Hendrik Otremba: „Musik muss politisch sein.“

Hendrik_Otremba_c_Natalie_MayrothDie Baumkronen sind mit bunten Strahlern beleuchtet. Leute amüsieren sich und lachen. Einige stehen vor Essenständen an, bei denen es die unterschiedlichsten Kaffeesorten, Burger oder veganen Kuchen gibt. Andere stehen nur zusammen. Daneben reiht sich auch ein Merchandise-Stand ein. So voll wie heute habe ich den Biergarten des Berghains noch nie erlebt – überall Menschen, die alle gar nicht schwarz gekleidet sind. Und das an einem Donnerstag draußen bei Tageslicht. Die Geräuschkulisse speist sich aus ihren Stimmen und Füßen, die über den mit Kieselsteinen ausgelegten Boden stapfen. In dem Getümmel verpasse ich beinahe Hendrik Otremba, mit dem ich – ein paar Stunden vor dem Aufritt mit seiner Band Messer auf dem Pop Kultur Berlin – verabredet bin. Auf der Terrasse finden wir ein Plätzchen, das etwas mehr Ruhe verspricht.

Messer erlebe ich das erste Mal auf einem Konzert im Bei Ruth, bei dem mir Frontman Hendrik Otremba, 31, besonders auffällt. Mit Musik verbindet er intensive Erlebnisse, was man spürt, wenn man ihn auf der Bühne sieht. Er wirkt energetisch geladen, teilweise geistig abwesend wie an einem anderen Ort. Doch wenn er seine kräftige und zugleich raue Stimme erhebt, verschafft er sich sofort wieder Präsenz. Hendrik hat seine Leidenschaften zum Beruf gemacht: Neben einer Tätigkeit als Dozent schreibt er für Musikzeitschriften wie Spex oder das Wetter und ist Mitglied, der 2010 in Münster gegründeten Post-Punk Band Messer. Seine überschüssige Energie steckt er in die Malerei. Viele Projekte stehen bei ihm an: Ein neues Album mit der Band, ein Festival im September und er schreibt gerade an einem Roman. Es scheint, Hendrik Otremba, der aus Recklinghausen stammt, hat im Leben alles schon ein Mal gemacht. Aber das stimmt dann doch nicht. Er verrät mir: Er war noch nie im Berghain.

Hendrik, du arbeitest als Dozent im Fachbereich Gestaltung, singst bei der Band Messer, malst Bilder und schreibst. Kannst du dich nicht entscheiden?
Für mich gehört das alles zusammen. Manchmal schreibe ich etwas, dann habe ich ein Bild vor Augen, dann male ich es, dann trägt das Bild einen Titel, der zu einem Text führt – irgendwie so. Das ist ein Universum, das man langsam baut, wo verschiedene künstlerische Ausdrucksformen zusammenkommen, aber man gar nicht immer bewusst agiert und letztendlich auf verschiedenen Ebenen an der selben Erzählung strickt. Irgendwann ist es dann eben nicht mehr das Schreiben oder das Malen, sondern ein bestimmter Modus, in dem man sich befindet. Das Malen ist dabei für mich ein wichtiges Feld. Ich habe ab und zu Ausstellungen, aber darum geht es nicht wirklich: die Malerei hat etwas von Mediation, das hilft dem Gleichgewicht, dem Runterkommen.

Hast du etwas Künstlerisches studiert?
Ich arbeite zwar an der FH im Fachbereich Design, aber ich bringe den Leuten dort das Schreiben bei, mit Design habe ich gar nicht so viel zu tun. Ich habe erst Germanistik und Medienwissenschaften in Bochum studiert und dann in Münster einen Master in Kulturpoetik gemacht. Ich komme also so gesehen eher aus der Rezipienten-, Kritiker- und Wissenschaftsperspektive. Die Sachen unabhängig von der Arbeit als Dozent haben mehr mit einer Leidenschaft zu tun, oder mit einem bestimmten Drang.

Wie passt das mit deiner Arbeit als Dozent zusammen?
An der Uni zu arbeiten fände ich langweilig, diesen theoretischen Kram habe ich hinter mir, doch an der Fachhochschule ist das ein wenig anders, da geht es um die Praxis, die Studierenden schreiben, finden einen Ausdruck, eine Sprache – und ich helfe dabei. Ich mag diesen Beruf.

