Michael Wiethaus: „Fußball, das ist Urlaub. Skaten, das ist Teil einer Familie sein.“

Michael Wiethaus alias Mixen_c_Natalie MayrothFotos: Natalie Mayroth, redaktionelle Mitarbeit: Max Anzile

Mixen alias Michael Wiethaus (30) ist Präsident der Münchner Skate-Crew Crucrumas, „Mädchen für alles“ im SHRN Skateshop, Grafiker, TSV 1860 München-Fan und manchmal ein wenig wortkarg. Max und ich treffen ihn im Glockenbach hinter der Ladentheke im SHRN, kurz vor Feierabend. Der Laden fühlt sich urig an, obwohl er direkt am Gärtnerplatz liegt. Neben der Theke steht ein gut eingesessenes rotes Ledersofa, auf dem wir Platz nehmen – inmitten von Sneakern, Decks, Shirts und Socken mit Hanfmuster. Er macht uns Kaffee und sich ein Radler auf. Mixen trägt eine Opabrille, die vom Flohmarkt stammen könnte und ein gestreiftes Hemd aus einer Kollaboration von SHRN und dem Münchner Label A Kind Of Guise. „Ich bin ja eher so ein Stoffel“, sagt er. „Ein Stoffel?“ „Wie, ihr kennt das Wort Stoffel nicht“, fragt er zurück. Das sei einer, der nicht so viel sagt.

Mixen, erzähl Mal, wie bist du zu deinem Spitznamen gekommen?

Der Name stammt noch aus meiner Schulzeit. In meiner Klasse gab es viele Michaels und alle anderen Spitznamen waren schon vergeben. Ich bin ein Mischling – meine Mutter ist aus Thailand und mein Vater ist Deutscher. Irgendwer hat dann logisch geschlussfolgert: dann nennen wir ihn halt Mixen. Ich fand das megascheiße, aber wie das halt so ist, haben sie das dann mit Absicht gesagt, weil es mich geärgert hat. Dann ist es geblieben, ich hab’ auch irgendwann gemerkt, dass es gar nicht mal der schlechteste Spitzname ist.

Wurdest du in der Schule gemobbt?
Nein, ich konnte ganz gut Fußball spielen. Das hilft. Außerdem habe ich auch sehr schnell bayrisch gelernt und das war ein Pluspunkt auf dem Land.

Hattest du den Traum professionell zu spielen?
Um Gottes Willen, nein. (zögert) Also gut, ja. Als ich klein war, ein bisschen. – Geiler Song!

Bob Marley läuft im Hintergrund.

Du hast da auf deinem rechten Mittelfinger den Löwen des TSV 1860 tätowiert. Bist du mit Fußball beziehungsweise deinem Verein verheiratet? Das erinnert so ein wenig an die Tattoo-Eheringe von Pamela Anderson und Kid Rock.

Fußball ist auf jeden Fall eine Konstante in meinem Leben, neben meiner Familie. Seit ich denken kann, spiele ich Fußball; ich bin nie davon weggekommen. Seit ewigen Zeiten habe ich eine Dauerkarte und gehe, wenn ich Zeit habe, zur Reserve ins Grünwalder Stadion. Ich darf auch den Sky Go Account vom Simon mitbenutzen – da kann ich alles, jedes Spiel kucken. Da bin ich ganz schön nerdig unterwegs. Fußball, das ist wie Urlaub, wenn ich da bin, im Stadion, muss ich nicht nachdenken. Fußball nimmt viel Zeit ein in meinem Leben, ja.

War dein Vater auch schon 60er-Fan?

Mein Vater ist Bayern-Fan. Der bekommt bald eine goldene Ehrennadel, weil er schon so lange Mitglied ist bei Bayern München.

Hat er dich nicht enterbt, weil du 60er-Fan bist?
Nein! Das ist echt entspannt, mein Bruder ist ja auch Bayern-Fan. Mein Onkel hat mich damals mit ins Grünwalder Stadion mitgenommen. Dann habe ich mir mit ihm ein Aufstiegsspiel gegen Ulm im Fernsehen angeschaut. Da haben sie gewonnen. Ganz Giesing war blau. In jeder Kneipe hingen die Fans ab. Das gehört da so hin. Das ist einfach was anderes, als wenn man raus in die Allianz Arena fährt. Die Bayern-Fans mussten damals dann eben ins Oberwiesenfeld ins Olympia Stadion fahren und das war beziehungsweise ist einfach nicht das Gleiche. Fan werden ist vielleicht ein wenig wie Skaten, das wird man ohne, dass man sich das vornimmt.

