Peter Schernhuber: „Es ist kein Zufall, dass irgendwas irgendwo stattfindet.“

Peter Schernhuber (c) Lukas MaulFoto © Lukas Maul

Auf dem silberfarbenen Tablett steht ein halb getrunkener Espresso, das Wasserglas ist bereits leer. Zu den Stimmen der Kaffeetrinker und Strudelesser mischen sich die Tastaturgeräusche eines routinierten E-Mail-Schreibers – so wie sich Peter Schernhuber bereits eingerichtet hat, als ich am Treffpunkt ankomme, ist er wohl gerne früh dran. Jetzt und auch in seinem bisherigen Leben. Mit knapp 27 Jahren kann er sich als Journalist, Festivalveranstalter und DJ vorstellen. Obwohl ich mich in der letzten E-Mail als die kleine Brünette, die grundsätzlich fünf Minuten zu spät kommt, angekündigt habe, bin ich heute pünktlich. Dafür beschäftigt mich die Laufmasche in meiner Strumpfhose. Zur Begrüßung reiche ich meine Hand dem perfekten Schwiegersohn: weißes Polohemd, darüber ein marineblauer Pullover, Jacke mit grünem Krokodil, blond, blaue Strahle-Augen. Wegen der letzten Sonnenstunden des Jahres sitzen wir nicht im, sondern vor dem Café Prückel, dem Inbegriff der Wiener Caféhauskultur. Bei einem prüfenden Blick, wie weit sich die Laufmasche vorangearbeitet hat, entdecke ich sie: New Balance Schuhe in der Farbe Lila. Schwiegersohn mit Revoluzzer-Ambitionen? Die Neugierde ist geweckt. Noch kurz klären, dass er eher der Frühaufsteher ist und ich die Langschläferin bin. Weswegen wir, wenn wir in einer Beziehung wären, wohl nicht so viel voneinander hätten. Die Eule ist der Langschläfer. Aber welcher Vogel steht noch mal für den Frühaufsteher? Ich erfahre, er mag Pferde und hält auch Bienen für sehr liebe Tiere. Das Mikrofon funktioniert, ich probiere es noch einmal mit Tiervergleichen.

Journalist, Veranstalter und Mitarbeiter diverser Musik- und Filmfestivals – es scheint als wärst du eine eierlegende Wollmilchsau. Deine Kollegen bei der A-List nennen dich einen „wilden Hund“. Peter Schernhuber, welches Tier bist du?
Das ist eine schwierige Frage. Wer bin ich, das lässt sich für mich nicht mit einem Tiervergleich beantworten. Die Frage ist viel mehr: Wo kommt man her? Um dann zu versuchen rückblickend nachzuschauen, wer man ist, warum man jetzt da ist, wo man ist.

Dann leg dich mal auf die Couch.
Ich habe ganz bald angefangen zu veranstalten. Ich komme aus Oberösterreich und habe dort in Wels, wo ich aufgewachsen bin, mit Freunden mein eigenes Festival initiiert. Beziehungsweise haben wir ein Festival einige Jahre später übernommen. Es heißt YOUKI. In diesen ersten Gehversuchen waren eigentlich viele der Rollen, die ich jetzt habe, schon angelegt. Ich wollte nie auf eine davon verzichten. Das ist die romantische Version der Geschichte. Die Nüchterne ist ein ökonomischer Hintergrund: Es ist einfach nicht möglich, mit einem Job so auszukommen. Es ist rein zum Überleben schon notwendig, mehrere Sachen zu machen.

Warum ist das notwendig? Liegt das an der Medienlandschaft?
Man kann natürlich sagen, man ist zu hundert Prozent Journalist. Dann braucht man aber auch ein Medium bei dem man fix ist und mit dem man sich identifizieren kann. Und ein Medium, das einen anstellt. Das passiert de facto nur mehr selten.

Wo wärst du denn gerne angestellt worden?
Das kann ich so nicht beantworten. Und das will ich so auch gar nicht. Weil es eigentlich gut war, wie es gelaufen ist. Ich war relativ bald bei der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films. Fix, für eine gewisse Phase des Jahres. Das war tough und straight von denen, dass sie junge Menschen so fix ins Team integrieren. Angefangen habe ich dort mit zwanzig als Praktikant, als ich nach Wien gekommen bin. Und jetzt arbeite ich dort immer noch im Pressebüro.

Das bedeutet, du machst dort die Pressearbeit.
Genau, im weitesten Sinne. Ich habe dort auch andere Sachen gemacht, wie deren Branchentreffen mit zu organisieren. Das ist ein Format, bei dem filmpolitische, filmwirtschaftliche Fragen diskutiert werden.

Gut, das klingt für mich alles ziemlich gesittet. Warum sollst du ein wilder Hund sein?
Das ist wiederum ein Satz von Robert Kropf, dem Chefredakteur der A-List. Da habe ich sehr lachen müssen, als ich das gelesen habe. Ich würde es selbst nie auf mich anwenden.

