Joab Nist: „Ich bin Sammler.“

Joab_Nist©Natalie_Mayroth

Bei unserem letzten Aufenthalt in Berlin haben wir einen Abstecher zu Notes of Berlin Gründer Joab Nist in seine gemütliche WG im Prenzlauer Berg gemacht. Der gebürtige Münchner lebt seit neun Jahren in seiner Wahlheimat, in der er seine Liebe für das Sammeln von hinterlassenen Notizzetteln in der Stadt entfaltet hat. Diese kleinen Mitteilungen, die durch Witterung nur von kurzer Dauer an Straßenmasten, Wänden, Türen oder Bäumen hängen, werden von Joab auf seinem Blog zusammengetragen und spiegeln ein ganz eigenes Bild von Berlin wieder: Frech, kreativ, verträumt, aufmüpfig, wütend, traurig und manchmal auch ein wenig zum Nachdenken anregend.

Ein Gespräch über Stadtforschung mit Notizen aus dem öffentlichen Raum.

Joab, seit Oktober 2010 betreibst du deinen Blog „Notes of Berlin“ und sammelst Notizen aus Berlin. Kannst du noch außer Haus gehen, ohne dass dein Blick an Laternenmasten und Stromkästen hängen bleibt?

(Er schmunzelt) Wenn ich ehrlich bin ertappe ich mich schon dabei, wie meine Augen auf der Suche nach Notes sind, aber es ist längst nicht mehr so ein enormer Drang, wie ich ihn zu Beginn verspürt habe. Meine Kamera habe ich aber meistens trotzdem eingesteckt, wenn ich außer Haus gehe.

Warst du schon ein Sammler, bevor dir die Idee zu „Notes of Berlin“ kam?

Jeder hat so seine Hobbys und ja, ich habe schon früher gerne gesammelt: Briefmarken, aber auch andere kleine Andenken, die ich aber bei einer Freundin im Keller verstaut habe. Die konnte ich damals bei meinem Umzug in die Hauptstadt aus Platzgründen leider nicht mitnehmen.

Du sammelst Artefakte aus Berliner Hausfluren und Straßen, sieht du dich als Blogger, Kurator oder Sammler?

Ich bin Sammler. Jeder der etwas findet, kann es bei mir einsenden, natürlich entscheide ich dann am Ende was auf den Blog kommt, aber es ist ein Gemeinschaftswerk, das ich letztlich kuratiere. Die Themen die sich hier zeigen, finden Anschluss. Überall. Sei es Liebeskummer oder dass dir ein Fahrrad geklaut wurde. Auch der Streit mit Nachbarn ist anderswo nicht unbekannt, aber Berlin trägt es nach außen wie kein anderer urbaner Lebensraum. Die Leute beschreiben dir selbst ihre Stadt. Ich habe angefangen die Zettel zu sammeln, weil ich für mich persönlich in ihnen eine Art Reiseführer durch Berlin gesehen habe, den mir aber sonst so keiner geben kann. So hat das Aufbewahren und Abfotografieren der Notizen seinen Lauf genommen – es ist für mich eine Liebeserklärung an die Stadt geworden.

Wie wichtig ist bei deinem Konzept die Einbindung deiner Blog-Leser?

Davon lebt Notes of Berlin. Am Anfang waren die ersten Fundstücke alle von mir. Ich hatte mir bereits eine, meiner Meinung nach, gute Sammlung angelegt, bevor ich mein Vorhaben – den Blog – gestartet habe. Aber von vornherein war klar, dass es eines der grundlegenden Elemente ist, andere Menschen miteinzubinden. Nach kurzer Zeit bekam ich auch schon die ersten Fotos zugesendet und war sehr froh darum und musste auch feststellen, dass nicht alle meine Fundstücke so einzigartig waren, wie ich dachte. Es hat sich dazu hin entwickelt, dass sich der Fokus meiner Arbeit mehr auf die Auswahl der Notes konzentriert, da ich täglich viele Zusendungen bekomme und nun nicht mehr allein losziehen und sie entdecke.

Wenn man deine Arbeit sieht: das Weblog, deine Facebook-Seite und dein im Juni 2012 erschienenes Buch „Wellensittich entflogen. Farbe egal.“ merkt man, dass hier Herzblut dahinter steckt. Ist es nicht trotzdem ab und zu schwer so viel Energie dafür aufzubringen?

