Als ich Anastazja Moser (28) treffe, wartet sie bereits vor dem ACUD-Kunsthaus. Sie sitzt auf einer Steinmauer vor dem Gebäude, genießt die Sonnenstrahlen. Die letzten Monate waren nervenaufreibend. Viel Papierkram für verschiedene Förderungsanträge haben sie und ihre Kollegin Sarah Miles (32) hinter sich gebracht. Und auch eine Crowdfunding-Kampagne für ihr Herzstück, das Berlin Community Radio (BCR), erfolgreich abgeschlossen. Anastazja und Sarah bringen eine Community, die mittlerweile über 70 Mitarbeitende umfasst, zusammen. Darunter auch der in Berlin gestrandete, finnische Musiker Jaakko Eino Kalevi (JEKS) oder der Journalist und DJ Henning Lahmann (No Fear of Pop), die sich beim Auflegen auf einer der Radio-Partys kennenlernten. Nicht nur poppige Töne hat das Radio zu bieten, auch die dunklen Gestalten des Goth-Labels Unreal haben beim BCR ihre Sendung.
Alles begann vor ein paar Jahren mit einer Sendung, die die beiden Gründerinnen, damals Nachbarinnen, initiiert haben. Daraus ist ein Online-Radio entstanden. Im Dezember war Crowdfunding ihr Ausweg, um das BCR am Leben zu erhalten. Zufällig kam die Stadt Berlin auf sie zu und sie gewannen im März zudem den mit 5000 Euro dotierten „Crowd for Media Preis“. Die Freude ist groß, die Finanzierung für nächstes Jahr gesichert und es steht schon das nächste Musikprojekt an: die Produktion „Welcome to Berlin“ in Kooperation mit Musicboard Berlin.
Anastazja, du kommst gebürtig aus Polen, was hat dich nach Berlin verschlagen?
Vor sechs Jahren habe in Berlin ein Erasmusjahr eingelegt. Mein Studium habe ich in Polen angefangen, aber in Berlin beendet. In Polen habe ich mich zu eingeschränkt gefühlt, deshalb habe ich mein Heimatland früh, schon mit 19 Jahren verlassen und zwischendurch in London und Spanien gelebt.
Wie kam es dazu, dass du mit Sarah Miles ein Community Radio aufziehst?
Sarah und ich waren Nachbarinnen. Wir lieben Radio und sind damit aufgewachsen. In Berlin hat uns ein Sender gefehlt, den wir gerne hören. Vor vier Jahren haben wir dann unsere eigene Sendung „Welcome to the Room“ mit Interviews von internationalen DJs und Produzenten ins Leben gerufen. Wir haben sie damals tagsüber im Farbfernseher aufgenommen. Der Club hat uns den Raum bereitgestellt, Pablo Sanchez hat sich um die Tontechnik gekümmert. Sarahs Kontakte aus der Musikbranche, ihre Mitarbeit für Mobilee Records, Get Physical und Universal Music haben uns geholfen, mit den Künstlern in Kontakt zu treten.
Wie lange gibt es das BCR schon?
Im März 2013 haben wir das Projekt mit damals zwölf Radiosendungen, die auf Soundcloud verfügbar waren, auf cargocollective.com gelauncht. Ein Studio hatten wir nicht. Henning Lahmann (No Fear of Pop) oder Finn Johannsen (Hot Wax) waren zum Beispiel schon ganz am Anfang mit dabei. Am 19. September 2013 hatten wir unsere erste Livesendung. Das war der Beginn des Berlin Community Radios. Seit Oktober 2014 haben wir ein Studio im ACUD in Mitte.
Aus welcher Richtung kommst du, warum Musik?
Ich habe eigentlich Linguistik studiert, aber Musik war immer da. Ich habe angefangen für Viva-Radio in New York zu arbeiten und lege manchmal international auf. Seit fünf Jahren bin ich DJ, ein Jahr länger als ich Radio mache. Mein Mann teilt die Radioleidenschaft mit mir, er hat seine eigene Sendung auf BCR.