Du schreibst aber auch selbst.
Ja, ich habe immer geschrieben, gerade arbeite ich an einem Roman. Aber ich mache auch andere Sachen, lyrische Texte, Prosaminiaturen oder Musikjournalismus. Musikmagazine habe ich selber auch immer gerne gelesen. Mit Musik verbinde ich intensive Gefühle und irgendwann gab es die Möglichkeit, selbst am Schreiben über Musik zu partizipieren. Das ist aber eher zum Spaß, nebenbei. Der Fokus liegt gerade auf dem Roman, das ist etwas sehr Intensives. Bald gibt es auch neues Material von Messer, wir schreiben gerade Songs und ich taste mich an ein Covermotiv heran. Daran sehe ich auch, wie alles zusammenhängt: Der Roman beinhaltet poetische Texte, die auch bei Messer unterkommen könnten.

Verrätst du noch mehr dazu?
Es ist kein autobiografisches Buch, reine Fiktion – eher eine poetische, ein wenig schmutzige Detektivgeschichte.

À la TKKG und fünf Freunde?
Sowas wie TKKG bedient platte Stereotype, die Fünf Freunde leider auch: Die Mädchen sind tierlieb und müssen beschützt werden, die Dicken sind faul und dumm, die Schlauen total verkrampft, die Anführer athletisch und makellos, die Bösen humpeln und haben Narben, meistens sind sie Ausländer. Todlangweilig und bei genauerem Hinsehen komplett faschistoid. Genau wie mit der Musik will ich frei bleiben von einem Genre, auch wenn das der Vermarktung natürlich schadet. Aber das ist egal. Natürlich arbeite ich auch mit Klischees, aber mir geht es eher um ihren Zusammenbruch. Ich denke da eher an so etwas wie den chinesischen Film »Feuerwerk am helllichten Tage«, sowieso geht es bei dem Detektivischen mehr um einen Stil und eine Atmosphäre. Daher spielt so etwas wie »Blue Velvet« oder ein Gedicht eine größere Rolle, als etwa Sherlock Holmes. In seiner ursprünglichen Version finde ich den aber auch ganz interessant, der war abhängig von Opium. Mein Detektiv hat auch mit Sucht zu kämpfen.

Ihr schreibt mit Messer neue Songs, du arbeitest am Roman, nebenbei kuratierst du noch das Festival »Versuche von Glück«. Wie managest du deine Zeit?
Ich habe angefangen morgens ein paar Meter zu laufen, weil ich sonst manchmal zwei, drei Stunden brauche, bis ich zu irgendwas fähig bin. Das sorgt dafür, dass ich wach werde. Dann zwei Stunden Büro, so organisatorischen Kram erledigen, und dann schaue ich, was so kommt. Manchmal passiert auch nichts, manchmal kann ich mich nicht bremsen. Es ist wichtig, den Dingen ihren Fluss zu gewähren und sich nicht unter Druck zu setzen. Ich fühle mich da schon in einer angenehmen Situation. Die Leute, die ich kenne, die 9-to-5-Jobs haben und im Feierabend mit dem Kopf immer noch bei ihrer Arbeit sind: das wirkt für mich wie Stress. Ich kann machen, worauf ich Lust habe, das ist sicher auch mal anstrengend und kann nerven, am Ende des Tages fühle ich mich aber wohl damit.

Du hast in einem Interview erzählt, dass dir die Bilder von Florian Süssmayr gefallen. Er hat kürzlich im Bethanienhaus in Berlin ausgestellt.
Das habe ich leider verpasst. Im Original habe ich noch nichts gesehen, aber ich habe einen Bildband von ihm, der schon ganz abgegriffen ist. Er hat früher im Münchner Nachtleben Kloschmierereien fotografiert und malt sie riesengroß – drei mal drei Meter mit Öl auf Leinwand. Das finde ich wahnsinnig stark, so etwas Flüchtiges, Banales und manchmal auch Hässliches – das waren zum Teil Beleidigungen oder Telefonnummern von Leuten, die sich zu obskuren Dingen verabreden wollten – zu veredeln und somit vor dem Verschwinden zu bewahren. Ich habe zwei T-Shirts für die Band entworfen, die seiner Ästhetik folgen. Ich wusste, dass Süssmayr eine Punkvergangenheit in der Züricher und Münchner Hausbesetzerszene hat, und habe ihn angeschrieben, ob er unser zweites Cover gestalten möchte.

Wie ging es weiter?
Er hat ewig nicht geantwortet, doch dann meinte er, dass er das ganz toll findet. Ich sollte ihm doch unsere bisherigen Releases und die T-Shirts schicken. Das habe ich gemacht und nie wieder etwas gehört. Das Cover habe ich dann selbst gemalt. Ich bin auch froh, weil es gut war, das selbst zu tun. Und wenn man dann in Plattenläden nicht nur die Schallplatte, die man gemacht hat, sondern auch das Cover sieht – das ist ein sehr schönes Gefühl. Es gefällt mir zu wissen, dass etwas, das man sonst für sich zu Hause im stillen Kämmerlein gemacht hat, von Leuten betrachtet wird, die dabei etwas spüren. Vielleicht finden sie es auch scheiße, aber hoffentlich macht es irgendwas mit ihnen.

