An manch seltenen Tagen wirkt Berlin ausgestorben. Heute ist einer dieser Tage und es wird bereits dunkel als ich den jungen Theater Regisseur Ersan Mondtag treffe. Er hat gerade eine Spielpause und ist in seiner Heimatstadt Berlin. Nicht weit entfernt von seiner alten Nachbarschaft finden wir uns in Neukölln im K-Fetisch ein. Er wirkt ruhig und gelassen, fast ein bisschen verträumt. Ganz im Gegenteil zum dem Bild, das sonst von ihm gezeichnet wird.
In München hat Ersan einen provokativen Nachgeschmack hinterlassen, aber dennoch große Befürworter wie Prof. Bernhart Schwenk gefunden. Nach dem Abitur hospitierte er bei einigen Regisseuren, bis es ihn nach München an die Otto-Falckenberg-Schule zog, wo er zusammen mit Kommilitonen das Künstlerkollektiv ‚Kapitael 2 Kolektif‘ initiierte. Eine Performance-Gruppe, die Schauspiel-, Tanz- und Filmstudenten vereint mit freizügigen Inszenierungen zwischen Theater und Musik. Ersan agiert als exzentrischer Fadenzieher, marschierte in seiner ersten Regieübung mit einem Trupp von Schauspielern in Roboter-Schritten an den Luxusboutiquen der Maximilianstraße entlang, übergross sein nacktes Kollektiv mit Kunstblut in der Sinfonie #1 und veranstaltete eine Partyreihe mit aufwendigen Raum-in-Raum-Konstruktionen oder Fastenbrechen via Skypeverbindung in die Türkei. Für ihn ist sein Schaffen keine Provokation, doch er spielt gerne mit Grenzsituation. Dazu gehört ebenfalls die „1984“-anmutende 9-tägige Dauerperformance Konkordia, die er im September in der Schaustelle der Pinakothek als lebendes Experiment realisierte. Nachdem er seine Regieausbildung in München nun vorzeitig beendete, ist er aktuell am Schauspiel Frankfurt im Regiestudio engagiert.
Ersan bei deinen Inszenierungen bist du nicht nur still im Hintergrund, sondern trittst mit Megafon auf die Straße oder stehst auf der Bühne und überschüttest die Schauspieler mit Kunstblut…
Das ist eine Position, die man dadurch auch gleichzeitig ausstellt. Es gibt ein Spiel und dieses Spiel hat bestimmte Regeln, es wird aber auch geleitet. Jede Inszenierung hat eine Regie, eine Person, die von außen darauf guckt, einen Spielleiter. Wenn ich ans Mikrofon trete und live Regie führe, ist es auch eine Zurschaustellung meines Verhältnisses dazu.
Schauspieler bist du aber nicht?
Nein, Schauspieler bin ich nicht, aber Performer. Ich habe gemerkt, dass ich Leute gut zusammenführen und koordinieren kann. Bei Konkordia habe ich auch die Spielleiterfunktion übernommen. Wir haben 9 Tage performt. Konkordia war jedoch viel komplexer und größer als meine vorherigen Projekte. Es war keine Performance, die man sich am Stück ansehen konnte, sondern es war ein Zusammenleben. Da hatte die Spielleiterfunktion noch mal eine ganz andere Dimension, weil sie Verantwortung für Menschen übernahm, die für eine bestimmte Zeit nach totalitären Regeln leben mussten. Also es auch eine psychische Belastung gab, die man kontrollieren musste. Wie weit kann man das Spiel treiben, dass es spannend bleibt, und ab welchem Punkt wird es verantwortungslos.
Musstest du als Spielleiter auch druchgreifen?
Es ist alles im Rahmen geblieben, wobei es in Konkordia einige Situation gab, bei denen Performer Nervenzusammenbrüche hatten oder Zuschauer mit Gewalt eingeschritten sind und Dingezerstört wurden. Wenn ich Anweisungen gebe, werden sie ausgeführt, was nicht heißt, dass alles nur nach meinem Willen läuft.
Konkordia war ein Experiment, was wolltest du damit herausfinden?
