Martin Fengel: „Ich befreie Dinge von ihrer zugewiesenen Bedeutung.“

Martin_Fengel_for_sdsuchtPorträt: Natalie Mayroth, Fotos vor Ort: Florian Tenk

Im April starrte an der Akademie der Bildenden Künste ein graues Kätzchen auf mittelblauem Teppichboden von einem Plakat mit dem Titel: „bin ich doch nicht genial.“ Darauf noch ein paar bezeichnende Fragen: „Verwechsle ich Freiheit mit Faulheit. Wo ist der Auslöser? Kommt der Geistesblitz durch Ausschlafen? Warum sind meine Fotos so langweilig? Oder bin ich es vielleicht? Sind wirklich die anderen schuld? Verschwende ich meine Jugend? Wie fülle ich meinen Hartz 4 Antrag aus.“ Erst mit dem Katzenbaby locken und dann im Namen seines Lehrauftrags mit dem Finger in die versteckten Wunden der Kunst-Studenten reinbohren, das passt ganz gut zu Martin Fengel (49). Der Münchner Fotograf, Künstler und Mitinhaber der Agentur Herburg Weiland ist außerdem Meister im Understatement. Er hat die Münchner U-Bahn Station in Moosach gestaltet. Wöchentlich illustriert er die Harald Martenstein Kolumne im Zeit-Magazin. Seine Werke befinden sich in verschiedenen Museen von der Pinakothek der Moderne über das Lenbachhaus zum Museum für Moderne Kunst in Frankfurt. Die Münchner Nachtleben-Szene lässt sich bevorzugt von ihm Plakate machen. All das tut er schon mal ab mit „ach, am Wochenende war ich schon wieder faul.“ Und während halb München die Faulheit als Gemütlichkeit ernst nimmt, zerlegt und analysiert Martin den menschlichen Alltag und unsere Machenschaften.

Martin, dein neuestes Werk ist ein Grillkalender. Warum gerade ein Grillkalender?


Mich interessieren Dinge, die Menschen machen. Speziell bei dem Grillkalender habe ich mir die Frage gestellt, was denn „Food Photography“ ist. Warum sieht das so aus, wie es aussieht, wenn wir Essen oder Mode fotografieren. Mir geht es darum, klischeehafte Bilderwelten zu untersuchen. Denke ich an Grillen, dann sehe ich Macho-Männer, Beef, oder Business-Punk. Das ist so eine Quatsch-Männer-Welt und dann frage ich mich, wie würde ein Grillkalender aussehen, wenn Martin Fengel den macht.

Wie sieht denn ein Grillkalender aus, wenn Martin Fengel ihn macht?

Da sind Seite für Seite Fleischstücke drauf.

Das ist alles?


Ja, was erwartet man da schon. Ich kann mir vorstellen, dass das vielen Leuten zu wenig Kunst ist. Aber ich finde das ist einfach ein lustiger Kalender. Finanziell gesehen lohnt sich das auch nicht. Ich habe so hundert Stück drucken lassen und verschenke sie dann. Dass was passiert, wenn jemand so einen Kalender bekommt, ihn anguckt, das ist für mich interessant. Ich mag die Idee gerne, dass sich Leute den Kalender an die Wand hängen und sich dann ihren Teil dazu denken.

Fotografie ist ja nicht unbedingt gleich Kunst. Unterschiedliches Fleisch zum Beispiel für einen Katalog zu fotografieren wäre angewandte Produktfotografie. Wann passiert der Sprung, dass Fotografisches dokumentieren zur Kunst wird?

In dem Moment, wenn ich diese aus ihrem Kontext herauslöse und in einen Neuen, von mir ausgedachten stecke. Es kommt darauf an, wo man diese Fotografie sieht, wo sie auftaucht bzw. wo man sie auftauchen, oder auch eben nicht auftauchen lässt.

Du lässt deine Fleischfotos in einem Grillkalender auftauchen und dann werden sie zu Kunst?