Hat das 60er-Fan-Sein etwas damit zu tun, dass du Verlierer insgeheim sympathisch findest?
Ich denke, das hat etwas damit zu tun, dass man damit umgehen kann, dass man nicht immer gewinnen muss.

Du gibst dir im Netz den Beinamen „Beautiful Loser“. Machst du das Verlieren zur Tugend?

Nicht bewusst. Ich geh ja nicht rum und sage: Voll geil, ich such’ mir jetzt das Loser-Team aus. Das wäre Schwachsinn. Damals war ich noch so jung, da war Sechzig auch noch gut. (lacht) Ich hab’ erst später realisiert, dass sie ja in der Bayernliga und nicht in der Championsleague spielen. Aber da war’s einfach schon zu spät. „Beautiful Loser“ stammt aus einem Buch von Aaron Rose. Da wird eine Geschichte von Leuten erzählt, die alle in Vorstädten groß geworden sind und sich zusammengetan haben. Allen war langweilig, sie hatten nichts zu tun, keine Perspektive – darauf haben sie angefangen zu malen, Fotos zu machen und Filme zu drehen. Durch Zufälle sind sie zusammengekommen und haben dann in New York eine Ausstellung gemacht, die überraschenderweise mega gut angekommen ist. Und jetzt sind sie alle professionell unterwegs.

Du bist Teil des Kunst-Kollektivs: „The Open Door“. Ist das inspiriert von der Geschichte der „Beautiful Losers“?

Das ist eher ein Zufall. Der Vater einer guten Freundin hatte leerstehende Büroräume und wir hatten schon lange das Gefühl, dass im Münchner Museumsviertel ein ganz schönes Kunstkonsum-Klischee bedient wird. Ich komme mir da selbst oft fehl am Platz vor. Wir wollten das anders machen und haben viele Leute im Freundeskreis, die vor sich hin gearbeitet, sich aber nicht getraut haben, ihre Sachen zu zeigen. Diese Leute wollten wir zusammenbringen. Zur ersten Vernissage sind überraschend viele Leute gekommen und so geht es eben schon im vierten Jahr weiter. The Open Door sind: Nora Hauber, Katharina Kaske, Chris Geyer, Alex Pfeffer und ich.

Du fotografierst ja selbst auch.
Ich fotografiere sehr dilettantisch. Rein technisch hab’ ich nicht so viel Ahnung, muss ich zugeben. Aber zum Glück gibt es ganz gute Snapshot-Kameras. Ich plane die Fotos nicht. Mein Innenleben muss irgendwohin und dann fotografiere ich eben. Letztes Jahr habe ich eine Yashica T4 bekommen, davor hatte ich eine umfunktionierte Lomo Coloursplash, die ich aber im Suff nach einem Auswärtsspiel verloren habe. Ich hatte vor Jahren in einem Interview von einem Profi Skatefotograf gelesen, dass er mit einer Hasselblad fotografiert. Naja so ne Hasselblad ist ein bisschen teuer. Dann ist es eine Canon AE1 geworden. Zur Zeit probiere ich wieder mehrere Analog-Filme aus, die ich von Conny Mirbach und seinem Mitbewohner, dem Pater, zum Geburtstag bekommen habe.

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Und was hat es mit den eingescannten, gekritzelten Zitaten aus deinem Notizheft auf sich?
Das kam aus einer Laune raus. Ich habe mit einem Zitat aus einem Songtext angefangen und diese dann in der Arbeit gepostet und einen Haufen Likes dafür bei Instagram abgesahnt. Eine Freundin von mir hat mich dann ermutigt, damit weiter zu machen. Das hat mit englischen Sätzen angefangen, weil sie aus Amsterdam ist. Ich habe dann gemerkt, dass das mit Bayrisch viel besser funktioniert, weil man mit wenigen Worten so wahnsinnig viel ausdrücken kann. Mit der Zeit habe ich bei Gesprächen auf prägnante Sätze und Ausdrücke geachtet. Phrasen die jeder kennt, die aber viel zu selten angewandt werden, obwohl es sehr auf den Punkt gebracht wird.