In erster Linie wollte ich Mechanismen untersuchen, die man ständig in der Theorie beschreibt. Man spricht ständig von irgendeiner Repression, die unsichtbar sei. Demokratie sei schwierig und die ganze westliche Welt sei voll von Repressionen, aber wir würden sie gar nicht sehen, wir sind völlig frei. Und mal zu gucken, wie kann man Mechanismen rekonstruieren und so zu spitzen, dass man diese vermuteten Dinge wirklich erlebt und dann auch für sich sichtbar macht.
Du sagst die repressiven Rahmenbedingungen wie die Software und die Linien wurden völlig vergessen, ist das nicht erschreckend?
Ich weiß nicht, ob es erschreckend ist, das hat immer so etwas Romantisches. Es ist eigentlich total banal. Es gibt immer ein Konstrukt innerhalb dessen man sich bewegt. Ein großer Erfahrungswert an dieser Performance ist, dass man weiß, man bewegt sich immer in einem Gerüst. Aber Gerüst bedeutet es ist wechselbar, man kann es umbauen. Dass man dieses Gerüst sieht und empfindet, war unser Ziel. Dadurch konnte man überhaupt erst über dieses Gerüst sprechen, es in Frage stellen. Doch das Bewusstsein für das Gerüst ist uns ein bisschen abhanden gekommen.
Wurde es nicht hinterfragt?
Doch, es ist ganz viel passiert. Am Anfang war klar, es ist eine Performance, ein Kunstwerk und keine Realität, aber die Wahrnehmung hat sich relativ schnell vermischt. Schon am zweiten Tag wurde über meine Position innerhalb des Ganzen diskutiert, obwohl wir konzeptuell ausgeschlossen hatten, in der Metaebene von der Performance zu sprechen, damit dieses Spiel funktionieren kann. Doch es kam so schnell dazu, da ich sehr präsent war, weil wir mit der Software nicht fertig wurden. Deshalb musste ich manuell eingreifen und habe auch versucht, Dinge zu inszenieren.
Was blieb als Erfahrung?
Es ist vor allem viel kaputt gegangen. Es war sehr belastend. Das Projekt war sehr groß angelegt und in sehr kurzer Zeit entwickelt. Wir haben alle kein Geld mit diesem doppelten Vollzeitjob verdient und wir mussten für die Finanzierung viel Geld akquirieren, obwohl uns letztendlich die Pinakothek komplett gefördert hat. Durch die kurze Zeit haben sich nicht genügend Performer gefunden. Eigentlich war es auf 65 Personen ausgelegt. Pragmatisch haben 20 Arbeitskräfte gefehlt. Das hat zu Schwierigkeiten im Ablauf geführt. Stationen wurden teilweise nicht belegt. Ich habe mir das von oben als Choreografie vorgestellt, die Menschen auf den Linien, aber es hat sich nicht so eingelöst, da zu wenig Bewegung war.
Du meintest es ist viel kaputt gegangen?
Gegen Ende kam man in Konflikte. Es gab Meinungsverschiedenheiten. Dass zwanzig Personen fehlen, hat spontane konzeptuelle Veränderungen erfordert. Meine Rolle war Konfliktfeld gewesen. Für mich war es eine Installation mit Menschen, ein Theater ohne ein
Theaterstück. Es gab aber auch eine starke Fraktion von Leuten, die das Spiel ohne Eingriff laufen lassen wollten. Das war teilweise technisch nicht möglich und erlangte dadurch auch eine bestimmte Dynamik. Ich mochte diese Dynamik vor allem aus künstlerisch-ästhetischen Gründen nicht, es wurde langweilig. Ich habe beispielsweise versucht, einigen Performern Informationen zu zu spielen, sodass eine Demonstration entstand.
Du scheinst einen ausgeprägten Spieltrieb zu haben.
