#hatespeech vs. #counterspeech –
ist die Debattenkultur im Internet tot?

Foto: Kirsten Becken für akjumii unique

Foto: Kirsten Becken für akjumii unique

Tschüss Internet, du bist jetzt voller Idioten und kopfloser Barbaren, die ihre Wut am liebsten mit einer #hatespeech loswerden. Kein Platz mehr für die geordneten Debatten der Intelligenzija. Für die sei es wohl einfacher – statt Auseinandersetzung mit dem Pöbel – „sich zurückzuziehen in ihre historisch bewährten Reviere: redaktionell gestaltete Zeitungen und Zeitschriften, Seminarräume, Hinterzimmer, private Salons, geschlossene Gesellschaft,“ schreibt Tilmann Baumgärtel in „Kopf ab, Rübe runter“ im taz-Artikel zum derzeit viel diskutierten Thema Hatespeech.

Ist es also soweit? Die postdigitale Gesellschaft hat das Internet als Ort des egalitären Austauschs abgeschrieben? Bleibt wirklich nichts anderes als einem hassenden Mob freie Bahn zu lassen? Oder gar die vorab Zensur von Hass-Kommentaren zu befürworten?

Dabei habe ich den Hass in meiner persönlichen Filterbubble gar nicht großartig mitbekommen. Wird er mir nicht angezeigt? Überlese ich ihn? Anscheinend beides. „Die meisten Menschen nutzen Social Media nicht, um ihren Horizont zu erweitern, sondern dazu, sich selbst in ihre Komfortzone einzusperren“, sagt Zygmunt Baumann und ich kann mich anscheinend nicht ausschließen. Denn als ich gezielt nach Hass in den sozialen Medien suche, werde ich schockierend schnell fündig. Aber noch bevor ich damit begonnen habe, mich damit auseinanderzusetzen, habe ich draußen auf der Straße bei einer Antikriegs-Demo erlebt, wie wenige Menschen es als wichtig empfinden, öffentlich dafür zu stehen, dass sie Krieg, Gewalt und eben Hass nicht als angemessene Reaktion für Konflikte sehen.

Today at the peace march: The #aestetics of #demonstration or #knitting for #peace – #stopwar #syria #solidarity #protest #givepeaceachance

Ein von Veronika Christine Dräxler (@veronikachristine) gepostetes Foto am

Wo ist sie denn, die Intelligenzija (was für ein unglaublich schönes Wort!), wenn es darum geht Schlüsse aus der (Kriegs-)Geschichte zu ziehen für den aktuellen Militäreinsatz Deutschlands gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien?

Wo bin ich denn meistens? Ja, hm: Im Internet. Das ich mir leider mit den Donald Trumps und Hatern der Welt teile. Aber denen das Internet überlassen? Ach nö, das kommt für mich gar nicht in Frage. Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der es Alltag wird, den lautesten Aggressoren das Spielfeld zu überlassen und dass diese womöglich auch noch die Mehrzahl werden. Und mit den ewigen Kulturpessimisten, die sich gerne auf Resignation berufen, kann ich leider auch nichts anfangen. Mag sein, dass für des Internets Gründerväter, wie Jaron Lanier, der Traum des Internets als bessere Welt ausgeträumt ist, dass fatalistisch abgeurteilt wird, dass die Gestaltungsmacht endgültig an die Konzerne auf der einen Seite und den kopflosen Mob auf der anderen Seite übergegangen ist – aber: Moment.

Ich soll mich also fügen in dein Schicksal? Oh du göttliches, digitales Panoptikum – hast du sie noch alle?

Und da spüre ich sie, die Wut. Ich habe sie nämlich schon auch! Aber meistens vergesse ich, zwischen arbeiten und einkaufen und online sein und arbeiten und einkaufen und online sein, gegen was ich noch Mal bin, dass es genügend Umstände in meinem Leben gibt, für die ich dringend eine Counterspeech loswerden will.

Ich bin gegen diesen ganzen kopflosen Hass, gegen die Übermacht von Konzernen und die ewige Ellenbogen-Gesellschaft. Aber vor allem bin ich dagegen, mir einreden zu lassen, dass wir nichts ändern können. Und darum bin ich für mehr Bed-Ins und weniger Zeit am Schreibtisch, denn wenn wir – ich gehe von Gleichgesinnten aus – nicht anfangen uns zusammenzutun und über Lösungen nachdenken, wer dann?

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Der Pulli, den ich oben auf dem Foto trage, ist in Kooperation mit Anna Karsch und Michi Wunderl von akjumii entstanden, die Sonja auch schon für die Selbstdarstellungssucht interviewt hat. (Hier) Die Beiden haben mit dem Projekt „akjumii unique“ Münchner Künstler und Kreative aus den unterschiedlichsten Disziplinen dazu eingeladen einen akjumii Pullover zu gestalten und so in einen interdisziplinären Austausch zu treten. Die Pullis – darunter auch den oben auf dem Foto – werden am 25.02. ab 15 Uhr im Rahmen einer Ausstellung im Store&Studio von akjumi und Kirsten Becken in der Reichenbachstr. 36, München gezeigt. Der Verkaufserlös wird an Horizont e.V. gespendet.

Ich werde auch dort sein und freue mich über bekannte Gesichter.

AUßERDEM: Für den Kauf des von mir gestalteten Pullis werde ich zusätzlich den Wert des Verkaufspreis Mal zwei (für den Käufer und mich) an „Hass hilft – Rechts gegen Rechts“ spenden. Und wer die Aktion noch nicht kennt, aber den ganzen rechten Hass im Internet nicht einfach hinnehmen will, dem lege ich diese Aktion auch ans Herz.

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