Simon, Gründer von SHRN, gesellt sich zu uns und fragt: „Mixen, willst du auch eine Pizza?“ Ja will er, eine Pizza Margarita.

Mixen, weil Simon gerade da ist, wie ist dein Bezug zu SHRN?
Simon ist mein bester Freund. Wir haben früher schon im Skateladen zusammengearbeitet. Als der zugemacht hat, haben Simon und ich schon länger überlegt, etwas Eigenes aufzumachen und ich habe ihm gesagt, dass ich ihm helfen werde, wo es nur geht. Andere Freunde, darunter Robinson Kuhlmann und Daniel, dachten sich das selbe. Sie haben uns unterstützt und jetzt sitzen wir hier.

Bist du also Mitgründer?
Ich bin das Mädchen für alles. (lacht) Ich mache Grafik, stehe im Laden, helfe umräumen und hänge hier rum. Ich bringe den bayrischen Flair hier rein.

Simon fügt hinzu: „Er ist Designer, Shop-Manager und unsere gute Grantler-Seele!“

Was ist das Konzept von SHRN?
Wir sind ein Core-Shop – es ist ein Laden von Skatern für Skater – und keine Skater-Mall. Das ist, also ob man beim Metzger oder zum Discounter einkaufen geht – wie Pauschalurlaub gegen Backpacking. Wir unterstützen fast ausschließlich Firmen, die unsere Philosophie teilen – wo es nicht nur um Geld geht, sondern darum, die Szene zu stärken. Da ist viel Leidenschaft dabei. Wir geben aber auch zurück. Für einen Contest haben wir für mehrere tausend Euro ein Obstacle gebaut oder eine Party geschmissen und wir sponsern Skater. Im Moment nehmen wir alles, was wir einnehmen und investieren es. Das heißt aber nicht, dass wir alles verschenken. Sneaker kosten eben um die 100 €, daran können wir auch nichts ändern.

Wie groß schätzt du die Münchner Skateszene?
Auf dem letzten „Go Skateboarding Day“ müssten so um die 350 Leute gewesen sein, ohne die Trend-Longboarder oder Leute, die das temporär cool finden, weil Brad Pitt ein Board hat – das kann ich nicht ernst nehmen. Ich rede hier von Leuten, die dabei bleiben und das auch leben, sogenannte Core-Skater.

Wie lange skatest du selbst?
Seit ich 14 Jahre alt bin. Im Sommer werden das dann 17 Jahre. Wobei ich sagen muss, dass ich immer wieder längere Pausen habe, wie zum Beispiel jetzt. Das ist bedingt durch mein großes Interesse für Fußball und andere Dinge.

Und was ist mit deiner Crew, den Crucrumas? Gibt es die eigentlich noch?
Ja, klar gibt es sie noch. Als wir das erste Mal mit den Skateboards in Jeansjacken-Montur eine Boazn-Tour gemacht haben, hat uns gleich die SZ gefeatuert. Aber eigentlich war das gar nicht so ein großes Ding. Wir haben beim Weggehen angefangen, statt mit dem Rad zu fahren, das Skateboard zu benutzen. Bei der ersten Tour waren wir dann plötzlich so um die 30 Leute, die jetzt alle mehr oder weniger noch am Start sind, wenn eine Tour ansteht. Im Endeffekt ist das eine große Sauferei, aber für die großen Medien musste das natürlich entschärft werden. Das ist aber etwas, das kann man nur zwei bis drei Mal im Jahr machen kann, denn besonders gesund ist es nicht, aber dafür ziemlich lustig.

Vom Landschaftsarchitekturstudenten zum Designer, Skate-Crew-Präsident und Shop-Manager. Du machst Fotos und schreibst auch Mal Texte für Publikationen über Skate-Kultur. Kannst du eigentlich alles?
Ich probiere gerne Sachen aus. Ich denke, das kommt von der Skater-Philosophie, da muss man auch ständig improvisieren. So gehe ich durch das Leben.

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Mehr von Mixens Notizheft-Scans, Fotos und Grafiken auf seinem Blog

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Eindrücke von Mixens zweitem Zuhause:
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