Lass es mich so umschreiben: Wenn man am Theater als Regisseur arbeitet, dann arbeitet man acht Wochen lang in einem Raum mit verschiedenen Menschen zusammen und schafft Situationen dafür, dass bestimmte Menschen auf der Bühne auf eine bestimmte Art und Weise, in einer bestimmten Form miteinander funktionieren. Und Jeder trägt seinen Teil dazu bei. Wenn man jetzt eine Performance macht, die über mehrere Tage geht und bei der man nur Regeln aufstellt, dann hat man natürlich auch den Drang, währenddessen einzugreifen und zwischendurch
zu gestalten. Das macht total Spaß und die Leute tun auch das, was man ihnen sagt, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Das war eine krasse Machtposition, die dann auch diskutiert werden musste und sichtbar bleiben sollte.
Hattest du am Ende zu viel Macht?
Oder zu viel Gestaltung? Das ist eine grundsätzliche Frage, die man beantworten muss. Lässt man das Spiel einfach für sich selbst gehen oder greift man ein, weil man eine Dramaturgie verfolgt, eine Erzählbarkeit für den Zuschauer.
Du hast damals noch in München gewirkt, wie hast du die Stadt empfunden?
Ich hatte mich an der Otto Falckenberg Schule für Regie beworben, mit der Stadt hatte ich mich nie wirklich befasst. In Berlin habe ich als Regieassistent gearbeitet, zuletzt an der Volksbühne bei Vegard Vinge. Mit der Zusage bin ich völlig naiv nach München gegangen. Bis heute habe ich keine gute Beziehung zu der Stadt. Es ist eine komplizierte Stadt, man bekommt nicht so einfach einen Zugang. Ich habe mir dann neben dem Theater noch andere Kreise aufgebaut, aber am Anfang war es schwierig. Es waren so simple Dinge wie, dass man in Cafés nicht rauchen kann.
Wie lange warst du an der Otto-Falckenberg-Schule?
Zwei Jahre, ich bin letzten Sommer jedoch gegangen und habe ein Zwischenzeugnis bekommen, was auch immer das heißt. Die Schule kann ein Zugang für eine spätere Beschäftigung sein, das muss sie aber auch nicht.
Du hast nun in Frankfurt Regie bei 2. Sinfonie Rausch geführt als Fortführung einer Regieübung aus München?
Es war eine Stückentwicklung. Ich habe mit dem Kollektiv ein Prinzip entwickelt, das war die erste Sinfonie. Es ist simpel. Es gibt einen Komponisten oder Komponistin, die eine Sinfonie in fünf Sätze komponieren, die dann inszeniert werden. Es werden Gespräche geführtdiese werden aufgezeichnet und transkribiert mit allen Kommas, Punkten und Äs. Daraus entsteht eine Textfassung. Und die Bilder funktionieren so, dass man das Auditive und Visuelle trennt und gegensteuert. Das habe ich in der 2. Sinfonie auch versucht anzuwenden, aber es ist nicht so ganz gelungen.
Wie hat sich die Sinfonie weiterentwickelt?
Total anders, sie ist am Stadttheater. Die erste Produktion war frei in einer großen Fabrikhalle über Crowdfunding finanziert. Es waren ziemlich viele Leute aus allen Disziplinen involviert, die motiviert unentgeltlich mitgemacht haben. Die Zweite war ziemlich gepresst in einen Stadttheaterbetrieb, natürlich in der kleinsten Spielstätte mit dementsprechend auch den kleinsten Mitteln.
Das heißt selbst, wenn man nun die Chance hat am Theater zu inszenierten, ist es deshalb trotzdem nicht leichter?
Es ist anders, es kommt darauf an wie man gebucht wird. In meinem konkreten Fall ist es ein Programm, es nennt sich Regiestudio. Es wurden drei Nachwuchsregisseure ausgewählt, eine kleine Spielstätte zu bespielen, gestalten und einen eigenen Spielplan zu gestalten. Sie ist ziemlich klein, es ist eine Box. Jeder von uns macht dort zwei Produktionen, sowie eine in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurts.
Was erwartet uns dann als Nächstes von dir aus Frankfurt?
Für das Schauspiel Frankfurt habe ich gerade eine Messe für Rainer Werner Fassbinder entwickelt, die voraussichtlich ab März im Spielplan sein wird und ich arbeite gerade mit der Dramaturgin und Autorin Rebecca Lang zusammen an einer Inszenierung zu Franz Kafkas „Das
Schloss“.
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