Aber es scheint so, als hättet ihr schon mal ein paar Sätze diesbezüglich gewechselt.
Ja, haben wir. Unter wilder Hund stellt man sich einen Clubbetreiber oder jemanden, der sich die Nächte um die Ohren schlägt, vor. Das ist, glaube ich, nicht das Erste, das man mit mir assoziieren würde. Worauf er abgezielt hat, ist, dass ich schon relativ früh relativ viel gemacht habe.

Mit 19 Jahren hast du bereits das Filmfestival YOUKI geleitet. Bist du da reingestolpert?
Ja und nein. Das Festival findet seit 1999 in Wels statt. Ich habe dort angefangen, mit 14 Jahren mitzumachen. Man muss dazusagen, das ist ganz eng verwoben mit Hans Schoiswohl, Heide Kouba sowie Iris Brunnbauer-Kransteiner, die das Festival damals geleitet haben. Sie hatten die Gabe, mit einem guten Händchen junge Leute zu versammeln und denen gleich Verantwortung umzuhängen. Was sehr toll war. Ich habe damals ein EU-Projekt betreut, mit 15 Jahren. Filmaffine Menschen aus verschiedenen Ländern der EU sind in Wels für Workshops und Projekte zusammengekommen.

Das hast du organisiert?
Über zwei Jahre lang. Es war aber nie so hochtrabend, wie das jetzt klingen mag. Sondern es hängt wirklich eng damit zusammen, dass Hans Schoiswohl uns viel zugetraut und gleichzeitig eingefordert hat. Leider ist Hans erkrankt und verstorben. Uns war es ein riesengroßes Anliegen, dass auch andere junge Menschen weiterhin diese Möglichkeiten haben, die wir hatten. Deswegen haben wir zu dritt den Entschluss gefasst, YOUKI zu übernehmen. Wir haben, und das war unser großes Glück, mit der Lokal- und der Landespolitik und den Sponsoren ein Treffen gehabt. Uns war klar, wir machen das nicht aus völliger Naivität heraus, ohne Geld. Und da haben alle erstaunlicherweise gesagt: Ja, wir trauen euch das zu, wir geben euch das Geld.

Youki Filmfestival

Foto © Lukas Maul / Xenia Bluhm www.youki.at

Wels ist nicht unbedingt eine Metropole. Mittlerweile lebst Du in Wien. Und dennoch findet man auf der Homepage von der A-List folgendes Zitat: „Im Nu gelangt man in den pubertären Sehnsuchtsort Wien und mittlerweile genieße ich es ebenso schnell auch wieder retour brausen zu können.“
Wels ist eine sehr kleine Stadt, eine sehr überschaubare Stadt. Man kennt irgendwann die Szene. Aber sie hat mehrere Kulturhäuser, die immer schon ein Fenster zur Welt waren. Ganz markant ist für mich der alte schl8hof – dort werden sehr viele Konzerte veranstaltet und auch ein sehr tolles Festival music unlimited. Dort war immer die Geste: Wir sind in der Provinz, wir brauchen uns auch nichts vormachen, aber New York liegt nur ums Eck. Sie haben es immer geschafft große Jazz Musiker, die in Österreich nur in Wien Gigs haben, nach Wels zu bringen. Das war für mich in meiner Jugend sehr prägend, dass man sich nicht auf den Lokalkolorit einlässt. Ihn zwar anerkennt und auch damit arbeitet und trotzdem den großstädtischen Flair pflegt.

Wo wir gerade thematisch in Wels sind: Du bist Mitglied des Kulturbeirats Wels. Was passiert in der oberösterreichischen Idylle, wie mischt du mit?
Sehr vieles passiert dort. Der Kulturbeirat ist ein beratendes Gremium und ich habe mich gefreut, Mitglied zu werden. Seine Funktionen und Möglichkeiten sind jedoch überschaubar. Der Beirat kann gewisse Dinge anregen, kann Wünsche formulieren, kann Kritik üben. Das Problem ist aber, dass keine wirklichen konkreten Möglichkeiten bestehen, dennoch ist er eine gute Netzwerk-Plattform.

Das klingt ein wenig nach schöner Fassade.
Ich glaube, es ist eine gewisse Form der Anerkennung. Das ist schon mal etwas Positives. Man hört die Szene und man nimmt sie ernst. Man will wissen, was die Leute denken.

Kunst und Kultur – was ist das für dich?
Darauf kann ich keine schnelle Antwort geben, das ist ein sehr ausuferndes Ding.

Wenn man tagtäglich drin rumspringt, stellt man sich aber doch sicher etwas darunter vor.
Ich habe diese ganze Kunst- und Kultur-Szene zunächst einmal über Ausgrenzungsszenarien wahrgenommen. Man hat nicht gesagt, was man ist, sondern was man nicht ist. Das war meine erste Erfahrung und das hat sich auch durchgezogen.

