Nadja Sayej: „Image ist keine Botschaft in sich selbst.“

Portrait_NadjaSayej

Auf dem Weg zum Engel´s in Berlin Neukölln springt mir am Herrfurthplatz an einer Litfaßsäule eine Schlagzeile ins Auge: „Neuer Lebensmittel-Skandal! Miethaie in Fischstäbchen gefunden“. Kurz darauf lese ich an einer Hauswand: Alles für alle und zwar umsonst. Ja! Das ist das Berlin meiner Vorurteile, so wie ich es gerne sehe. Das Engel´s Café, bei dem ich mit Nadja Sajey verabredet bin, ist ein kleines, dämmrig-charmantes Lokal mit vielen Steckdosen für Leute mit Mac. Zumindest haben die Gäste hier heute ausschließlich silberne Äpfel. Nadja stammt ursprünglich aus Toronto und lebt jetzt seit einigen Jahren in Berlin. Ich kenne sie aus dem Internet – über ihr Blog ArtStars* haben wir uns zuvor ausgetauscht und schon seit fast einem Jahr bekomme ich von ihr Einladungen zu ihrer Veranstaltung Press Pass – einer Party für Blogger und Journalisten. Sie selbst ist beides. Bei der Canadischen Global and Mail und der New York Times hat sie ihre Karriere als Journalistin begonnen, inzwischen schreibt sie mehr und mehr für die VICE. Im letzten Sofa Eck mache ich es mir zu heißer Zitrone und einem Glas Aspirin Complex gemütlich – wir haben ein Zeitfenster von 30 Minuten vereinbart und ich bin ein wenig nervös, weil ich meinen Erkältungskopf nicht ganz klar bekomme. Als es schon 12:38 Uhr ist, werde ich langsam unruhig und schaue lieber ein Mal in den vorderen Raum des Cafés. Dort sitzt sie tatsächlich – manchmal schaffe ich es mein Date im gleichen Raum zu verpassen! Nadja ist super lieb und ich stelle fest, auf Englisch kann man definitiv in der gleichen Zeit drei Mal so viel sagen wie auf Deutsch!

Ein Gespräch mit Nadja über das Leben in Berlin als Kreative und ihre Liebe zu Gonzo Journalismus.


Nadja, warum hast du dich dafür entschieden von Toronto nach Berlin zu ziehen?

Ich hatte das Gefühl in Toronto an meine beruflichen Grenzen zu stoßen. Als ich eine Kolumne im En Route Magazin von Air Canada bekommen habe, hat mich das erstmals auf den Gedanken gebracht in eine neue Stadt zu ziehen. Dann hat mir die Deutsche Botschaft in Ottawa einen Job als Blogger angeboten. Ich sollte in Berlin ein Jahr lang darüber schreiben, wie es ist als Canadier in Deutschland zu leben. Ich habe mich dafür entschieden es auszuprobieren und habe diesen einjährigen Vertrag unterschrieben. Ich muss sagen, es gibt gewaltige Herausforderungen für jemand wie mich, der die Sprache nicht spricht hier in Deutschland. Irgendwie hat es für mich aber funktioniert und ich lebe nun schon seit September 2010 hier in Berlin.

In Deutschland gehen viele junge Kreative zum Studieren nach Berlin. Nach ausgiebigem Feiern finden aber einige nicht das, was sie erwartet haben. Vor allem kein sicheres Einkommen. Wie ist da deine Erfahrung?

Ich würde mich selbst nicht zwingend als jemanden beschreiben, der hier her gezogen ist, um sein Glück als Kreativer zu versuchen. Ich bin Berichterstatter. Ich bin Gonzo Journalist. Ich bin aus Kanada und spreche die meiste Zeit Englisch. Ich finde hier Geschichten, die auf der anderen Seite des Atlantiks relevant sind. Ich mache US Amerikanisches und Kanadisches Geld, aber habe Berliner Lebenshaltungskosten. Da bleibt im Verhältnis am Ende ein ganz gutes Einkommen. Ich kann mich nicht beklagen. Gehe ich wie viele hier feiern bis fünf Uhr in der früh? Nein! Das ist einfach nicht mein natürlicher Lebensstil! Ich bin in meinen Dreißigern und auch wenn ich gerne meinen Spaß habe, ist Party machen kein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Wenn eine Geschichte es erfordert wegzugehen, dann mache ich das natürlich.

Du machst also gar nicht viel Party? Ich habe ja irgendwo diesen Spruch aufgeschnappt: Nette Mädchen gehen in den Himmel. Böse Mädchen nach Berlin?

Wenn eine Party im Verhältnis zu meiner Berichterstattung steht, dann gehe ich wie gesagt auch hin. Aber ich war noch nie so das Party-Mädchen. Genau genommen bin ich schon mehr das nette Mädchen.

