Eylül Aslan: „Es gibt keine Richtlinien, wenn es um Schönheit oder Hässlichkeit geht.“

Eylül Aslan, Foto: Robert Rieger

“Hallo, ich bin Aslan. Ich suche Leute für mein Kunstprojekt. Wenn du interessiert bist, wische nach rechts, wenn nicht, dann nicht, weil ich hier nicht bin um zu daten.” So startete Eylül Aslan ihr Fotoprojekt, das sie nächste Woche in Buchform veröffentlicht. Sie traf zwanzig Männer über Tinder und fotografierte schöne und hässliche Körperteile. Das Projekt ist Suche und Kritik gleichzeitig. Ich könnte sie jetzt als feministische Fotografin aus Istanbul vorstellen, die seit Jahren in Berlin lebt und arbeitet. Allerdings würde sie sich selbst sicher nicht unter einem Label präsentieren. Sie hat sich das Fotografieren selbst beigebracht, um sich aus kulturellen Zwängen zu befreien. Inzwischen ist sie weltweit in Magazinen und Zines zu finden.

Wer waren die Männer, die du auf Tinder getroffen hast?

Da waren unter anderen zwei oder drei Typen dabei, die mich schon kannten und Lust hatten mitzumachen. Andere waren skeptisch, weil ich ihnen nicht wirklich so viel über das Projekt sagen konnte. Aber in welche Richtung es gehen würde, ist mir erst klar geworden, während ich daran gearbeitet habe. Viele Männer waren sehr offen, sodass ich mich selbst verletzlicher machen musste. Also habe ich bei meinem Projekt mitgemacht. Ich habe die Männer getroffen und sie gefragt, was sie an sich mögen und was nicht und dasselbe habe ich sie über mich gefragt. Manche haben gesagt, dass sie meinen Körper angezogen ja gar nicht sehen können, also habe ich mich einmal im Kreis gedreht und meinte, das geht schon so, aber es war schon komisch.

Du hast dein Buch „Trompe L’Oeil“ genannt, warum?

„Trompe L’Oeil“ ist Französisch und bedeutet die Täuschung des Auges. Ich hatte die Idee dazu, als ich Profile auf Tinder angeschaut habe. Da habe ich bemerkt, dass die Leute alle Bilder hatten, die Körperteile zeigen, die sie besonders schön finden. Zum Beispiel dieser Typ mit den schönen Armen. Er hat sich auf dem Bild nach etwas gestreckt, sodass man seine Muskeln sehen konnte. Und dann triffst du ihn und stellst fest, dass seine Arme eigentlich ziemlich dünn sind. Also eigentlich hat er jeden getäuscht, indem er sich nur mit dem Körperteil präsentiert, dass er gut findet. So können wir durch Bilder getäuscht werden. Ich meine, ich bin nicht gegen Tinder, aber ich kritisiere es. Du entscheidest da innerhalb von Milli-Sekunden ob du jemanden attraktiv findest oder nicht, aber auf welcher Grundlage?

Trompe L´Oeil von Eylül Aslan

Also geht es dir um eine Art digitales Schönheitsideal?

Es gibt keine Richtlinien, wenn es um Schönheit oder Hässlichkeit geht. Ich habe zwanzig Männer getroffen und habe sie alle gefragt, was sie an mir mögen und was nicht und es war verrückt herauszufinden, dass jeder eine andere Meinung hatte.

Wie denkst du, dass Tinder und soziale Medien verändern, was schön und was hässlich ist?

Das Ding ist, dass Schönheit immer zur Schau gestellt wird. Zum Beispiel ist dieser ganze Kim Kardashian Look sehr beliebt bei arabischem Mädchen. Sie sind wie kleine Kopien. Was ein Schönheitsideal verändert ist, dass man durch das Internet immer auf Bilder Zugriff hat, die zeigen was schön ist. Das ist so manipulativ. Für mich ist Schönheit, wenn man sich wohl fühlt mit sich selbst. Wenn du glücklich damit bist, wie du aussiehst, dann sollte das die einzige Richtlinie sein.

Was hat dich bei dem Projekt am meisten überrascht?

Ich habe Körperteile, die ich davor gehasst habe und dann habe ich begriffen, dass andere die nicht einmal bemerken. Es ging um die Beziehung zu meinem eigenen Körper und es war überraschend herauszufinden, dass manche Männer sogar die Dinge mochten, die ich nicht mochte. Also muss ich mich wohl einfach entspannen. Eine andere Überraschung waren die Leute, die super selbstbewusst auf ihren Bildern aussahen und als ich sie getroffen und sie nach ihrem schönsten Körperteil gefragt habe, konnten sie es mir nicht sagen. Und ich dachte „Wow, du bist so attraktiv, wie kannst du kein Lieblingskörperteil haben?“ Die waren total anders als ich es vermutet hätte.

 

„Ich bin als Person sehr sexuell.“

 

Warum hast du angefangen zu fotografieren?

Ich habe mir die Fotografie ausgesucht, weil ich mich in meiner Kultur so eingeschlossen fühlte und weil ich so damit kämpfte, wie es ist als Frau in der Türkei aufzuwachsen. Es ist dort so ein Tabu über Sexualität und so zu reden, aber ich bin als Person sehr sexuell. Also habe ich Fotos von mir selbst gemacht und von Freundinnen und Menschen um mich herum.

Bist du eine feministische Fotografin?

