken muss. Mir tut es eher gut, wenn ich mich quasi verzetteln darf, weil die unterschiedlichen Baustellen sich immerzu gegenseitig befruchten.

In jedem halbwegs kreativen Metier ist meiner Meinung nach eine gesunde Reizüberflutung nötig, um inspirative Quellen für nächste Projekte zu finden. Hast du da ein Konzept?

Oft merke ich, dass das nicht alles unter einem Namen stattfinden kann. Daher habe ich für meine möglichst natürliche Hochzeitsfotografie „Lovebird“ ins Leben gerufen und meinen Vater das Logo entwerfen lassen. Ich halte es für wichtig, sich klar zu sortieren, und zu wissen, dass das eine mit dem anderen fachlich nichts zu tun haben muss.

Diese Flexibilität ist bewundernswert, dennoch beschäftigst du dich mit wiederkehrenden Themen, wie etwa der Frauenrolle. Ist die Frau als solche für dich ein Fokus, dem du dich mit diverser Thematik immer wieder näherst?

Frauen fotografiere ich lieber als Männer, weil es anfangs für mich unverfänglicher war. Und auch entspannter, selbst wenn Männer beim Fotografieren etwas lässiger wirken, falls sie nicht gar zu eitel sind. (lacht) – Bei Frauen freue ich mich besonders, ihre Schönheit zu unterstreichen. Natürlich versuche ich immer, das Beste aus ihnen herauszuholen und sie zu ermutigen, sich zu öffnen. Das ist auch der Grund, der die Bilder letztendlich zu „Wohlfühlmotiven“ macht.

Apropos Wohlfühlmotiv: um die Eule kommen wir nicht herum. Was hat dich bewegt, diese Schleiereule zu fotografieren und zu einem deiner wichtigsten Objekte werden zu lassen? Was die Symbolik betrifft, hatte ich ja bereits auf die „Eule der Minerva“ getippt…

Tatsächlich haben wir diese Eule namens „Rosalie“ für ein Kinder-Shooting bestellt; ich fand sie so wunder-wunderschön! Die Eule vor dem schwarzen Vorhang zu fotografieren war eine totale Impulshandlung und wurde von Katrin Weber über das Fotografie-Magazin „Der Greif“ in der jüngsten Guestroom-Reihe publiziert. Die Schleiereule hat mir gezeigt, dass ich auch mit mystischen oder märchenhaften Assoziationen gut arbeiten kann. Ich fühle mich am Meer, am See oder in einer Heidelandschaft wohl, und überall, wo ich Tiefe hineinlegen kann.

Wiederkehrend sind Motive, bei denen man als Betrachter das Gefühl hat, viele Ebenen zu erleben. Du scheinst eine Tiefe zu suggerieren, die niemals alles zeigen möchte, sondern Spielraum lässt für den Wunsch, mehr von der Geschichte des Fotos zu erfahren. Damit gewährst du den Modellen Schutz – trotzdem sind auch immer wieder Personen des öffentlichen Lebens im Spiel. Wie kam es dazu, dass du Helene Hegemann und Andrea Hanna Hünniger fotografieren konntest?

Generell gebe ich dem Zufall gerne Raum und verbinde Dinge miteinander, die nicht zwangsläufig zusammengehören, und genauso war es auch: Ich habe an einer bisher unveröffentlichten Frauen-Serie gearbeitet, und als ich gefragt wurde, ob es nicht passend wäre, das zu verbinden, habe ich keine Sekunde gezögert. Letztendlich verbaut man sich ja immer viel, wenn man nicht so offen wie möglich ist.

War der starke Text von Hanna etwas, das du kontextuell mit deiner Arbeit verbinden würdest?

Hannas Text passt sehr gut zu einer Idee, an der ich schon eine Weile innerhalb einer unveröffentlichten Bildserie arbeite. Die beiden kannten meine Pläne, insofern war es es eine Vorveröffentlichung meiner Arbeit, die bislang nirgends gezeigt wurde.

Du hast hier in München bislang viel in freundschaflichen Zirkeln gearbeitet, um Kera Till oder Katrin Weber als Beispiele zu nennen. Siehst du es als Chance, dass die künstlerische Szene exquisit funktioniert und sich alle recht schnell kennenzulernen in der Lage sind?

Letztendlich interessieren mich vor allem Frauen, die schaffen. Vor allem kreativ schaffen. Frauen, die etwas reißen! Die sind meistens laut genug, dass man sie recht schnell kennenlernen kann. Und der Rest ergibt sich einfach!

Danke!

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Die Webseite von Kirsten Becken.

Kirsten Becken Photography auf Facebook.

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Eindrücke des Studios, das sich Kirsten mit Anna Karsch und Michaela Wunderl vom Akjumii teilt:

KirstenBeckenInterview-9

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KirstenBeckenInterview-4

KirstenBeckenInterview-5

KirstenBeckenInterview-7

KirstenBeckenInterview-8

Fotos: Sonja Steppan

 

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