Zwischen den Welten in Istanbul

10. März 2017

Nach einer wackeligen Landung, bin ich also in Istanbul. Mein erstes Mal in der Türkei und dieser riesigen Stadt. Mit einem Sesamring gewappnet, suche ich nach dem Havaş, einen Bus, der zum Taksim-Platz fährt – vorbei an Wolkenkratzern und über den Bosporus. Auf der Brücke habe ich das Gefühl hunderte Meter über der Meerenge zu fliegen, die Asien und Europa verbindet. Obwohl ich spät in der Nacht an meinem Hostel aufschlage, treibt mich der Hunger nochmal nach draußen. Die Straßen sind wie leergefegt, außer ein paar jungen Männern ist niemand zu sehen. Auch etwas zu essen ist nicht in Sichtweite. Das aufkommende Gefühl von Unwohlsein legt sich aber schnell. Die Männer würdigen mich keines Blickes und mit dem ersten Bissen in den mit Schafskäse gefüllten Börek verfliegt jede Skepsis.

Mit oder ohne Kopftuch – hoffentlich bleibt Istanbul eine Stadt voller Gegensätze.

11. März 2017

Am nächsten Tag blicke ich aus dem Fenster und erkenne die leergefegte Straße kaum wieder. Reges Treiben und lauter Verkehr beleben das älteste Viertel der Stadt, Eminönu. Für heute bin ich mit dem Medienkünstler Bager Akbay verabredet. Wir haben uns bei der Transmediale in Berlin kennengelernt und treffen uns zum Frühstück. Die Sonne scheint und der Geruch von verbrannten Maronen und Maiskolben, die überall verkauft werden liegt in der Luft. Bei Chai und Zigaretten erzählt er mir in einem Café von seinem Atelier, das er mit 15 Personen teilt. Weil auch mehrere NGOs dort arbeiten, müssen sie keine Steuern zahlen. „Business zu machen ist wichtig, das hält einen am Leben“, findet er. Dahinter steckt sicher seine türkische Mentalität, aber auch seine Fähigkeit sich ständig neu zu erfinden.

Fast zehn Jahre hat er an der Universität programmieren gelernt, hauptsächlich war er während der Zeit aber Theaterschauspieler. Ende Zwanzig hat er angefangen in Linz Design zu studieren. Seitdem gibt er in Istanbul Workshops und Seminare. Weil ihm die Strukturen an Universitäten zu strikt sind, hat er kurzerhand eine Schule gegründet, an der er Kindern das Programmieren beibringt. „Ich unterrichte Autonomie, könnte man sagen“, so der Vierzigjährige. „Ich lebe den White Cube. Alles soll frei und offen sein. Wenn ich arbeite, dann nur mit Open-Source-Software.“ Er habe sich auch mal überlegt nach Berlin zu ziehen, aber Deutschland ist ihm zu bürokratisch. “Der Staat hat viel Einfluss”, meint er. Ich wundere mich, die türkische Regierung übt doch auch viel Kontrolle aus. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es hier auch leichter ist eine Hintertür zu finden, man muss nur wissen wie.

So sieht es aus, wenn ich arbeite.“ – Bager Akbay in seinem Co-working space.

Zu seinen bekanntesten Projekten gehört der Roboter Deniz Yilmaz, der in Handschrift Gedichte verfasst, wie sie von Lesern in türkischen Zeitungen publiziert werden. „Roboter sind gerade sehr beliebt in der Türkei, ich hasse das“, erzählt der Künstler, „sofort sind Unternehmen an dir interessiert. Ich will aber nicht mit denen arbeiten, das Werk, der Roboter gehört nicht mehr mir, sobald er fertig ist, es ist eine Open-Software“, so der Künstler. Zurzeit ist er mehr Autor als Programmierer. Er schreibt Science-Fiction Kurzgeschichten. Er schmunzelt, „Ich hatte keinen Stift mehr in der Hand, seitdem ich 14 war und jetzt mit 40 fange ich an zu schreiben!“. Während wir reden schaut er immer wieder zu Boden und scheint angestrengt über irgendetwas nachzudenken. „Ich kann nicht erklären, warum ich etwas mache, meistens kommen die Ideen erst während einem Interview.“

Nachdem ich den Kampf gegen das mächtige Frühstück aus Semsamring, Käse, Oliven und Marmelade aufgegeben habe, zeigt er mir noch sein Atelier. Zwei junge Frauen sitzen einem Tisch am Eingang und spielen Backgammon.

Eine Runde Backgammon geht immer, genauso wie ein Jägermeister oder Chai.

