Lene Vollhardt: „Identität und Massenmedien sind Zwillinge“


Foto: Tulip Spring/Heidi Herzig

Auf dem Studiodach der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe liegt ein weißer Staubfilm: Magnesium. Es stammt von Studierenden, die hier hin und wieder Performances einüben. Mit Lene Vollhardt (31), Filmemacherin und Medienkunst-Studierende an der HFG, bin ich die Stufen bis in den dritten Stock dorthin hochgestiegen und wir bemerken den Staub zu spät, erst nach dem wir uns gesetzt haben, an den weißen Abfärbungen auf unseren schwarzen Hosen. Lene performt selbst oft, auch in ihren Filmen, unter anderem hat sie schon für Sasha Waltz getanzt. Anfang des Jahres wurde sie und Seraphine Meya für den gemeinsamen Film „Registraturfragmente eines Vagen Krieges“ ausgezeichnet – im Rahmen des FOKUS Video Art Festival der Nikolaj Kunsthal, Dänemarks größtem Videokunst-Festival. Das Werk ist ein filmischer Essay in dem historische, mythologische und aktuell politische Frauenrollen collagiert werden, bestimmte Momente des Krieges werden als prägend für die Gegenwart hervorgehoben. Lene spielt in dem Kurzfilm eine Nachrichtensprecherin, die den Verlauf der morbid-ästhetischen Szenen moderiert. In ihrer künstlerischen Arbeit beschäftigt Lene sich immer wieder mit weiblichen Rollenbildern, sie erforscht diese und eignet sie sich auch an. Trotzdem ist sie eher kamerascheu und würde am liebsten kein Bild für dieses Interview abgeben müssen.

Lene, in dem Film „Registraturfragmente eines Vagen Krieges“ hast du das Thema Frauen im Ersten Weltkrieg aufgearbeitet. Warum diese Thematik?

Tatsächlich hatte die Stadt Karlsruhe im Rahmen der Europäischen Kulturtage geplant, eine Arbeit zu diesem Thema in Auftrag zu geben. Aber auf die offene Anfrage gab es kaum Resonanz. Die Rolle der Frau im Ersten Weltkrieg – da haben sich wohl nicht viele herangetraut. Es ist auch schwer zu bearbeiten. Zum einen, weil Frauen nicht im Fokus der medialen Aufarbeitung stehen und zum anderen, weil es ein sehr aufgeladenes Thema anvisiert.

Dich hat das aber nicht eingeschüchtert?

Das hat mir nichts ausgemacht, nein. Krieg und Frauen – da gibt es viele historische Verknüpfungen. Eines der ältesten Symbole der Gesellschaft ist die Doppelaxt. Sie ist sowohl die Axt der Amazone, als auch die der großen Göttin – zeigt Marita Gimboutas, eine Archäologin, auf. Im Prinzip interessiere ich mich für Mythologie, Archäologie, woher Rollenbilder ursprünglich kommen und welchen Weg diese dann durch die Gesellschaft gegangen sind. Darum hat mich das von der der Stadt Karlsruhe vorgegebene Thema angesprochen und ich habe das so richtig mit einer Lust recherchiert, weil ich interessant finde, wie Erinnerungskultur mit Fokus auf weibliche Rollen funktioniert.

Wo ist denn der Zusammenhang zwischen Erinnerungskultur und deinem Film „Registraturfragmente eines Vagen Krieges“?

Gerade in Deutschland ist Erinnerungskultur sehr wichtig und leistet viel Aufklärungsarbeit. Die Art und Weise wie das Erinnern institutionalisiert wird, finde ich sehr interessant, aber auch irreleitend, denn wir schaffen dadurch Erinnerungen an Erinnerungen. Es ist eigentlich nicht möglich, kollektiv zu erinnern, weil Geschichte persönlich ist und jeder sie anders erlebt. Und doch gibt der Kulturbetrieb sehr viel Geld dafür aus, um repräsentative Bilder für eine gemeinsame Erinnerung zu schaffen. Solche Erinnerungen sind subjektiv, aber trotzdem ermöglichen sie Zugang zu dem, was in einem Krieg passiert ist. Geht es also um das Leid von Frauen im Ersten Weltkrieg, so finde ich in den Erinnerungen anderer auch Resonanz, obwohl ich das selbst nicht durchgemacht habe. Mein Film heißt „Vage Kriege“, weil man typische Gewalttaten an Frauen gar nicht sehen kann. Zum Beispiel eine Vergewaltigung. Wenn eine Frau vergewaltigt wurde, ist sie danach nicht unbedingt blutüberströmt. Da ist sehr vieles unsichtbar geblieben, weil geschämt und nicht öffentlich erinnert wird.

