Lesung: Gebilde höchster Unpersönlichkeit

Line liest

So selig kann ein Abend sein. In einem stickigen, dunklen Hinterzimmer in Berlin Neukölln. So inspirierend, berührend und überraschend. Sieben Frauen, sieben Texte, sieben unterschiedliche Herangehensweisen an das Überthema „Gebilde höchster Unpersönlichkeit“. Diesen Begriff entdecke ich auf eine Anregung von Natalie zum Aufsatz „Die Großstädte und das Geistesleben“ von Georg Simmel per Zufall, und beim brainstormen mit Veronika, macht sie ihn dann zum Titel.

Bevor die Lesung losgeht, erleben wir einen turbulenten Tag im Hause Selbstdarstellungssucht. Vormittags diskutieren wir lange über Themen und die Anordnung der Texte für die Lesung. Mittags, mitten im Arbeitsflow kommt ein Anruf einer unbekannten Nummer. Veronika geht mit Vorbehalt ran. Wir erfahren, dass wir einen Preis gewonnen haben. Welchen Preis, dürfen wir noch nicht sagen, aber lassen wir euch natürlich bald wissen! Euphorisiert wollen wir unsere gute Laune bei einem Stadtspaziergang versprühen und uns vielleicht mit einem neuen Teil von Monki belohnen, doch ein Kontrolleur in der U-Bahn hält uns wegen eines vermeintlich falschen Tickets auf. So schnell kann man von einem Hoch in ein Tief fallen. Um den Verdruss und Ärger über den unkooperativen Kontrolleur möglichst schnell in Luft aufzulösen, fahren wir dann statt zu Monki zum Supermarkt und gönnen uns Crémant und Kokospralinen. Während, mit und nach dem Crémant machen wir eine Runde Yoga, um für die Lesung einigermaßen entspannt zu sein.

Aber dann: nächstes Problem. Wir haben unsere iPhone-Ladekabel untereinander vertauscht und eins fehlt. Natürlich sind unsere Akkus alle fast leer und keine von uns will aus dem Haus, ohne das eigene Ladekabel wieder zu haben. Also: großformatige Suchaktion. Man muss ja Prioritäten setzen. Als wir endlich fündig werden, bleibt nur noch eine halbe Stunde für den Aufbau unserer Lesung in der Kneipe Das Gift.

Wir packen eine Leopardendecke ein, um die Thekendurchreiche in unserem Raum abhängen zu können. Teelichter für die Fensterbretter. Pflanzen aus der Küche. Ein paar Fanzines für die Wände, Natalies Dinos für den Lesetisch. Vorort angekommen geht alles schnell, nur die aus Mischpult und Laptop improvisierte Tonanlage mag nicht so funktionieren, wie wir das gerne wöllten, also müssen wir uns darauf einlassen, ohne Mikrofon lesen. Bis halb acht trudeln Leute ein, und noch mehr Leute, und dann schließen wir die Tür und es geht los. Ich fange an – mit meiner Kurzgeschichte „Trash Touching“ aus der Anthologie „Herzwortschläge“, veröffentlicht im Lichtung Verlag. Die sieben Texte entführen uns in sieben Welten: mal entblößend, mal feministisch, mal skurril oder unglaublich witzig.

Die-Lesenden

Danke an Jule Vetters, Marie Tews, Lene Vollhardt und Filiz Penzkofer (jeweils auf den Fotos von oben links nach unten rechts), für die großartigen Texte und an alle, die sich Zeit genommen haben, bei der ersten Berliner Kneipenlesung von der Selbstdarstellungssucht dabei zu sein.

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Wir haben uns überaus gefreut, dass Leute kamen, die über verworrene Wege im Internet bei uns gelandet sind. Viele Berliner, viele Münchner, und Leute von woanders her. Freut Euch auf Donnerstag, den 26. November 2015. Da werden wir eine neue Location in Berlin bespielen.

Fotos: Jonas Köksal

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