Ich hab einmal „Freunde von Freunden“ ein Interview gegeben und sie haben es mit „türkische feministische Fotografin“ betitelt, also habe ich jetzt dieses Label, weil das Magazin so groß ist. Es entspricht schon meiner Einstellung, aber es ist kein Label bei dem ich bleiben will. Jetzt wollte ich einfach etwas Neues zeigen und wollte mit Männern arbeiten und deren Körper erkunden und eine andere Erfahrung machen.

Und, war war die Erfahrung anders?

Ich habe Männer getroffen, die mich in erster Linie süß fanden. Also war da diese sexuelle Anspannung als ich sie getroffen habe. Die Stimmung war anders. Ich habe zum Beispiel ein Foto gemacht, als einer der Männer unter mir lag und ich hatte nur einen Rock an. Ich habe mich noch nie so dominant gefühlt. Außerdem müssen sie mich dabei anschauen und sagen was sie mögen und was nicht, das war seltsam.

Wäre das Projekt auch in der Türkei möglich gewesen?

Nein, auf keinen Fall. Ich wäre total verrückt geworden. Das ist eine ganz andere Kultur im den Umgang mit Frauen.

Wie sieht es dort mit Tinder aus?

Es gibt Tinder in der Türkei. Aber wenn jemand hört, dass du auf Tinder bist, bist du eine Hure. Es ist ein sehr progressives Ding für eine Frau auf Tinder zu sein. Außerdem habe ich das Projekt dort nicht gemacht, weil ich denke, dass Männer eher nur für den Sex auf meine Anfrage geantwortet hätten, nicht wegen der Kunst. Die Türkei ist künstlerisch noch nicht so weit entwickelt, es gibt dort keinen Respekt für Kunst.

Du hast mit der Nacktfotografie in der Türkei angefangen, oder?

Ich habe nie wirklich Nacktfotografie gemacht. Ich denke mein Stil ist eher mysteriös. Ich finde es zum Beispiel sexier nur den Ansatz einer Brust zu sehen, als die Ganze. Ich habe auch viel mit meinem eigenen Körper experimentiert. In meinen Fotografien sieht man selten Gesichter, es geht darum anonym zu sein. Hätte ich halbnackte Bilder von mir mit Gesicht aufgenommen, hätte das viel Ärger bedeutet. Ich meine es bedeutet so schon Ärger.

Halbnackte Fotografien in Berlin? Klingt nicht nach Ärger.

Stimmt. Hier, bin ich eher konservativ.

 

„Wenn ich mir wünsche in der Türkei leben zu können, und Körperteile zu zeigen, dann muss ich eben meine Körperteile zeigen.“

 

Was für Feedback bekommst du?

Ich habe meine Brust und meinen Po in dem Buch und dachte, wenn mein Vater das sieht, bin ich Tod. Aber ich meine es ist mein Körper und das ist es, was ich damit machen will. Also muss mein Vater einfach lernen damit umzugehen, dass seine Tochter ihre Brust und ihren Po zeigen will. Und eines Tages wird das normal sein und Menschen in der Türkei können im Bikini schwimmen gehen. Wenn es das ist wie ich mir wünsche in der Türkei leben zu können, dann muss ich meine Körperteile zeigen. Ich habe dieses Buch mit meinen ganzen Ersparnissen aus bisherigen Jobs gedruckt, also fließt da wirklich mein ganzes Geld rein. Deswegen dachte ich mir, ich werde da jetzt einfach meinen Nippel reinmachen.

Was hat das Projekt mit dir gemacht?

Mit dem Projekt habe ich begriffen, dass es nicht wichtig ist, wie du aussiehst. Es ist das erste Mal, dass ich mich wirklich selbst wohl mit mir fühle. Ich wollte auch, dass sich die Männer wohlfühlen und auch diejenigen, die sich das Buch nachher anschauen. Ich möchte, dass sich alle entspannen und mit dem zufrieden sind, was sie haben. Es gibt keine Richtlinien, wie jemand sein sollte.

Wird das Buch auch in der Türkei verkauft werden?

Ich will ehrlich gesagt nicht, dass es dort verkauft wird. Einmal wegen meinem Vater und zum anderen, denke ich, dass die Türkei noch nicht bereit ist, für das, was ich mache.

Was ist mit den Frauen dort?

Die Türkei hat eine sehr interessante Kultur. Ich habe zum Beispiel viele Cousins und die sagen mir immer, ich soll Make-up benutzen und mich doch mal weiblicher kleiden. Ich denke dann: Fuck off! Ich bin nicht stark genug, um diese kulturellen Dinge zu ändern. Da muss es einen größeren Wandel in der Türkei geben. Meine kleinen Kunstprojekte werden nichts ändern, niemand würde sie verstehen. So denke ich eben darüber, auch wenn es sehr verurteilend ist und bedeutet, dass ich geringe Erwartungen an die Menschen dort habe. Aber wer auch immer dort mein Buch haben möchte, kann es auch online kaufen.

Was kommt als nächstes?

Ich habe dieses Projekt letztes Jahr gestartet, also kann ich es kaum erwarten, etwas Neues zu machen. Bislang war ich so beschäftigt, aber eigentlich möchte ich als nächstes eine Fotoserie machen über Frauen, die nachts alleine nach Hause gehen. Als ich in Istanbul gelebt habe, hat mich das sehr beschäftigt. Ich möchte einfach zeigen, dass es da so lächerlich normale Dinge gibt, die Frauen nicht machen können.

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Eylül Aslan stellt ihr Buch „Trompe L’Oeil“ am Donnerstag, den 29. Juni in der Blogfabrik in Berlin vor, los geht’s um 19 Uhr. Musik und Drinks gibt es natürlich auch. Hier geht´s zur Facebook-Veranstaltung.

Künstlerselfie #21 mit Eylül Aslan.

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