Außerirdisches Transmediale-Tagebuch

Transmediale – als das Medien-Kunst Festival Ende der 80er Jahre das erste Mal als Sonderprogramm der Berlinale stattfand, wurden darunter alle medialen Produktionen zusammengefasst, die aus dem Rahmen fielen. Von einer Rand-Veranstaltung kann man im Jahr 2017 nicht mehr reden und Film steht auch nicht im Vordergrund. Die digitale Welt hat sich seit 1988 ihren Weg gebahnt, tief in unseren Alltag und als Erweiterung unserer selbst. Am 2. Februar wurde das Festival zum 30. Mal im Haus der Kulturen der Welt eröffnet. Und ich war das erste Mal dabei.

3. Februar 2017

Am ersten Tag des Festivals komme ich zu spät zu dem Panel, das ich mir eigentlich anschauen wollte. Vor der verschlossenen Tür zum Saal bildet sich bereits eine lange Schlange. Unter die Berliner Kunstszene mischt sich internationales Publikum und auch Eltern mit ihren Kleinkindern wollen sich unbedingt anhören, wie sich unter dem Titel „New Paradigms“ die Informations-Gesellschaft weiterentwickelt hat.

Weil ich keine Lust habe mich anzustellen schaue ich mich weiter um. Neugierig gehe ich in einen Nebenraum, in dem eine Gruppe von Menschen gerade einen Eimer mit einer Flüssigkeit hochhebt, so weit, dass sie durch die Schläuche fließt, die an der Decke des Raums entlangführen und auf der anderen Seite in einer Maschine enden. „Die Maschine wird dazu benutzt, um Urin auf Drogen zu testen“, erklärt die Workshop-Leiterin mit lila Haaren, „Und das machen wir jetzt auch mit unseren eigenen Proben“. Ich frage nicht weiter nach, frage aber mich, wo ich hier gelandet bin.

Zu dem Panel komme ich schließlich doch noch rein. Auf der Bühne redet eine Mikrobiologin über neue Organismen, die „designed“ werden und bald müssen dann für Schnitzel keine Kühe mehr sterben, weil sie einfach aus dem 3D Drucker kommen.

Voll motiviert durch diese gute Nachricht für alle Pseudo-Schnitzel-Liebhaber, gehe ich noch zu einem Filmscreening über die Herkunft und den Verbrauch seltener Metalle und Erden. In Smartphones, Laptops, Tablets, überall sind sie enthalten. In „The Silver Mountain“ portraitiert Armin Thalhammer das Leben von Bergwerkarbeitern in Bolivien. Im Schnitt stirbt in den engen Tunneln ein Arbeiter pro Tag, darunter auch Kinder. Betroffen gehe ich nach Hause – mein Ipod begleitet mich mit meinem Lieblingstrack, das Iphone in Hand.

4. Februar 2017

„Es kommt mir so vor als wären wir in einer außerirdischen Welt, dabei waren wir die ganze Zeit auf der Erde.“ – zitiert Finn Brunton in seiner Keynote während des Panels „Prove that you are not human“. Damit beschreibt er ganz gut meine bisherige Transmediale-Erfahrung. Er redet über die Kommunikation mit einem parallelen Leben, mit dem Un-menschlichen („… und ich meine damit nicht Seesterne oder Delphine“), erzählt von genialen Mathematikern und Algorithmen. Doch nach Tag zwei, frage ich mich, ob es Sinn der Sache ist, dass da vorne Wissenschaftliche ihr Paper so monoton vom Blatt ablesen, dass selbst das außerirdische Leben nicht mehr spannend genug ist, um meine Aufmerksamkeit zu fesseln.

5. Februar

Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben und wage mich in eine Diskussionsrunde mit dem Titel „Mediterranean Tomorrows“. Die Beschreibung klingt vielversprechend und weniger theoretisch. Tatsächlich bin ich sofort begeistert von dem griechischen Architekten und Philosophen Aristide Antona.

„Ich möchte den Raum nutzen und präsent machen, der bislang ungenutzt ist“, erzählt er und zeigt uns seine Visionen. Fantasievolle, komplexe Gebilde in Schwarz-weiß befinden sich in seinen Designs dort, wo sonst leerer Raum werde. Auf die Frage, wie wichtig Kunst in unserer Welt sei, antwortet die Moderatorin Heba Y. Amin: „Kunst soll keine Lösung sein, sie darf nicht unter Druck geraten.“ Das finde ich gut, denn bislang hatte ich den Eindruck, dass Design und Fantasie auf der Transmediale mit allen Welt-Problemen in Verbindung gebracht wurden, von politischem Rechtsdruck bis Tierquälerei.

Zum krönenden Abschluss schaue ich mir die Ausstellung „Ever Elusive“ auf der Transmediale an. Und bin begeistert. Schon als ich den dunkel gehaltenen Raum betrete, fühle ich mich als würde ich heimlich eine Schaltzentrale betreten.

Auf einem Bildschirm vor mir flackert ein Kühlschrank. Der Kühlschrank siniert in verzerrter Stimme über sein Dasein. Weiter hinten ist die Installation von Johannes Paul Raether: Protekto.x.x.5.5.5.1.pcp. Da stehen viele Menschen um einen Tisch, wie er in jedem Apple Store zu finden ist. Auf dem Tisch „liegt“ einer der langgezogen „Drag-Charaktere“ des Künstlers. Das Wesen ist aus Gallium, einem Metall, dass sich leicht verflüssigt und daher so aussieht, als könnte es jeden Moment seine Form ändern. Die Besucher bekommen Kopfhörer, die sie in die Figur einstecken können, um sich einen Track anzuhören und sie zu einer Art Körperprothese zu machen.

Total fasziniert ist auch Ina, Freundin und Kuratorin im Zeppelin Museum am Bodensee. Berliner treffen sich ja nie zweimal. Aber vielleicht gilt das nicht für Nicht-Berliner. Zum dritten Mal begegnen wir uns jetzt schon in Ausstellungen in Berlin ohne Verabredung. Vielleicht ist das mit der Naturwissenschaft und der Kunst genauso: sollte man die Verbindung nicht erzwingen, aber hin und wieder treffen sie eben aufeinander und dann kommen so seltsame Erfindungen wie gedruckte Schnitzel zustande.

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