Martin Petersen: „Moral ist oft ritualisiert.“

Martin_Petersen©Natalie_Mayroth-

Auf dem rechten Arm hat er ein Pizzastück tätowiert. Sein Blick ist ein wenig schüchtern aber sehr sympathisch. Martin Petersen ist Artdirector beim Sova Magazin und betreibt Grafikdesign, Fotografie, Konzeptkunst, Kleinverlagswesen, Kuration und teilweise Performance-Kunst. Er ist Mitbegründer des Cabinet Gold van d’Vlies, bestehend aus fünf Kreativschaffenden aus Bremen, Leipzig und Berlin. Am 01. März ist bei Sova Books sein erstes Künstlerbuch A Lovers Discours erschienen. Im betahaus in Berlin treffen wir uns auf Kaffee und Limo und sehen uns Auszüge aus seiner Arbeit an. Seit vier Jahren beschäftigt er sich mit Fotografie. Er hat unter anderem bei Mareike Föcking und Peter Bialobrzeski Fotografie studiert und hatte bereits einige Ausstellungen in Hamburg und Bremen. Seine fotografischen Arbeiten zum Thema Beziehungen drehen sich um Liebe und Freundschaft, weit weg von Heteronormativität. Er stellt sich die Frage: „Gibt es Freundschaft überhaupt?“ Durch die Betrachtung seiner Fotos hatte ich das Gefühl, sofort in einen kleinen und intimen Teil des Komos eines völlig fremden Menschen hineingezogen zu werden.

Ein Gespräch mit Martin über Moralvorstellungen.

Martin, bei deinen Bildern auf deinem Fototagebuch colourcritique.com zeigst du sehr offen Sexualität und Intimität. Viele Menschen haben wahnsinnige Angst zu viel im Internet über sich preiszugeben. Du und deine Freunde anscheinend nicht! Was ist deine Motivation?

Mit colourcritique will ich zeigen, dass es auch andere Formen von Beziehungen, Sex und Freundschaft in der Gesellschaft gibt. Das ist uns allen bewusst und wir leben auch dementsprechend, aber keiner würde offenbaren, wie seine Wirklichkeit aussieht. Die Motivation meiner fotografischen Arbeit ist ein schamlos selbstdarstellerischer Selbstversuch zu Beziehungen und persönlichen Bindungen, die über monogame und heteronormative Standards der Gesellschaft hinausgehen. Praktisch für eine nicht moralistische und postromantische Sprache der Liebe. Mir geht es um ein Aufbrechen des Schamgefühls.

Du zeigst viele Geschlechtsteile. Trotz so geballter Intimität bleiben die Bilder sehr rätselhaft. Wie kann das sein?

Man erkennt ja nie wirklich was genau passiert, man kann es sich nur aus der eigenen Vorstellung erschließen. Man fühlt sich als Betrachter in eine Privatsphäre hineingezogen und möchte mehr wissen. Ich zeige keine Geschlechtsorgane, ohne eine Geschichte dahinter zu haben. Das was ich mache ist nicht pornografisch, sondern Intimität auf einer künstlerischen Ebene dargestellt. Gerade wegen der versteckten Geschichten hinterlassen die Bilder ein kleines Mysterium.

Wie findest du Models, die auf so einer Ebene mit dir zusammenarbeiten?

Ich fotografiere keine Models! Das ist alles autobiografisch und es sind Freunde und Bekannte! Da ist nichts künstlich in Szene gesetzt. Die Motive entstehen aus dem Affekt heraus. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die sich für ähnliche Sachen interessieren wie ich und die das auch gut finden das zu zeigen. Ich stelle Realitäten dar, die existent sind, jedoch oft verheimlicht oder tabuisiert werden. Es ist ja eigentlich nichts Neues. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es jegliche sexuellen Freiheiten gibt. Dennoch bin ich überrascht, dass es in meinen eignen Freundes- oder Bekanntenkreis einige als schockierend empfinden, was ich da mache.

Du bekommst also eher kein gutes Feedback?

Das ist generationsabhängig. Ich habe von älteren Menschen gehört, dass sie die Bilder schon sehr schockierend finden. Die Fotos, die wir machen sind tatsächlich sehr intim, vor allem wenn man sie als Außenstehender betrachtet. Aber wer das nicht mag, muss sich das ja nicht anschauen. Ich bekomme aber schon auch recht viel positives Feedback für die Veröffentlichung meiner Bilder.

Hast du keine Angst, dass du irgendwann Probleme bekommst, wenn du dich so freizügig im Internet zeigst?

Wenn man sich als Künstler dafür entscheidet, in eine bestimmte Richtung zu arbeiten, dann ist es auch in Ordnung und man sollte dahinter stehen. Letztendlich geht es mir um die Hinterfragung gängiger Moralvorstellungen und das ist meine Art damit umzugehen.

Willst du eine bestimmte Zielgruppe mit deinen Fotos schocken? Vielleicht eine breite verklemmte Masse?

Nein. Das, was ich mache, ist nur für die Interessierte. In der Kunst kann man heutzutage kaum noch schocken. Ich finde es einfach wichtig, mit Moralvorstellungen zu brechen.

In der nächsten Ausgabe vom Sova Magazin, „The Nomoralist Issue“, geht es ebenfalls um Moral. Um was geht es euch bei dieser Veröffentlichung?

Sova 5, „The Nomoralist Issue“, kommt Ende Mai heraus und dabei hinterfragen wir, wie andere Künstler mit den gängigen Moralvorstellungen umgehen. Die Kritik der Moral war schon immer ein großes Thema, da viele Verhaltensweisen unnatürlich und eher kulturell angeeignet sind, statt hinterfragt zu werden. In unserer Gesellschaft stammen die vorhandenen Moralvorstellungen meistens aus christlichen oder anderen Glaubensrichtungen. Moral ist oft ritualisiert und wird aus Gewohnheit übernommen und weitergegeben. Diese Rituale wollen wir aufbrechen und zeigen, dass es gar kein „gut“ oder „schlecht“ gibt. Es gibt nur Konsequenzen, die durch unser Verhalten entstehen.

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Martin Petersens Blog Colourcritique

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Fotos von Colorcritique

Colorcritique (c) Martin Petersen

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Foto: Editorial/Natalie Mayroth; Akt/Martin Petersen

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