Wirklich? Das Image welches dir vor allem auf Facebook und in den Medien vorrauseilt, ist aber doch ein anderes!

Meine Familie stammt aus Schottland und aus Pälastina. Wir sind keine Moslems, sondern Kathkoliken. Ich bin also konservativ und von der christlichen Kultur geprägt. Wenn ich also ausgehe, um Leute in einem Club zu treffen und ich verstehe sie aber nicht Mal, wenn sie mir ins Ohr schreien, weil die Musik so laut ist – dann ist das für mich kein ideales Szenario für soziale Kontaktaufnahme. Und auch wenn ich auf Fotos wie ein Party-Girl wirke – meine Tante Aida hat immer zu mir gesagt: Wenn du weißt wer du bist, dann kümmere dich nicht darum, was andere über dich denken. Abgesehen davon interessiert mich mein Image wenig, ich lege nicht viel Wert auf ein Image. Meiner Meinung nach ist ein Image keine Botschaft in sich selbst. Es ist mehr wie eine Kiste, die etwas aufbewahrt, das viel tiefer geht. Ich kenne viele Menschen, die ihren Style über alles Wesentliche stellen. Aber mich interessiert das Wesentliche, die Inhalte, wie viel Gehalt etwas hat. Das ist für mich das, was Bestand hat. Stil und Mode ändern sich, du kannst letzteres kaufen und verkaufen; zum Vintage Laden, Klamotten Geschäft oder American Apparell gehen. Aber Authentizität kannst du dir nicht kaufen. Substanz muss vor Stil gehen, dass ist eine Lektion, die ich für mich gelernt habe.

iHeart-Berlin nennt dich einen „Creative Connector“ – wie kommen sie auf diesen Titel?


Das ist ja schön und gut. Ein kleiner Fakten-Check an dieser Stelle: Ich bin Journalistin. Aber manchmal bin ich auch Gastgeber und veranstalte Parties. Eine meiner letzten Veranstaltungen war die Press Pass Party in Berlin. Das ist eine Veranstaltungsreihe, die ich schon 2008 in Toronto angefangen habe. Ich war neu im Freelancer Geschäft und hatte keine Ahnung wie ich mit Herausgebern, Redakteuren und anderen Journalisten in Kontakt kommen sollte. Ich habe dann meine eigene Presse Party ins Leben gerufen, in einer Bar mit dem Namen Press Club. Ein Mal im Monat habe ich die verschiedensten Journalisten aus dem Hörfunk, Fernsehen und Print zusammengebracht. Als ich dann nach Berlin gezogen bin, habe ich mir gedacht: Warum nicht in Berlin auch? Also habe ich für die erste Press Pass Party hier einen Journalisten als Sprecher organisiert: Alonzo Dominguez, der zu der Zeit Creative Director bei sugarhigh war. Er hat uns von seiner Karriere und seiner Arbeit erzählt. Das besondere an der Press Pass Party ist, dass sie Journalisten und Blogger unterschiedlicher Nationalitäten auf Augenhöhe zusammenbringt. Natürlich gibt es den DJV, aber dort sind alle Vorträge und Veranstaltungen auf Deutsch – das ist ein Problem für Journalisten wie mich, die die Sprache nicht sprechen. Ich habe erfahren, dass es eine enorme Nachfrage gibt nach Alternativen für Leute, die nicht unbedingt in das System des DJVs passen. Press Pass ist also eine Veranstaltung für alle, die das Gefühl haben da nicht richtig hinzugehören, sei es weil er oder sie bloggen oder eben kaum Deutsch sprechen. Wichtig ist nur, dass jeder Spaß hat sich auszutauschen. Ich denke alte Presse Clubs werden von der neuen Generation als sehr formell empfunden und das schüchtert leider viele ein.


Du gibst aber außer der Press Pass Party auch Workshops und Vorlesungen für Kreative und bringst ihnen bei, wie man nein zu unbezahlten Jobs sagt und seine Arbeit erfolgreich vermarktet.

