Ayzit Bostan: „Kunstaffin bin ich über mein Umfeld geworden.“

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Die Tür zu Ayzit Bostons Atelier in der Münchner Landwehrstraße ziert ein großes, neonorangefarbenes A. Bekannt ist das Studio der Designerin und Künstlerin auch als Bostan Palast mit eigener Facebook-Fanpage. Bostans Kollektionen sind schlicht, aber trotzdem elegant und tragbar.

Geboren in der Türkei, aufgewachsen in Deutschland begann Ayzit (46) ihre Karriere mit einer Ausbildung zur Schneiderin, weil sie Kleidung für sich entwerfen wollte, und bildete sich dann an der Münchner Meisterschule für Mode zur Schnittdirektrice weiter. Heute lehrt sie „Design textiler Produkte“ an der Kunsthochschule Kassel. Im Gedächtnis geblieben ist sie vielen Münchnern besonders durch ihre Installation „Replika“ in den Arkadengängen des Hofgartens. Über vier Meter lange, weiße Vorhänge zierten in den Sommermonaten 2012 das historische Gemäuer am Odeonsplatz.

Ayzit öffnet die Tür. Sie trägt eine blau glänzende Bomberjacke aus ihrer aktuellen Kollektion. In dem hellen Raum fällt sofort eine schwarze Plastikpalme aus Luftballons auf, ein Überbleibsel der letzten Party, wie sie verrät. Neben dem Luftballonpflänzchen hängen Sweater mit Katzenprint oder arabischen Schriftzeichen von der Decke. Das Atelier wird eingerahmt von Kleiderstangen. Am Fenster steht ein großer Arbeitstisch, darauf Notizen und Stoffe. Bevor wir am Tischchen Platz nehmen, brüht sie Pfefferminztee auf.

Ayzit, seit 16 Jahren hast du dein eigenes Label. Warst du auch schon ein Mal angestellt?
Ich arbeite als freier Designer bei Philipp Bree, aber vor allem an meiner eigenen Marke. In München habe ich in zwei Ateliers meine Ausbildung gemacht.

Was hat dich in deiner Ausbildungszeit geprägt?
Ich war damals in einem hochwertigen Lederatelier in der Kellerstraße und bei Natascha Müllerschoen, die größtenteils Abendmode entwirft. Die Lederausbildung ist wie ein Gen in mir geblieben. Ich habe damals schon Lederaccessoires gemacht. Ich glaube das Auffällige war, dass ich Leder wie Stoff verarbeitet habe. Diese Leichtigkeit ist mir geblieben.

Man kennt deine Prints, daneben die Schmuck-Serie Pamuk, aber auch schlichte Handtaschen. Wo liegt dein Fokus?
Der liegt auf den Dingen, die ich gerade mache. Wie die Wolken-Kette, die zu dem Armreif hinzugekommen ist. Sie ist gerade fertig geworden. Die neuen Teile werden oft von Zeitschriften aufgegriffen, darum wirken sie präsenter, als ob sie total neu wären. Dabei habe ich den Armreif schon Anfang des Jahres entwickelt, nachdem ich im Kunstverein eine Wolke von Martin Wöhrl gesehen und mich in sie verknallt hatte, habe ich sie von ihm erst mal geschenkt bekommen. Ich habe mich in die Form verliebt und angefangen Unterschiedliches damit auszuprobieren. Dabei kam dann der Armreif heraus den ich mit einer Freundin, die Schmuckkünstlerin ist, entwickelt habe.

Bei dir lebt viel vom Austausch mit anderen?
Es gibt Stücke, die ich komplett alleine entwickle und überlege, aber ich finde es total wichtig, dass Sachen auch oft in Teamarbeit entstehen. Manchmal ist das Team sichtbarer und manchmal nicht.

Im Atelier sieht man schon wirklich viele Wolken. Auch ein „I Wolke“- Plakat hier an der Tür.
Ich wusste nicht, dass aus dieser Wolke so ein Pamuk-Wahnsinn entsteht. Meine Freunde sind durch mich so fokussiert darauf und schicken mir andauernd Arbeiten und Fotos von Wolken. Das Poster an der Wand entstand allerdings für ein Spezialheft über München des ZEITmagazins. Man sollte seine Liebeserklärung an München abgeben.

Das heißt, das was du konkret machst, ändert sich von Projekt zu Projekt?
Je nach Anlass oder Inspiration. Wenn ein Schmuckthema entsteht, dann verfolge ich das auch weiter. Aber das passiert parallel. Pro Jahr mache ich eine Kleiderkollektion und zwei Taschenkollektionen.

Arbeitest du alleine im Bostan Palast?
Ich habe eine feste Mitarbeiterin. Ich bin ein Chaot und sie hält mich gut zusammen. Ab und zu haben wir auch Praktikanten, wobei das immer ein wenig stressig ist und dazu kommt der Lehrauftrag an der Uni in Kassel. Das sind zwei Tage in der Woche.