Du betonst die deutsche Erinnerungskultur, wobei in Bezug darauf die Rolle der Frau doch auch eher unbedeutend und klar männerbezogen ist?

Absolut ja. Die Amerikanerin Susan Sontag schreibt viel dazu in „Das Leiden anderer betrachten“. Dieses Buch war für meine Arbeit sehr wichtig. Es gibt diesen Helden-Pathos im Krieg und da hat eine Frau erst einmal nichts verloren. Obwohl Frauen in Kriegen sehr wichtige Rollen hatten.

Wie sehen diese Rollen aus?

Zwei Rollen, die sich zueinander widersprüchlich verhalten, sind zum Beispiel: „die Krankenschwester“ und „die Etappenhelferin“. Die Krankenschwester war im Ersten Weltkrieg das Idealbild einer Frau. Fast schon gleichzustellen mit einer Heiligen. Auf Feldpostkarten wurde sie oft wie eine Marienfigur in Szene gesetzt. Diese Frau wurde verehrt, weil sie sich ganz dem Dienst an den Kriegsopfern verschrieben hatte und damit auch aufgab, einen Mann und Familie zu haben. Denn beides war zu der Zeit nicht vereinbar. Dagegen die Etappenhelferin – sie arbeitete im administrativen Apparat um die Front. Sie organisierte, plante Essen und andere lebensnotwendige Dinge und doch wurde sie im Gegensatz zur Krankenschwester als Prostituierte geächtet.

Wie kann man sich diese gegensätzlichen Stereotype erklären? Und warum hat die Etappenhelferin so ein negatives Bild?

Über die idealisierte Rolle der Krankenschwester habe ich hauptsächlich im Deutschen Volksliederarchiv in Freiburg recherchiert und dort auch Interviews geführt. Aus anderen Quellen habe ich aber gehört, dass es auch ein zweischneidiges Schwert war, Krankenschwester zu sein. Dass auch dieser Beruf sexualisiert wurde. Da gibt es unterschiedliche Ansichten. Dass Etappenhelferinnen schlecht angesehen wurden lag wohl an der sehr strikten Rollenverteilung: Die Frau gehört zu Hause an den Herd…

…ist Mutter und gebärt Kinder?

Richtig.

Die Gebärende hat im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle gespielt.

Das ist vielleicht inzwischen präsenter, aber das Gebären von Kanonenfutter war auch schon im Ersten Weltkrieg ein wichtiges Thema. Vor allem in Frankreich, weil die Deutschen sehr geburtenstark waren und somit für Soldaten-Nachschub gesorgt war. Das hat die Franzosen unter Druck gesetzt. Deswegen versuchte die Regierung, ihre Bürger mit Kampagnen zu motivieren, mehr Kinder zu zeugen. Das führte zu surrealen Theaterstücken, die diesen Druck widerspiegeln: Da gibt es das Theaterstück „Les mamelles de Tirésias“ von 1917, in dem eine Frau ihre Brüste ins Publikum wirft, ein Mann wird und 49.051 Kinder an einem einzigen Tag gebärt, um dem Bedarf gerecht zu werden.

Kein schöner Begriff, aber: Volkszüchtung?

Ja, das war ein großes Thema, aber das würde jetzt zu weit führen. Generell war zwischen Frankreich und Deutschland schon immer eine Art Konkurrenzkampf da. In Deutschland gab es auch ein ganz anderes Verhältnis zur Erziehung von Kindern als in Frankreich. Und das ist immer noch so. Die deutsche Mutter soll sich immer noch idealerweise zu Hause um die Kinder kümmern, während es in Frankreich normal ist, dass man zwei Wochen sein Kind stillt und danach wieder arbeiten geht.

Mussten im Ersten und Zweiten Weltkrieg Frauen nicht sehr oft Männerarbeiten verrichten, weil die Männer an der Front waren?

Das stimmt. Es gab zum Beispiel viele Kriegsberichte und Gedichte, die von Frauen geschrieben wurden. Das ist ein Fakt, den ich besonders außergewöhnlich finde und der mir nicht in den Sinn gekommen wäre. Zu der Zeit wurde besonders viel von Frauen publiziert.

Gibt es eine Frau, die man in diesem Kontext kennen sollte?

Sehr aktiv war Marie Fesche. Sie gab eine Anthologie mit düsteren romantischen Gedichten heraus, die von Frauen verfasst wurden, sie sprechen mich sehr an.

