Transmediale 2015: Capture All

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„Track sleep. Track steps. Track habits. Track Life. Tricks of the mind. Fitness. Fatless. Fearless. Flights. Heights. Sights worth seeing. Capital. Co-operate. Carbohydrate. Never Change a winning team. Dare to dream. Sleepwalk. Lovers. Losers. Loner. Work less, play hard. Last to leave and first to arrive.“

Das sind die Schlagwörter der Transmediale, die auch auf mehreren Postern hier im Haus der Kulturen der Welt in Berlin aushängen und in der Publikation des Festivals für Kunst und digitale Kultur beigelegt sind. Sie klingen wie ein Gedicht und bringen digitalen Lifestyle auf den Punkt: Selbstoptimierung, Selbstvermessung, Selbstüberwachung durch Technik.

Das Grundbedürfnis Nummer eins der Besucher der 28. Transmediale scheint zu sein, die nächste freie Steckdose zu finden, um Smartphone oder Laptop zu laden. Auch mein Akku ist jede zweite Stunde leer – vom ständigen Twittern, Aufzeichnen und Fotos machen.

Hier trifft sich die Medienkunstszene. Künstler, Programmierer, Kulturforscher und -schaffende diskutieren in Workshops, Symposien und ausgestellten Arbeiten das Schwerpunktthema dieses Jahres: „Capture All“, mit den Unterkategorien Work, Life und Play.

Der Mensch als kultivierter Rohstoff

„Wenn du es nicht messen kannst, dann kannst du es nicht managen,“ sagt Kristoffer Gansing, künstlerischer Direktor der Transmediale, bei der Eröffnungsveranstaltung über die momentane Einstellung der Wirtschaft und der digitalen Gesellschaft zur Datenerhebung. „Wir loben die Technik in den Himmel – aber sie kontrolliert uns“, sagt Peter Sunde, Mitgründer von The Pirate Bay und Flattr, der nach Gansing spricht. Moral sei inzwischen durch Kontrolle ersetzt worden. Unmerklich würden wir selbst zu Arbeitsroboter werden, fremdgesteuert von Algorithmen. „Wie kann es möglich sein, Karriere mit dem Berufsfeld Human Resources zu machen?“, frägt Sunde und bringt mich zum nachdenken.

Der Mensch wird zur Rohstoffquelle erklärt – für Daten. Dabei bewirtschaftet, optimiert und offenbart er sich selbst. Er entwickelt sich zum perfekten Perpetuum mobile – für die Maschine. So zumindest die immer wiederkehrende These, der ich auf der Transmediale begegne und die mich stark an die Matrix-Triologie erinnert.

Besonders anschaulich verhandelt wird diese bei dem Transmedia-Projekt „World Brain“ der beiden französischen Künstler Stéphane Degoutin und Gwenola Wagon, das auf der Transmediale – vorgestellt von Arte Creative – seine Premiere feiert. In dem 70-minütigen Film kontrastieren Bilder von kühlen, absolut anorganischen und automatisierten Serverhallen des Internetgehirns mit einem fiktiven Experiment von Internetforschern, die unter anderem nackt, mit einer Ganzkörpermaske aus grüner Biomasse auf dem Körper durch den Wald schreiten und versuchen, sich mit dem Wissen von Mutter Erde zu verbinden. Die Forscher müssen sich allerdings das Überleben in der Wildnis mit Wikipedia beibringen.

Wo wird die Reise der Menschheit hingehen? Werden wir uns von jeglichem natürlichem Instinkt und unserer Autonomie in Zukunft trennen und aus der Erde ein total gesteuertes System machen, in der biologisches Leben nur noch im Labor kultiviert wird?

Darkage_Worldbrain

Der Mensch als absoluter Gefangener

Das scheint auf uns zuzukommen. In der Keynote „Capture All_Life“ spricht Byung-Chul Han, Autor, Essayist und Professor für Philosophie und Kulturwissenschaften an der UdK Berlin, darüber, dass sich der ganze Globus zu einem Panoptikum, im erweiterten Sinne von Foucault entwickle.

Er liest seinen Vortrag auf Deutsch, die Sprache gefalle ihm so gut und es gebe viel, was so wie auf Deutsch nicht auf Englisch ausdrückbar sei. Das Programm der Transmediale ist vorwiegend auf Englisch und ist auf ein internationales Publikum ausgelegt, bei seinem Vortrag tragen daher weit über die Hälfte Übersetzungskopfhörer.

Bei Foucaults Panoptikum ist von einer zentralen Stelle aus alles sichtbar und somit überwacht. Ein totaler Blick, der Angst einflößt. In der digitalen Leistungsgesellschaft ist dieser Blick dezentralisiert. Wir können kein Gegenüber mehr sehen und fühlen uns darum nicht mehr beobachtet und kontrolliert. „Wir verwandeln uns in absolute Gefangene“, sagt Han. „Wir sind gleichzeitig Insasse und Aufseher in einer digitalen Diktatur des Gefällt mir.“ Die smarte Macht sei seduktiv und mache von unserer Freiheit Gebrauch.

„Wir wollen eine Espresso-Maschine, aber nicht die Verantwortung dafür tragen“, hatte Peter Sunde es zuvor beschrieben. Wir verdrängen die Konsequenzen unseres Konsumverhaltens zugunsten der Bequemlichkeit. Unsere Autonomie tauschen wir großzügig gegen Lifestyle-Produkte ein.

„Die Welt ist so, wie der Konsument sie kauft“, sagt Marcel Schwierin, Kurator der Screenings der Transmediale, mit dem ich ein Interview darüber führe, wie er die Filme ausgewählt hat und was sich seiner Meinung nach im Experimentalfilm verändert hat.

Mir stellt sich hier die Frage, warum wir die Konsequenzen unseres Konsums so efolgreich verdrängen wollen. Welches psychologische Bedürfnis ist uns denn so unbewusst, dass es uns angreifbar und manipulierbar macht? Auf was gehen die großen Konzerne ein, was uns ständig zu fehlen scheint?

Beantworten kann ich es selbst noch nicht zufriedenstellend. Ich werde mir nur meiner eigenen Schizophrenie schmerzend bewusst, als ich bei dem Screening des Films IPHONECHINA von Christian von Borries sitze und kritische Notizen über das iPhone in mein iPhone tippe.
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Eindrücke von der Transmediale – Fotos von Natalie Mayroth:

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