Du Hast vorhin von Punkvergangenheit gesprochen. Kommt daher der Name Messer?
Es steckt was von Punk in der Band, aber nicht mit diesem historischen Punk von 1977 und auch nicht mit dem Punk, wie er heute ist. Das ist zu etwas Modischem geworden, wo ich keine Identifikation finde. Es ist viel mehr der Wunsch, sich einer bestimmten Energie hinzugeben und sich nicht einem Begriff unterzuordnen. Punk ist ein unscharfer und diffuser Begriff. Aber auf eine Art haben alle einen gewissen Bezug dazu, was unsere musikalische Sozialisation, die Selbstermächtigung und DIY angeht, das hat in der Jugend eine Rolle gespielt. Jetzt spielt so eine Genre-Idee keine Rolle mehr für mich, eigentlich hat es das auch noch nie so wirklich, ich habe mich immer als Beobachter mit gewissen Affinitäten und Obsessionen verstanden. Aber klar, irgendetwas hat das alles auch mit Punk zu tun. Über unsere zweite Platte »Die Unsichtbaren« wird häufig geschrieben, dass das Post-Punk wäre. Wenn Post-Punk meint, dass die Energie von Punk sich emanzipiert und in Experimenten mündet, dann finde ich das als Etikette okay.

Woher kommt dann der Name?
Erst wollten wir uns Splitter nennen. Doch als ich damals mit einer anderen Band als Roadie mitgefahren bin, kam mir ein Typ mit einem Splitter-Shirt entgegen. Gab es also schon. Auf einer Zugfahrt zu einer Technoparty nach Köln mit unserem Schlagzeuger, dem damaligen Gitarristen und anderen Freunden war der Name Messer dann plötzlich da, und wir fanden ihn gut. Es ist ein starkes Wort, sehr unterschiedlich interpretierbar. Jeder kann sich zurechtlegen, was es bedeutet: Waffe, erstes Werkzeug ….

Die letzte Platte ist schon etwas her und es gab einen Besetzungswechsel. Habt ihr noch diese Energie, von der du gesprochen hast?
Absolut. Wir spielen hier auf dem Pop-Kultur sechs neue Songs und sind mit Milek (Gitarre/Synthesizer) in neuer Besetzung sehr glücklich. Das ist für uns auch eine Premiere, allein dadurch gibt es Energie: weil Reibung da ist. Ich mag unsere alten Songs und die spielen wir auch noch weiter. Aber gerade in der Entwicklung neuer Stücke steckt für mich viel Energie, das ist körperlich spürbar. Da ist gerade Wind in den Segeln, mit dem ich in der Intensität gar nicht gerechnet habe.

Ihr tretet auch im Kontext der linken Wochenzeitung Jungleworld auf. Wie politisch ist eure Musik?
Auf den ersten Blick haben wir keine konkreten Textbezüge zum tagespolitischen Geschehen, aber unsere Musik ist sehr politisch. Ich bin ein politischer Mensch und meine Perspektive steckt ja in der Musik, und die der anderen auch. Es geht aber nicht um so ein konkretes Benennen wie bei den Goldenen Zitronen. Das finde ich super, dazu bin ich aber nicht in der Lage. Ich arbeite eher mit einer bildhaften und metaphorischen Sprache. Aktuell schreibe ich an einem Text, bei dem ich versuche, diese furchtbaren Zustände hinblickend auf die Flüchtlingsthematik zu fassen. Das ist dann vielleicht nicht direkt dechiffrierbar, aber hier habe ich mit der Idee eines politischen Liedes am Text gearbeitet. Vielleicht verändert es sich auch gerade, dass Texte konkreter werden – das wird die Zukunft zeigen.