Das bloggen ist eine Leidenschaft. Es beansprucht viel Zeit, aber es lässt mich auch nicht los. So kam es vielleicht, dass die „Zettelwirtschaft“ wie ich es gerne nenne, auch zum Thema meiner Masterarbeit geworden ist. Mir ist es vor allem wichtig auch alle Einreichungen zu sichten und den Leuten auch Feedback zu geben, das ist natürlich zeitintensiv und manchmal dauert es auch etwas länger. Aber jede einzelne Zusendung, macht das Blog zu dem was es ist, ohne die treuen Mitsammler wäre es nicht das, was er geworden ist.

Kannst du in deinem Zettelfundus gewisse Trends oder politische Botschaften dekodieren?

Der Zeitgeist einer Stadt und seiner Bewohner schwingt sicher mit. Das sieht man nicht nur an der Vielfalt der Nachrichten, sondern eben auch an der Sprache. Die Notes sind längst nicht alle auf Deutsch – es sind etwa auch Englische, Französische, Türkische und viele weitere Sprachen vertreten. Es werden beispielsweise auch die Probleme der Kiezbewohner thematisiert, sei es Fremdenfeindlichkeit, Gentrifizierung oder die verzweifelte Suche nach einem Kita-Platz. Wie es die Note „Tausche Brautkleid gegen Kita-Platz“ recht gut darstellt.

Notes_of_berlin

Ist es dir schon passiert, dass Botschaften, die du als Blogger an die Internetwelt rausgetragen hast, missverstanden wurden?

Nein, so weit ist es noch nicht gekommen, zumindest würde ich das so nicht formulieren. Manche Leser sehen auf den ersten Blick klar die belustigende Art der Notes, aber das ist nicht der Grundgedanke von Notes of Berlin. Vielmehr geht es mir darum ein authentisches Bild der Alltagskommunikation der Berliner zusammenzutragen. Manches ist beim genaueren hinsehen auch nicht immer so lustig und regt auch zum Nachdenken an. Meine Intention ist es aber nicht, politische Parolen weiterzutragen. Es steht jedem frei sich seine eigene Meinung zu bilden und die Zettelkleinkunst zu interpretieren. Das macht vielen Spaß, man kann es unter den Blogposts nachlesen. Es ist jedoch schade, wenn ich immer öfters merke wie Werbeagenturen auf diesen Zug zu aufspringen und das Medium Zettelwirtschaft für kommerzielle Botschaften nutzen. Oft erst auf den zweiten Blick ersichtlich.

Es gibt nun ja auch ein Buch zum Blog – welche Idee steckt dahinter es nun auch in Printform zu haben?

Es war schon immer ein Traum von mir ein Buch zu veröffentlichen. Schon als Schuljunge habe ich darüber Wetten abgeschlossen, aber das war nicht der Grund. Schon vor zwei Jahren, zu Beginn des Projektstarts stand für mich fest, aus dieser Idee soll einmal ein Buch entstehen. Es gibt im Buch zu Themenkomplexen jeweils eine Auswahl an Fundstücken, aber auch Bilder mit Leserkommentaren, die schon ab und zu sehr zum Schmunzeln sind. Wenn man so viele Botschaften ließt, möchte man auch automatisch wissen was dahinter steckt und deshalb bin ich auf Recherchereise gegangen. Drei Geschichten zu den Notes of Berlin sind ebenfalls Bestandteil des Buches „Wellensittich entflogen. Farbe egal.“.

Wer selbst eine Note in Berlin entdeckt hat, kann diese einreichen unter: notes@notesofberlin.com und für Fundstücke außerhalb der Hauptstadt gibt es mittlerweile die Anlaufstelle notes@notesofgermany.com.

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Joabs Notes of Berlin

Joabs Notes of Germany

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Eindrücke vom Besuch in Joabs WG:

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Dieses Exemplar von „Wellensittich entflogen. Farbe egal.“ befindet sich im Besitz von Natalie. Aber alle Leser, die uns im Kommentarfeld verraten, welche Botschaft vom Notes of Berlin Blog für sie die Liebste, Amüsanteste oder Kurioseste ist, nehmen automatisch an der Verlosung eines signierten Exemplars teil. Mitmachen könnt ihr bis zum 31. Januar 2013.

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