Zum Beispiel. Die Fotos sind ja unterschiedlich alt. Ein Paar auch schon zwei Jahre. Diese Fotos liegen halt so rum und die sind noch nichts eigentlich, bevor ich mir überlege und entscheide, was ich aus denen mache. Die Fotos wären vielleicht für eine Ausstellung total langweilig gewesen, aber in dem man sie in etwas allgemein Bekanntes hinein setzt, werden sie zu etwas anderem. Man hat ja bestimmte Erwartungen, an eine Ausstellung, an einen Kalender, an ein Heft. Wie sieht ein Plakat aus, wie ein T-Shirt? Ich glaube, dass mit Fotografien etwas passiert, wenn man sie in den Genres, die es schon gibt, ungewohnt platziert. Ich glaube aber nicht, dass alles in allen Medien funktioniert.

Wenn ein Wissenschaftler also ein Foto macht und dass in einer wissenschaftlichen Publikation unterbringt, dann ist es wissenschaftlich. Würde man aber dieses wissenschaftliche Foto nehmen und im Kunstkontext veröffentlichen, dann überschreitet es eine magische Grenze?

Ja, die Möglichkeit besteht. Ein Beispiel dazu wäre mein Katalog Journal of Science. Das sieht aus wie ein Lehrbuch. Von der Optik und Haptik tut es auch so, als wäre es eines. Aber es ist keines. Ich habe erst nachgedacht, was muss ich machen, damit ein Buch wie ein wissenschaftliches Lehrbuch aussieht. Was haben diese Bücher für Charakteristika. Wie ist die Schrift, wie fühlt sich der Einband ein? Natürlich ist der Katalog auf seine Art auch ein Lehrbuch, aber ein anderes wie gewöhnlich. Ich finde es gut Dinge von ihrer ursprünglichen, fest zugewiesenen Bedeutung zu befreien.

Ist dir die Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft wichtig?


Nicht zwingend. Mein Vater war Wissenschaftler und ich bin früher, als ich noch ein Schulkind war, gerne mit ihm ins Deutsche Museum gegangen. Ich wusste, dass dort Sachen ausgestellt sind, die sehr wichtig sind. Ich habe die damals noch nicht wirklich kapiert, aber sie sahen toll aus. Eingeprägt hat sich mir eine Versuchsanordnung, bei der man auf einen Knopf gedrückt hat und dann kam da Schwefelgeruch. Das fand ich schön. Mich interessiert auch heute noch wie die Wissenschaft versucht Sachverhalte begreiflich zu machen. Was machen Menschen, damit andere Menschen etwas verstehen. Jeder sieht die Welt anders und wenige Menschen können auch zeigen wie.

Ab wann ist denn die Sicht eines Künstlers interessant? Wann wird diese relevant?

Das weiß ich auch nicht, welchen Kreis und welche Anzahl von anderen Menschen man braucht, die deine Sicht anerkennen, um relevant zu sein. Im Haus der Kunst wurden ein Mal Boxen mit allen Künstlern, die jemals auf der Biennale ausgestellt haben, gezeigt. Das waren Tausende und ich kannte nur einen ganz kleinen Teil. Auf der Biennale in Venedig ausgestellt zu haben, das ist eine ganz große Sache für einen Künstler. Aber das bleibt für viele bei einem Mal, und danach? Es kann eben nicht darum gehen, dass man sein Glück daraus schöpft, wie andere einen finden. Da würde man ja dran zerbrechen. Klar möchten wir alle, dass anerkannt wird, was wir machen. Das, was wir machen, ist ja doch als Dialog gedacht und wir sind traurig, wenn dann da nichts zurückkommt.

Über dich hat Monopol geschrieben, dass du zu den Fotografen gehörst, die erst auf den Sucher drücken und danach die Motive auswählen.


Draufdrücken klingt so willkürlich. Es geht mir schon darum erst zu sammeln und dann zu entscheiden, welche Bilder aus dem Konvolut zusammen eine Geschichte ergeben bzw. das erzählen, was ich erzählen möchte. Ab wie vielen Bildern reicht es für die Geschichte, muss ich noch ein Bild mehr machen, damit sie funktioniert.

Und dein Bilderarchiv? Das schaust du dann immer wieder durch, wenn du eine Geschichte im Kopf hast?

Nein, wenn ich eine konkrete Geschichte im Kopf habe, dann weiß ich, was ich nicht fotografieren brauche und was schon. Ich gehe fotografieren und sammeln, daraus kann ich dann die Bilder raussuchen, die für mich meinen Zusammenhang am besten erklären. Ich wusste zum Beispiel, dass ich in Sardinien wahnsinnig viele Bilder für den Grillkalender finden werde. Bei den Italienern geht’s vorwiegend um Essen.