Deine Arbeiten haben auch eine düstere Ästhetik…

Davon kann ich mich nicht lossagen und darum habe ich wohl auch diesen besonderen Zugang zur Anthologie von Marie Fesche gefunden.

Du beschäftigst dich aber nicht nur mit Frauen im Krieg, sondern auch mit anderen Frauenrollen. In deiner Videoperformance „Anatomy of a Paper Girl“ greifst du „Barbie“ auf – um was geht es dir da?

Ich habe mich in dieser Arbeit mit Barbie-Werbung aus den 60er Jahren und der Medialisierung des weiblichen Körpers auseinandergesetzt. Diese Filme haben mich – als ich sie zum ersten Mal gesehen habe – derart gegruselt, dass ich sofort wusste, dass ich mit ihnen arbeiten muss. Sie zeigen offensiv, wie kleinen Mädchen vorgeschrieben wird, wie sie sich anziehen und verhalten sollen. In dem Video tanze ich wie eine kranke Barbie, in lila Schuhen mit Barbie-Schnitt, während Projektionen der alten Barbie-Werbefilme über meinen Körper flimmern, mit denen ich interagiere.

Dann gibt es noch deinen Werkzyklus Elektra Möbius…

Mit dem Elektra Mythos beschäftige ich mich seit 2011 immer wieder, darum ist Elektra Möbius inzwischen eine fortlaufende Serie geworden. Elektra ist der Ur-Prototyp des jungen Mädchens, wie wir sie heute kennen, der griechischen Kultur entsprungen, auf die unsere Kulturgeschichte (stark) aufbaut. Elektra hat wenig Handlungsspielraum, ist hysterisch, und halluziniert, im Prinzip sind ihr die Hände gebunden. Mich hat das Buch Anti-Elektra von Elisabeth von Samsinov beeinflusst, welches formal an „Anti-Ödipus“ von Gilles Deleuze/Guttari angelehnt ist. Da geht es darum, die Konstruktion des jungen Mädchens zu dekonstruieren und aufzuzeigen, welchen Weg diese Rolle gegangen ist und wie uns das auch heute noch beeinflusst. In meinen Elektra-Arbeiten lasse ich Elektra, in ihrer Befreiung aus dem griechischen-patriarchalen Interpretationsansatz, das tun, was sie tun muss.

Kannst du auch was dazu sagen, wie sich die Selbstdarstellung der Frau seit 1914 verändert hat?

Heute ist die Selbstdarstellung ja sehr wichtig, vor allem durch die massenmediale Hyperbeeinflussung. Ich würde sagen, Identität und Massenmedien sind Zwillinge, die sich im Unterleib materiell verloren haben, da beide unterschiedlich materialisiert wurden, jedoch nie ihre Symbiose vergessen werden.Aber im Ersten Weltkrieg war es das auch schon. Frauen haben sich vor 1950 vor allem über Treue definiert (Wirklich die Frauen oder sie wurden so idealisiert? Ich würde sagen, Treue stand sehr hoch im Kurs, ja): Die treue, goldene Frauenseele – da gibt es unheimlich viele Postkarteninszenierungen und Gedichte. Ich glaube das zur Zeit des Ersten Weltkriegs diese zwei Medien hauptsächlich zur Selbstdarstellung genutzt wurden. Zum Zweck der Affirmation und Identitätsbestätigung. Und die Feldpost wurde auch gesammelt und in Zeitungen veröffentlicht. Der Bürger als Produzent und nicht nur als Adressat von Kultur.

Also war die Feldpostkarte ein wichtiges soziales Medium?

Ja, früher waren Postkarten sehr wichtig. In den Karten steckte viel Hoffnung und Ikonographie – sehr kitschig. Die Frau war das aktive Opfer – es ging darum selbst ein Opfer zu bringen, nämlich den Ehemann oder den Sohn, das machte eine gute Frau aus. Die selbstständig geben kann. Filme waren noch nicht für die breite Masse zugänglich, aber Theaterstücke natürlich. Und Gedichte. Aber sehr blutige. Opfergaben. Sehr körper- und naturverbunden. Der Frau von nebenan war zwar der große Ruhm vorenthalten, welcher heute die Bloggerinnen Kultur potentiell antreiben mag. Die Selbstdarstellung wurde während des ersten Weltkrieges demokratisiert, jedoch eigentlich erst seit der Bloggerkultur individualisiert. Im 18. Jahrhundert ging es um das Finden einer deutschen Nationalkultur, aus der dann diese Bürger-Kulturproduktionslust entsprang.

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