Wie kam es zu deinem Lehrauftrag?
Die Anfrage für die Professur kam aus dem Nichts. Ich hatte etwas Panik, sodass ich mir gedacht habe, dann bewerbe ich mich einfach schon allein deshalb, um meine Angst zu überwinden. Und ich wurde genommen. Ich bin sozusagen Professorin ohne Abitur – das finde ich interessant. Nach abgebrochenem Gymnasium habe ich die mittlere Reife über den zweiten Bildungsweg nachgeholt und auch erst relativ spät, mit 22 entschieden, dass ich eine Schneiderlehre machen will. Wenn ich jetzt manchmal in Kommissionen sitze, sehe ich erst, was für ein langer Weg das sein kann. Aber es scheint, dass ich mal wieder Glück gehabt habe. Wobei es natürlich nicht nur Glück ist.

Was heißt wieder, wo hattest du noch Glück?
Mein Leben lang (lacht).

Erzähl …
Weiß nicht, doch, mir fällt da der Replika-Wettbewerb ein.

Das war die Installation im Hofgarten?
Ja, das waren die weißen Vorhänge. Das war ein offener Wettbewerb, der mit Gestaltung und Architektur im öffentlichen Raum zu tun haben sollte. Ich wusste gar nicht, dass Replika groß und international ausgeschrieben war. Mitgemacht haben etwa 260 Leute. Gerdhart Kellermann und ich haben ihn dann mit unserer Idee gewonnen. Das ist nun schon zwei Jahre her, aber ich werde noch immer darauf angesprochen und es ist es schön, wenn man gesagt bekommt: Ah, das war von Ihnen!

Replika by Gerhardt Kellermann
Foto: Gerdhart Kellermann

Gab es für dich einen Punkt in deinem Leben, an dem du dich für Mode oder Kunst hättest entscheiden müssen?
Ich würde sagen, dass ich Mode mache. Kunstaffin bin ich über mein Umfeld geworden. Ich finde die Mischung immer am schönsten, aber auch schwierig, denn oft habe ich das Gefühl, dass ich bei den Mode Leuten keine Mode mache und bei den Kunst Leuten keine Kunst.

Wie kommst du darauf, dass du keine klassische Modedesignerin bist?
In der Modewelt muss Rhythmus gehalten werden und ständig wird Neues erwartet. Das langweilt mich, denn es geht mir nicht darum Masse zu produzieren, sondern um Qualität und meinem eigenen Rhythmus zu entsprechen. Das ist der Luxus, den ich mir geschaffen habe. Wenn ich mit Philipp Bree zusammenarbeite, dann ist es der klassische Weg mit zwei Saisons pro Jahr. Aber das ist ein anderes Arbeiten. Mit meinen Kleidern gehe ich anders um: Da gibt es eine Kollektion im Jahr. Ich möchte die Leute nicht überladen. Ich arbeite an bestehenden Entwürfen weiter und entwerfe neue Modelle dazu. Das ist mein Kosmos, on going projects. Das ist vielleicht auch das Unklassische daran.

Du arbeitest auch mit Philipp Bree zusammen. Wie kam dazu?
Das lief über eine Empfehlung vor fünf, sechs Jahren. Damals habe ich noch für BREE gearbeitet. Nachdem er bei BREE ausgestiegen ist hat er mich bei seinem eigenen Label PB 0100 mit ins Boot geholt. Er wollte moderneres Design und bei mir war klar, dass ich qualitativ hochwertiger arbeiten möchte.

Verschiebst du deinen Schwerpunkt je nach dem, was ausgeschrieben ist?
Im Kunstkontext bin ich Künstler und Designer und in der Mode Designer und Künstler. Eigentlich verschiebt es sich von selber. Je nach dem, aber es ist immer sehr visuell und ästhetisch angelegt. Es ist nicht so, dass ich wahnsinnig tolle Bilder male oder zeichnen kann. Es ist eher konzeptionell.

Du lässt also lieber andere für dich zeichnen?
Ich liebe zum Beispiel Martin Fengels Strich. (Anmerkung der Redaktion: Martin Fengels Illustrationen sind u.a. auf dem Catpeople-Sweater zusehen.) Ich finde den Wahnsinn. Und er drückt seinen Humor aus. Da kommt sein ganzes Inneres und seine eigene spezielle Sicht auf die Welt zur Geltung, das ich sehr bewundere.