Dabei trinken sie Jägermeister und bieten mir in perfektem Deutsch auch gleich einen an. Beide haben Design in Bremen studiert und arbeiten jetzt von Istanbul aus für Nike. Begar setzt Chai auf und schenkt mir ein von Deniz dem Roboter verfasstes Gedicht.

Ein Liebesgedicht von Roboterhand geschrieben.

Nach mehreren Runden Backgammon und leicht angeduselt, trete ich wieder aus dem Atelier in die Gassen und laufe in Richtung Meer. Die Sonne verschwindet langsam und auf meinem Weg auf die andere Bosporus-Seite, gehe ich an einer schwer bewachten Wahlkampf Veranstaltung vorbei.

11. März 2017

Obwohl es kalt ist und regnet, spaziere ich durch den Park. Die einzigen zwei Personen, denen ich dort begegne ist ein Pärchen, dass hinter Bäumen küssend auf einer Bank sitzt.

Versteck oder Sichtschutz? Zwei Küssende in einem Park in Istanbul.

Ich im „Dose“ – Café/Plattenladen.

Durchgefroren fahre ich dann mit der Tram Richtung Taksim. Ich lande in einem hippen Café, welches Café-Brüharten anbietet, von denen ich in meiner ganzen Berlin-Zeit noch nichts gehört habe. Nachrichten aus den Niederlanden erreichen mich bei einem doppelt gefilterten Cold Brew Kaffee, der so bitter und kalt ist, wie jetzt die Beziehungen zwischen Erdogan und der niederländischen Regierung.

Mit dem bitteren Geschmack auf der Zunge, mache ich mich auf dem Weg zu Deniz, um mir ihre Wohnung anzuschauen. In ein paar Monaten möchte ich selbst in diese Stadt ziehen. Ob Deniz denn noch in Istanbul bleiben wolle, frage ich. „Klar ist es gefährlich geworden, aber für mich gibt es keine Wahl, ich mag das Leben hier“, sagt sie, außerhalb Istanbuls habe sie auch gar keine Möglichkeit als Biochemikerin zu arbeiten.

Deniz (Mitte) studiert Biochemie in Istanbul, manchmal hat sie ein mulmiges Gefühl, aber sie liebt das Leben dort.

Ihr Mitbewohner ist Arzt und geht bald zurück in ihre gemeinsame Herkunftsstadt Adana. Bevor er allerdings seinen Arbeitsplatz wechseln kann, muss er sich einer „Terroristenprüfung“ unterziehen. Die türkische Regierung nimmt staatlich angestellte genau unter die Lupe – genau, das heißt drei Monate, solange muss er in Istanbul bleiben. Später steht für ihn noch der Militärdienst an, aber da könne man sich freikaufen.

Zu den bitteren Themen haben wir uns inzwischen Berge an zuckersüßem Baclava gekauft von dem angeblich besten Baclava-Bäcker der ganzen Türkei. Die verschiedenen Pistazien-Teig Variationen schmecken so intensiv und nichtmal so süß, dass ich solange davon esse, bis mir fast schlecht ist.

Eingekeilt zwischen zwei wütenden Moderatoren: Kai Diekmann, ehemaliger Bild-Herausgeber und Freund einer weltoffenen Türkei

Eigentlich will ich früh schlafen gehen, mein Flug geht um 6:30 Uhr am nächsten Morgen. Aber voll auf Zucker bleibe ich einen Großteil der Nacht wach und zappe durch das türkische TV. Auf einem Kanal ist erst Merkel und dann Kai Diekmann in der Mitte des Bildschirms zu sehen. Eingekeilt von zwei Moderatoren links und rechts, die sich mit türkischem Temperament über die Deutschen aufregen. Ich verstehe nicht was sie sagen, aber es klingt nicht nach Komplimenten, was sie von sich geben. Ich muss an das denken, was Deniz gesagt hat. Sie hat anscheinend keine Wahl, wie die meisten jungen Leute lebt sie in Istanbul, um zu arbeiten. Ich habe sie allerdings schon. Will ich mich der Gefahr aussetzen, in der Stadt zu leben, die im Fokus von Anschlägen steht und einer diktatorischen Regierung untersteht? Nein. Möchte ich Deniz und Bager wiedersehen und diesen Mischmasch aus Ethnien und Religionen, Gerüchen und Geschmäckern in mich aufsaugen und davon berichten? Ja.

Was stirbt, sobald uns schlechte Nachrichten aus einem anderen Land empfangen ist die Erinnerung daran, warum es sich lohnt gute Beziehungen aufrecht zu erhalten. Ich kann sicher nichts im großen Maß ändern, aber meine Erinnerung soll nicht von Egoismus und Abneigung gegen ein Land geprägt sein, das momentan in den meisten Medien von nur einer Person repräsentiert wird.

Was denkst Du?