Kapstadt

In der Reihe „Lyrisches Ich“ präsentieren wir genreübergreifende Texte über Identität oder Digitalität, gemäß dem Verständnis: Das lyrische Ich entsteht aus dem gegebenen Ich, das sich in der formalen Einheit des Kunstwerks auflöst (Margarete Susman).

Text von Sharyhan Osman.
Illustration von Lina Augustin.

Lina AugustinDie Sonne senkt sich.

Der Nebel hängt über dem Tafelberg wie eine schwere, milchige Suppe. Wir fahren zu überirdisch klingender Musik durch dieses weite Land.

Das Land und der Himmel glühen, während meine Augen brennen. Wir drehen die Musik lauter, verwandeln unser Auto in etwas, das fliegen kann. Wir freuen uns, dass wir leben.

Der Tafelberg ächzt unter der dicken Wolkenlast. Die schattenhaften, dunklen Silhouetten einiger Menschen bahnen sich den Weg entlang auf der Straße, die wir entlang fahren. Sie wandern zurück in ihr wellblechernes Zuhause.

Goldener Nebeldunst hängt über einer bewegten Gischt, die wieder und wieder an die Felsen drängt und drischt. Es gibt keine Worte, die das unermessliche Leid und die zugleich unglaubliche Schönheit dieses Landes beschreiben.

Wellen und Wind peitschen gleichermaßen auf das Land ein. Es ist beinahe so, als würden zumindest die Gezeiten mitfühlen mit ihnen, den geschundenen, schwarzen Leibern Afrikas, deren armselige Behausungen sich wie eine Verheißung bis zum Horizont hinausstrecken.

Wir fahren weiter hinein in eine gleißende, ungerechte Sonne. Ich bewege mich zur Musik, möchte ihren Schmerz abschütteln, der mich tief bis in die Knochen packt.

Unser Weg führt uns auf sandiger Straße entlang und auf einmal liegt das Wunder Afrikas wirklich vor uns. Nicht die unzähligen Weingüter, schicken Bars und Restaurants. Lebensfrohe Menschen sind blind, schreit es in mir. In diesem Land müssen sie es sein. Blind und weiß. Das Leben gehört uns nicht.

Die Sonne blitzt ein letztes Mal durch die Berge und taucht alles in ein glänzendes orangerosarot. Der weiße Sand wird aufgewirbelt von einem Möwenschwarm, der aus der Ferne aussieht, als wäre er selbst eine schwarze Welle, die vor und zurück schwemmt und sich wie im Tanz hinab stürzt, um kurz darauf wieder empor zu steigen.

Wir tanzen wie Kinder, rennen im warmen indischen Wasser und in soviel Sonnenlicht. Es fühlt sich an wie Fliegen und ist das Schönste, das ich je gesehen habe und vielleicht je sehen werde. Vielleicht sind wir nicht schlecht. In diesem einen Moment, der uns so tief und pur packt und mitreißt, möchte ich fast daran glauben.

Text von Sharyhan Osman.
Illustration von Lina Augustin.

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