Was brauchst du nicht fotografieren?

Das weiß ich jetzt nicht. Das ändert sich auch dauernd. Vor zwanzig Jahren wäre ich nicht auf einen Grillkalender gekommen. Das baut sich aufeinander auf. Ich weiß auch noch gar nicht, was ich als Nächstes mache.

Ist es überhaupt gerechtfertigt von einem künstlerische Wert zu sprechen, wenn man nur abfotografiert, ohne selbst das Abzufotografierende konzipiert zu haben?

Die meisten Fotografen fotografieren doch ab. Es gibt nicht mehr, als das was da ist. Außer bei den Modefotos, wenn ich selber noch was nachträglich verändere. Oder wenn ich eine Collage mache. Oder bei den Fotografien der von mir selbstgemachten Kerzenskulpturen.

Ist es dir also zu langweilig geworden, nur abzufotografieren?


Zu versuchen eine Stimmung einzufangen finde ich gruselig. Also in meinen Bildern. Ich kann das nicht, zu sagen, ich habe mit diesem Foto die Stimmung von heute Morgen festgehalten. Ich glaube auch nicht daran, dass das geht. Selten ist mir dies selbst bzw. ist es mir gelungen, bei anderen Menschen zu sehen, dass ihnen das mit ihrer Fotografie wirklich geglückt ist. Ich selbst schaffe es nicht vor einem Foto zu stehen und dann aufgrund des Fotos sagen zu können, ach toll, da will ich jetzt auch sein. Ich finde eine Fotografie muss einen wo ganz woanders erwischen, als nur auszulösen: Ah, ist das eine schöne Szene!

Wo muss es einen denn erwischen?

Im Herzen glaub ich.

Aber das können ja schon ganz banale Katzenfotos.

Ja. Ich habe auch schon Mal Kätzchenaufkleber für eine Ausstellung in München gemacht. Ja, Kätzchenfotos. Aber in der Kunst muss es dann schon eins mehr sein fürs Herz, als nur ein Kätzchenfoto. Du weißt doch, was ich meine, hat es dich noch nie erwischt? Das muss schon schlau sein. Kätzchenfotos sind wie Sonnenuntergangfotos oder wie Dönerfotos.

Martin Eder zum Beispiel hat in seiner Anfangszeit Aquarelle von Kätzchen gemalt.

Bei ihm ist das eine Überhöhung von etwas, was es schon gibt. Wie bei Jeff Koons. Da geht es darum in gesellschaftlichen Phänomenen solange zu bohren, dass es schon ein bisschen weh tut.

Ist dein Grillkalender auch eine Überhöhung?

Ich glaube schon, ja, auch wenn man nur Grillgut serviert bekommt.

Würdest du sagen, dein Grillkalender ist auf einer Ebene mit Martin Eders Katzenaquarellen?

Ich habe dem Jörg (Anm. der Redaktion: Jörg Koopmann, Münchner Fotograf, Kurator und Verleger) auch mal einen Kätzchenkalender gemacht.

Zusammen mit Jörg Koopmann hast du das „glossy“-Fotoforum organisiert. Was hat euch dazu bewegt?

Vor ca. zehn Jahren hat Jörg das mit Marek Vogel gegründet, ich bin dann mit eingestiegen. Als wir damit angefangen haben, fanden wir so viele Sachen aufregend, aber besonders hat es uns interessiert, aus welchem Grund Menschen Fotos machen. Wir haben Dias gezeigt, die wir zugeschickt bekommen haben. Das war noch vor der Beamer-Zeit. Ob das jetzt Opas Kriegsfotos waren oder ein Vater, der die Wohnung von seinem Sohn fotografiert hat, weil dieser ins Krankenhaus musste. Oder Polizeifotos von Unfällen. Das waren Fotos, die für einen bestimmten Zweck gemacht wurden. Wie und warum sehen solche Bilder genauso aus wie sie aussehen. Ein Bild von vor 30 Jahren wurde auch anders aufgenommen als heute.