Eure Bostan-Prototypen näht ihr hier im Atelier?
Die fertigen wir selbst und auch die einfacheren Entwürfe. Ich nähe selber ab und zu gerne, weil ich auch gerne mit den Händen arbeite. Außerdem muss ich die Sachen weggeben, damit ich wieder Respekt vor ihnen bekomme. Für mich müssen sie noch mal durch eine andere Hand gehen. Produziert wird in München und Niederbayern bis auf die Pullis. Sie werden nach eigenem Entwurf in der Türkei hergestellt.

Du produziert keine Laufsteg-Kollektion, dafür liegt es dir Formen zu reduzieren, wie deine „I love“ oder „Black Flag“-Prints…
Das sind Motive, die mich interessieren und die etwas mit meinem Geschmack und meinen Interessen zu tun haben, aber ich trotzdem das Gefühl habe, sie verbostanisieren zu müssen.

Was passiert bei der Verbostanisierung?
Noch mehr Essenz, ein Herunterbrechen, bis es quasi nur noch ein Skelett ist, aber man trotzdem noch die Herkunft und mein Fan-sein von diesen Ansagen erkennt.

Trägst du deine Entwürfe selbst?
Klar, ich mag meine Sachen und deshalb trage ich sie gerne. Ich finde es komisch, wenn man Sachen entwirft, die man selbst nicht verwendet. Das würde ich bei Produktdesignern noch extremer finden.

Wie kommst du darauf Shirts mit „Imagine Peace“ auf Arabisch zu produzieren?
Ich hatte einen „Imagine Peace“-Stempel von Yoko Ono und dachte mir – das lasse ich mir jetzt in Arabisch machen. Ich finde die Schrift wunderschön und habe es im Internet übersetzt. Die Idee dazu ist auf einer Exkursion unter dem Titel „Wahrnehmung von Design im nichtwestlichen Kontext“ in Marrakesch entstanden, dort war ich mit meinen Studierenden. Die Arbeit dort steht im Gegensatz zum europäischen „Hardcore Design“ – dem Design für Designer.

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Und da gehörst du nicht dazu?
Ich gehöre schon dazu, aber durch meine Reisen ist mir aufgefallen, dass es auch nicht durchs Studium entworfenes Design gibt, das wunderschön, sinnlich und gebrochen ist, aber nicht perfekt aussieht wie industriell Gefertigtes. Erst dieser Bruch von Perfektem und Nichtperfektem ist ein tolles Ganzes für sich.

„Imagine Peace“ – könnte man das auch auf die aktuelle politische Lage in Syrien beziehen?
Ich finde es ist eine Ansage, ein Satz, den man auch ohne Krieg Tag und Nacht verbreiten kann. Die ersten Shirts mit dem Motiv habe ich an der Uni gesiebdruckt. Über Facebook sind die Prints dann bekannt geworden.

Wie wichtig sind für dich die sozialen Medien?
Mir macht es total Spaß Sachen zu zeigen, die mir gefallen. Ich mache das ganz selbstverständlich. Ich teile gern.

Bist du noch viel in der Münchner Society unterwegs?
Ich gehe manchmal aus, aber am liebsten unter der Woche. Samstags ist es mir zu voll. Besonders gerne besuche ich Ausstellungen.

Mit denen sich dann neue Projekte ergeben?
Ich werde öfters von Freunden eingeladen mit ihnen auszustellen wie zum Rumford-Jubiläum dieses Jahr. Für das Rumford-Labor ich eine Pommes-Fahne entwickelt. So wie ich die Kartoffel am liebsten mag. Sie sollte aber trotzdem elegant sein, und deshalb wurde sie in Schwarz-Weiß geprintet. Ich habe sie dann mit einem Ventilator inszeniert, so dass sie immer in leichter Bewegung war.

Ist es nicht gerade bei Wettbewerben oder Stipendien oft ausschlaggebend klar verortbar zu sein?
Diese Erfahrung habe ich noch nicht gemacht. Dadurch, dass ich auch schon lange in München wohne, habe ich 1997 den Förderpreis der Stadt bekommen, der in der Lothringer 13 ausgestellt wird. Mit diesem Preis wird man ein Künstler der Stadt. Man Wird sichtbar und gleichzeitig ernst genommen.

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Foto: ayzitbostan.com

Du hast dieses Jahr auch auf der Design Biennale in der Türkei ausgestellt. War das wichtig für dich als türkischstämmige Künstlerin?
Es war eine Einladung für eine internationale Designausstellung und natürlich war es schön – über Umwege – in der Türkei ausgestellt zu sein.

Wie viel verbindet dich noch mit der Türkei?
Ich mag das Land total gerne und versuche mindestens ein Mal im Jahr hinzufahren. Viele Freunde von mir sind Istanbul süchtig. Wie es früher New York war, ist es jetzt die Stadt am Bosporus. Ich finde es toll, diesen Wandel zu sehen.

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Eindrücke aus dem Bostan Palast:

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Fotos: Natalie Mayroth

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