Ja, ich habe das bisher im BBK, in unterschiedlichen Kunstschulen, bei Ateliergemeinschaften, hier in der Universität in Berlin, beim HomeBase Project, bei NYU Berlin, dem TransArt Institute und im Rahmen von Node gemacht. Die Vorlesungen richten sich an Kreative, Künstler und Journalisten. Ich zeige auf, dass sie keine freiwilligen Kulturarbeiter sind, wie sie ihr eigenes Unternehmen führen und als Freelancer mit Steuern umgehen. Ich weiß, letzteres ist nicht besonders sexy, aber wenn man sich nicht ein Mal ein Bier leisten kann oder nur auf Veranstaltungen gehen kann, auf denen man auf der Gästeliste steht, dann sollte man sich dringend um die eigenen Finanzen kümmern! Da wird es echt ernst! Ich helfe also herauszufinden, wie die Teilnehmer eine gutes Gleichgewicht hinbekommen können. Denn natürlich ist es in Ordnung anderen zu helfen. Ja! Aber es gibt einfach eine begrenzte Stundenanzahl für Arbeit, die du umsonst machen kannst. Wenn jemand dich um einen Gefallen bittet, dann erklärst du ihm, dass du von 9 Uhr bis 17 Uhr oder von 10 Uhr bis 22 Uhr als Journalist arbeitest und dass du ihm gerne helfen kannst, aber er warten muss bis du Feierabend hast.

Sprechen wir über deinen Blog ArtStars*. Was machst du dort und was motiviert dich dazu?

ArtStars* ist größtenteils eine Gonzo Celebrity Web TV Show. Ich bin ein großer Fan des Gonzo Journalismus, weil er zwangloser ist als der traditionelle. Ich liebe es einfach mich mit berühmten Menschen zu beschäftigen. Das ist eines meiner Markenzeichen. Zum Beispiel habe ich schon Yoko Ono in Frankfurt treffen dürfen. Das war wahnsinnig! Oder David Hasselhof, James Franco und Gilbert and George. Das sind nur einige von den Stars, die ich über die Jahre getroffen habe. Ich spreche gerne mit ihnen so, als wären es ganz normale Leute. ArtStars* war für mich ein Sprungbrett für meine Geschichten, die ich jetzt bei VICE mache. ArtStars* ist einfach mein Blog, ich liebe es Videos zu machen und lebe das da aus.

Wie kommst du in Kontakt mit all diesen berühmten Menschen?

Ich agiere tatsächlich nach meinem Instinkt. Zu einer bestimmten Zeit sagt mir meine Intuition, ich soll diese Tür durchgehen, auf der meistens steht: Kein Zugang. Aber ich gehe dann rein und finde jemanden. Manchmal sind Interviews aber auch im vorhinein von PR Leuten oder dem Künstler Management arrangiert. Ich treffe sie aber auch zufällig. Ein guter Ort dafür sind Kunstmessen. Zum Beispiel Marina Abramovic – ich bin extra für drei Tage nach Wien gereist, um sie abzupassen. Ich habe dann ein 12 Minuten Interview bekommen. So was ist ein ziemlicher Nervenkitzel. Aber sie hat mich dann zu ihrer Dinner Party eingeladen und dafür hat sich all der Aufwand gelohnt! Wenn du mit Promis arbeitest musst du sehr flexibel sein. Du darfst keine Verpflichtungen haben, um in dem Business was zu reißen. Keine Hunde. Kein Partner. Keine Familie. Nichts. Nur Promis und die Bereitschaft sie zu jagen. Das klingt verrückt, aber das ist mein Job und es ist der einzige Job den ich liebe. Alles andere nervt mich nach einiger Zeit.

Lass uns doch noch über Gonzo Journalismus sprechen. Was magst du daran?


So hart ich es auch versucht habe, ich entspreche nicht dem normalen Profil eines Journalisten. 2006 wurde ich auf der Ryerson University vor die Wahl gestellt: Entweder ich entscheide mich dafür meine ganze Energie in die studentische Zeitung zu stecken und höre mit dem Freelancing auf oder ich sollte das Studieren sein lassen. Ich habe mich dann dafür entschieden ein Journalist zu sein statt Journalismus zu studieren. Mich hat das geärgert, dass es dort keine Klasse gab, die sich dem Unterhaltungsjournalismus gewidmet hat. Nach dem Motto: Entweder machst du Nachrichten oder du bist kein Journalist. Ich finde es aber wichtig die Möglichkeit zu haben, sich auch in anderen Feldern zu spezialisieren und trotzdem ein guter Journalist zu sein. Ich liebe das Spontane am Journalismus und das Bewusstseinserweiternde am Gonzo Journalismus, d.h. dass die Grenzen zwischen dem Ich und der Außenwelt aufgehoben werden. Der Charakter des Reporters spielt für mich eine wichtige Rolle. Ich finde es gut ein Teil der Geschichte zu sein, statt mich selbst zu löschen.