Wobei wir ja heute diese Vorliebe für Vintage-Filter haben…

Warum machen Menschen das? So ganz bin ich noch nicht dahinter gekommen. Jeder kann heute ein tolles Foto machen. Aber vielleicht geht es inzwischen vor allem darum besonders viele Klicks und Likes darauf zu bekommen – aber wem geht es wirklich darum einen Zusammenhang mithilfe der Fotos klar zu machen? Vieles hat heute nur noch diesen jetzt, toll und weg wert. Aber Kunst hat einen längeren Wert, da sollte es um mehr gehen, und auch um einen Bezug zur Kunstgeschichte.


Du selbst warst jahrelang vorwiegend in der Produktfotografie tätig und bist auf Umwegen zur Kunst gekommen.


Ich habe ja eine Zeit lang viel in New York assistiert, das war aber vorwiegend in die bildjournalistische Richtung. Als ich aus New York zurückgekommen bin, hatte ich erst mal keine Arbeit und ich hatte schon überlegt, ob ich von München nach London gehe, weil es nicht so gut angelaufen ist. Ich habe anfangs keine Jobs bekommen, daher hatte ich gleich einen Haufen Schulden und dann kam eben dieses Angebot von Siemens und das war super bezahlt. Das waren 40 Mark die Stunde, da habe ich drei Jahre gearbeitet und habe mich der Illusion hingegeben, dass ich dann am Wochenende mein Ding mache, aber das war dann natürlich nicht so.


Wie hast du die Kurve zur Kunst gekriegt?


Ich bin trotzdem immer wieder mit meiner Mappe zu Zeitschriften gelaufen, aber die konnten damit nicht viel anfangen, weil das so merkwürdige Bilder waren. Eine Freundin, Christine Mayer, hat gesagt, geh doch nicht zur Zeitung, das ist doch was ganz was anderes, was du da machst. Ich bin dann daraufhin zu meinem alten Lehrer Rupert Walser gegangen und sein Feedback war: Geh doch zu einer Galerie. Er hat dann Mosel und Tschechow angerufen und die haben mich gleich als Künstler genommen und ausgestellt. Da hatte ich aber noch keine Ahnung, wie man ein Bild richtig rahmt und was dass dann ist und was es noch für Künstler gibt, die mit Fotografie arbeiten. Aber es gab eben schon früher Ausnahmen, zum Beispiel das jetzt-Magazin war seiner Zeit voraus. Die haben mir auch immer wieder spannende Jobs gegeben, denn bei denen durften Bilder nicht so aussehen, wie sie sonst in Zeitschriften ausgesehen haben. Da gab es noch keinen Jürgen Teller und Wolfgang Tillmanns. Die waren da noch nicht in den Magazinen präsent.

Und jetzt stehen Teller und Tillmanns für den Umbruch in der deutschen Fotografie?

Ja, die haben schon etwas Neues gemacht.

Wie ordnest du dich selbst zu den beiden ein?

Ich fand das interessant, aber ich habe ja das Gleiche gemacht. Nur, dass die in London saßen und ich in München und nach London alle hingeguckt haben. Jetzt ist mir mein Fuß eingeschlafen.

Martin steht auf und holt eine alte, schwarze Mappe.

Schau, mit so etwas hat man sich früher immer in den Redaktionen vorgestellt.
Fotos in Plastikhüllen, so habe ich das dann auch gemacht. Ja, das war schon schön bei jetzt, da war nicht so viel Werbung in dem Heft und man wusste, dass das viele Leute sehen. Ich habe auch mal das Zusammenleben in einer Montessorischule fotografiert, was rein Journalistisches. Ich wusste nicht, was ist Kunst, wo geht’s hin. Ich habe da sicher viele Fehler gemacht.

Was sind denn Fehler in einer Kunstkarriere?

Vielleicht ist Fehler nicht der richtige Begriff. Suchen und Ausprobieren trifft es besser. Wenn jemand sagt, der Martin macht da auch diese Illustrationen fürs Zeitmagazin und das nicht passend findet, dann ist mir das zum Glück inzwischen auch so wurscht, wo da angeblich Grenzen verlaufen.

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Martin Fengels Webseite

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Eindrücke von Martins Arbeitsplatz:

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Martin Fengel Portfolio

Martin Fengel Archiv

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