Was ist dein Ausgrenzungsszenario? Was bist du nicht?
Ich glaube, ich bin vieles. Aber es gibt schon Dinge, mit denen man seine Probleme hat. Es geht darum, und das ist mir auch wichtig, das immer wieder zu betonen, dass Kunst und Kultur einen Gestus hat, als wäre es etwas Besseres als das normale Leben oder etwas Klügeres. Das stimmt überhaupt nicht. Sie sind Ausdruck von Gesellschaft an sich und daher auch nie besser als die Gesellschaft selbst.

Wenn du über diese „Szene“ nachdenkst, die du gerade beschrieben hast, was findest du gut und was geht, im Gegensatz, überhaupt nicht?
Neu ist, dass man szeneübergreifender agiert. Lange Zeit war es so: Man trifft Menschen, die man auf Filmfestivals trifft, nicht auf Musikfestivals. Konkret für meinen Arbeitsbereich gesprochen ergeben sich dadurch wahnsinnig viele Möglichkeiten und Synergien. Man lässt sich darauf ein, viel unkonventionellere Sachen zu machen.

Für deine journalistische Arbeit, liest man weiter auf der Homepage der A-List, treibst du dich an den Orten herum „an denen das passiert, wofür es sich zu Leben lohnt“. Dort tummeln sie sich, deiner Meinung nach, die Insider. Was hat es mit diesen Insidern auf sich?
Insider, das ist ein Begriff, der nicht von mir ist. Robert Kropf, der Chefredakteur der Insiderei, hat das initiiert. Und mit dem hantiert er einfach. Ich schreibe für die Insiderei, wie ich für andere Magazine auch schreibe.

Wie hat er ihn denn definiert?
Die Idee ist, dass man mit Playern spricht, mit Menschen, die etwas bewegen wollen, die eine Stadt prägen. Das ist nicht mein Konzept. Es ist etwas, das ich mit kommuniziere und übernehmen muss, wenn ich für das Medium schreibe.

Was stört dich daran? Was würdest du an dem Konzept ändern, damit es deines wird?
Es stört mich in der Form gar nichts, weil es intendiert ist. Es wird dem eigenen Anspruch gerecht.

Aber du möchtest dich dennoch davon distanzieren.
Nein, gar nicht. Es ist nur einfach nicht mein Konzept. Man schreibt für eine Zeitung und die Zeitung hat eine Leitlinie. Im weitesten Sinn kann man mit dieser Leitlinie, aber nichtsdestotrotz hat man phasenweise eine andere Meinung. Und das ist auch gut so.

Was wäre denn dein Ding?
Unser Ding, als Äußerungsform, die wir mit definiert haben, ist YOUKI, zum Beispiel. Das haben wir von Anfang an konzipiert, so wie wir es haben wollten. Aber selbst das ist immer etwas, das in Bewegung ist.

Du hattest noch von den Orten gesprochen, wo man diese Insider finden kann.
Führt man Interviews, dann tauchen relativ schnell Orte auf, die für die Personen wichtig sind. Und meistens decken sich die. Das sind ganz markante Punkte, die eben so Tummelplätze einer Szene sind. Die gibt es in jeder Stadt und für jede Szene anderswo, Konzertorte, Kinos, Cafés. Die auszumachen ist immer so ein bisschen die Herausforderung. Oder auch nicht. Du merkst, wenn Du von Berlin nach Wien ziehst, dass man relativ schnell an den gleichen Orten abhängt. Das hat auch eine Bedeutung. Diese Bedeutung muss man ernst nehmen. Es ist kein Zufall, dass irgendwas irgendwo stattfindet.

Um die Betitelung als eierlegende Wollmilchsau endgültig zu bestätigen: Heute Abend legst du im rhiz, deinem Lieblingslokal, auf. Worauf darf sich dein Publikum einstellen?
Auflegen ist ein bisschen übertrieben. Ich spiele gern meine Lieblingsplatten vor. Heute geht es um traurige Musik. Das wird super. Ansonsten habe ich mit einer anderen Freundin gemeinsam, Maria Poell, einmal im Monat einen Club im Elektro Gönner: mixtapes from mars. Die Maria kenne ich eigentlich aus anderen Arbeitsbereichen. Wir haben gemerkt, wir haben beide ein bisschen ein David Bowie-Faible. Das ist nicht wahnsinnig aufregend, aber es ist immer eine nette Gelegenheit sich gegenseitig Musik vorzuspielen und das auch anderen Menschen anzubieten.

Das klingt wunderschön: „sich gegenseitig Musik vorspielen.“
Ich genieße das, wenn man irgendwo hinkommt und man hört Musik, die man nicht kennt. Man kann was entdecken. Ich will mir nicht anmaßen, dass wir bei dem Club ein Entdecken ermöglichen, aber wir haben schon den Anspruch nicht jeden Monat die gleiche Playlist runterzurattern, sondern uns auszutauschen, was man neu hat und was man gern hat. Für mich war da der Peter Neuhauser ganz wichtig, einer der Veranstalter im alten schl8hof. Er hat seine ganz eigenen Musikrichtungen und eine riesengroße Plattensammlung, unter anderem mit fast allen Madonna Platten. Seither finde ich es super, dass man sich nicht in ein Ding vernarrt.

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