Muss denn Musik überhaupt politisch sein?
Auf jeden Fall. Musik ist es auch immer. Wenn sie sich als eindeutig unpolitisch kleidet, ist das auch ein Statement – Ignoranz etwa, oder Verdrossenheit. Ich würde das aber nicht pauschalisieren. Musik, die mit Gefühlen zu tun hat, ist immer auf eine Art politisch. Gefühle kommen nicht nur von „Ich bin verliebt“, sondern auch von „Ich bin unzufrieden, wütend oder sehnsüchtig“ – und das hat natürlich etwas mit einer politischen Situation und einer damit in Konflikt stehenden Haltung zu tun. Eine Bundesregierung sorgt ja für Situationen, die in einem Wut erzeugen. Schau dich auf der Welt um: als aufmerksamer, einfühlsamer Mensch kann man nicht unpolitisch sein. Wenn du Wut in ein Lied packst, dann ist diese Ebene automatisch impliziert. Ich sehe mich aber eher in einer Ecke von Musikern, die Energie freisetzen, als politische Antworten zu formulieren – dafür bin ich zu unsicher.

Du sagst von dir, dass du kein trauriger, wütender Zeitgenosse bist. Manche Songs klingen aber danach.
Manchmal bestimmt, aber nicht immer. Im künstlerischen Ausdruck findet man ja auch für Dinge eine Sprache oder einen Gestus, die sonst nicht so leicht rauskommen.

Eure Musik kann ich zum Beispiel nicht bei jeder Gemütsverfassung hören.
Das finde ich gut. Ich will, dass die Musik manchmal auch zu viel für einen ist. Wie jeder Mensch, trage ich auch Abgründe in mir.

.. die niemand jemals erfahren wird (Anm. d. Red. ein Songzitat)?
(Schmunzelt) Im Rückblick auf Zeit, in der ich bei Messer Texter und Sänger bin, habe ich über das Singen und Texteschreiben einen Umgang mit dem Negativen in mir gefunden. Ich bin viel ausgeglichener, auch wenn ich mich auf der Bühne anders auslebe. Künstlerisches Arbeiten hat da sicher auch etwas Therapeutisches. Die viel größere Herausforderung für mich ist es aber, Glück in Texten zu beschreiben. Das Böse ist so grenzenlos und die Abgründe sind so tief – das ist mir immer sehr leicht von der Hand gegangen. Zu versuchen, Glück zu formulieren, ohne die Augen vor dem was auf der Welt passiert zu verschließen und einen Rückzug ins Private zu propagieren, ist viel schwieriger. Ich will sagen, dass ich verliebt und glücklich bin. Aber wenn ich morgens Nachrichten lese, all das ungreifbare Leid mitbekomme, ist das für mich genauso relevant. Das sind Pole, zwischen denen ich pendele.

Mit Glück beschäftigt sich auch das Festival, dass du im September kuratierst.
Ja, das ist thematisch aus dieser Idee geboren: »Versuche von Glück«. Deshalb trägt es diesen Titel. Alle Bands, die ich angefragt habe, haben auf Anhieb zugesagt: Ja, Panik, Die Heiterkeit, Timm Völker und Drangsal. Sie spielen am 26. September im Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde-Stromberg, ein Ort, dem ich mich verbunden fühle. Ich habe da schon ausgestellt, gelesen, mit Messer die Tagebücher von Romy Schneider auf die Bühne gebracht – und jetzt durfte ich Künstlerinnen einladen, die sich mit ezwas beschäftigen, das ich auch interessant finde.

Du bist in einer Phase, in der sich deine Texte verändern. Magst du deine alten Stücke noch?
Es gibt Songs, die für mich schon sehr persönlich sind, wo es um Dinge geht, die in meinem Leben nicht mehr so eine große Rolle spielen. Das findet sich natürlich auch in den Texten wieder. Diese Songs zu singen ist manchmal schon merkwürdig. Andererseits widmet man sich diesen Gedanken und Gefühlen dann in einer besonderen Situation. Letztendlich singe ich die Stücke gern, freue mich aber sehr über neue Sachen, da bin ich gerade näher dran. Ich bin ein Mensch, der sich künstlerisch schnell langweilt. Ich habe Lust, mit meinen Freunden neue Musik zu machen.

Gibt es schon etwas Konkretes?
Wir spielen die ersten Songs nur live. Das ist noch Zukunftsmusik. Wir haben in Münster eine Art Labor, unseren neuen Proberaum am Hafen, wo wir ein kleines Studio eingebaut haben. Da tüfteln wir, im Verborgenen …

Als ihr Messer gegründet habt, wart ihr zum Teil noch Studenten. Wie schafft ihr das jetzt?
Wie teilen uns die Aufgaben, das klappt ganz gut eigentlich. Manchmal ist es aber schon krass. Als wir unsere Tour in China hatten, war das schon sehr anstrengend, aber wir ergänzen uns ganz gut.

Was treibt dich an, das alles zu tun?
Das weiß ich nicht, aber ich finde es gut, dass es so ist.

_________

Hendriks Malerei

Messer auf Soundcloud

_________

Was denkst Du?