Foto: Veronika Christine Dräxler
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Zum Video Channel von ArtStars*

Zum Blog ArtStars*

Nadja Sayej bei Vice

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Ein paar Schnappschüsse von ihren Treffen mit Stars:

Nadja und David Hasselhoff

Nadja mit David Hasselhoff

Nadja und James Franco

Nadja mit James Franco

There are 12 comments

  1. FaLsE fLuCtiCatiOn

    gonzo- instead of „fact-orientated“ journalism!

    many journalists claim to write only facts, free
    of any ideology. some of them bullshit around quite
    a lot taking sales returns and allowances from corps
    they write pretty nice about. or they do want to write
    a critical report about someone who is unfortunately
    a great advertiser and the editor in chief says „nay“.
    or they meet in the backrooms with lousy politicians
    to work out a certain line of reporting while having a
    glas of wine or even two, tapping each others shoulders.
    therefore gonzo-journalism is much more honest by
    specially saying not to be objective! thats what I like.

  2. Jason

    You are mixing up „gonzo“ and „gossip“. A pretty common mistake nowadays…
    By the way, it’s nice to see that you found a way to convert text based into image based name-dropping.

  3. Veronika Christine Dräxler

    Dear Jason – so what is gonzo journalism in your opinion? And what is gossip? I think there is a clear difference and the last one doesn´t match! And yes with the name-dropping! Your are totally right! :)

  4. Jason

    Dear Veronika, here is a wiki quote: „A gossip columnist is someone who writes a gossip column in a newspaper or magazine, especially a gossip magazine. Gossip columns are material written in a light, informal style, which relates the gossip columnist’s opinions about the personal lives or conduct of celebrities from show business (motion picture movie stars, theater, and television actors), politicians, professional sports stars, and other wealthy people or public figures. Some gossip columnists broadcast segments on radio and television.“ There is in fact nothing wrong with gossip and i think that Ms. Sayej is doing that in quite an entertaining manor. But putting that into context with people who actually tried to become sherif of Aspen, to tell a story about society, is „in my opinion“ an exaggeration. But that is just an opinion…

  5. Jason

    …and so does the term „good“ and many other words. What’s the point of this quote? Most artistic endeavors are subjective. They’re all „gonzo“, or what?
    – Come on kid, i am not willing to drown in relativism every time I stumble over something I am not agree with.

  6. OLD GAFFER

    … relativism is relatively relativ. but so ist the term „gonzo“ in my opinion, as it is an artistic endeavor for sure. before I started reading hunter s. thompson „gonzo“ was just the guy from the muppets to me. after reading fear & loathing in original, I got an idea about how relatively that word can be handles. if you have a stiff idea about it it’s your thing. but don’t call me kid please, I might be 78.

  7. Jason

    so after reading one book of thompson you honestly would compare this to artstars? and why? what do they have in common? after reading fear and loathing you „got an idea about how relatively that word can be handles“. The one book that defines it for the masses for the first time in history is just giving you an vague idea? if you’ve read it, you know how politically ambitious and self destructing it is just to make a point. where are the similarities?

  8. Dr. Gonzo

    well. its not the only book I read. I also had the pleasure reading kingdom of fear an the rum diary. and: I dont see similarities to anything. those writings are just unique. sure. and I hope I can have fun reading more of it soon. I am just saying that terms should not be strict in interpretation. and by the means of the word gonzo itself, meaning bizarre, cranky, eccentrically, spacy, wacky, ect ect, in my opinion it hits the point of the kind of journalism that Nadja is producing. if you mean it should have a more political, social interference, you may be right. to make a compromise we can call that hardcore-gonzo and the other subjective stuff semi-gonzo. or even call it gossip-gonzo, however, I don’t mind. I not taking it so serious. just had fun on the discussion. but I don’t want to hurt your feelings. I am catching your point. for me it’s just about the word and the evolution of it, which has defo not ended yet. you never know what people will think about it in 25 years. hopefully there will be a lot of varieties in gonzo-journalism. therefore hunter was great mentor, inspiring a lot of people. just let em play!

    1. Jason

      I am not even thinking that it has to have a more political, social interference. I am absolutely fine with the way artstars is or what nadia is writing for vice (i just spent one little sentence on saying this, maybe that wasn’t enough). I love the fact that she brings some liveliness to an otherwise taut and stiff art scene and, to be perfectly frank with you, if „gonzo“ would have been a simple adjective being used to describe her working method, i would have agreed. But I had the feeling, as i do often when i hear the term, that it is used by many people to transfer this exact image of political activity, radical social criticism and adventurous drug abuse into their work. It seems to me like it has become on of these trigger words a copywriter would come up with during a pitch and that has an affect on the word itself, undermining it and turning into something powerless and generic. Maybe I was wrong in case of this interview (again this about the interview, not nadja’s work, more aiming at selbstdarstellungssucht), maybe not…
      i will leave it that way and add „gossip-gonzo“ and „semi-gonzo“ to my vocabulary.

  9. FaLsE

    thanX for this nice discussion jason. due to the values of your comments and further research I learned a lot more about the materia myself and it was damn nice unpacking my rusty english for once again (-;

    grEEtings & pEaCe!

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