Ein Radio aufzuziehen funktioniert wahrscheinlich nicht ohne Kontakte?
Am Anfang hatten wir keine große Infrastruktur, dafür aber viel Enthusiasmus. Unser Netzwerk ist mit der Zeit entstanden. Die Sendung „Welcome to the Room“ haben wir fast drei Jahre lang gemacht. Dafür haben wir gutes Feedback bekommen. Wir haben versucht, bekannte Künstler als Gäste einzuladen, es hat funktioniert. Die Legende Andre Weatherall war bei uns.
Sind alle der 90 Sendungen im Internet frei zugänglich?
Die Shows werden in unserem acht Quadratmeter Studio aufgenommen und danach jeweils von den Radiomachern auf unserem Soundcloud-Account veröffentlicht.
Ihr habt ja doch einiges an Kosten von Musikverwertungspauschalen bis Miete – wie habt ihr das vor der Förderung finanziert?
Das lief vor allem aus eigener Tasche. Zum Teil haben sich unsere Contributer an dem Kosten beteiligt. Das britische Radio NTS beispielsweile finanziert sich dadurch, dass jeder Teilnehmer 40 Pfund im Monat bezahlt, damit das Radio unabhängig und werbefrei bleibt. Doch dieses Modell hat bei uns nicht funktioniert, weshalb wir uns für das Fundraising entschieden haben.
Dann habt ihr euch aber lange selbst getragen.
Das Geld für das Equipment haben wir vom Michelberger Hotel bekommen. Sie haben uns sehr unterstützt. Im Gegenzug haben wir im Hotel eine Sendung gemacht, Interviews mit Künstlern des hausinternen Musiklabels geführt und sie haben ein Logo auf unserer Website.
Ihr wollt in Zukunft auch werbefrei bleiben?
Werbung funktioniert bei uns nicht. Unsere Radioshows werden vor allem in den USA und gar nicht live, sondern als Podcast auf Soundcloud gehört. Das kann man nur schlecht monetarisieren und wir wollen es auch gar nicht. Werbung in die Podcasts zu integrieren, würde sie kaputtmachen. Auf unserer Website haben wir versucht, Einnahmen mit Werbung von interessanten Projekten zusammenzubekommen, aber das Interesse ist mäßig.
Das Radio nimmt viel Zeit in Anspruch, wie lässt sich das beruflich vereinbaren?
Seit 29. Juli 2013 dem Tag, an dem wir das Radio registriert haben, bin ich selbstständig. Ich arbeite Teilzeit in einem PopUp-Store, lege auf und gebe Musik-Beratung. Unser Traum wäre es, wenn wir uns mit dem Radio finanzieren könnten. Ich finde die Moral in Berlin problematisch, so viel unbezahlt zu arbeiten. Wir würden unsere Volunteers, den Grafiker und Programmierer gerne bezahlen, doch leider können wir das momentan nicht.
Bisher konntest du dich durch die verschiedenen Jobs finanzieren?
Mal mehr, mal weniger. Im November war es sehr hart, deshalb haben wir uns zu dem Crowdfunding entschlossen. Und es hat gut getan, das Feedback und die Unterstützung der Community zu spüren. Das nächste Projekt mit Musicboard Berlin beginnt jetzt auch. Dafür haben wir eine Förderung und unsere Arbeit wird vergütet.
Um was geht es genau?
Es basiert auf der Idee unserer ersten Sendung und läuft unter dem Namen „Welcome to Berlin“. Es werden nur Berliner Künstler vorgestellt. Es gibt, wie im letzten Jahr einen Open Call – Musiker können uns ihre Demos schicken. Wir suchen dann drei Bands aus. Sie bekommen ein professionelles Fotoshooting, eine Radioshow und sie werden von Converse in ein Tonstudio geschickt.
Ihr unterstützt mit BCR viele Künstler, bist du selbst künstlerisch tätig?
Ich fotografiere analog. Die Portraits auf der Website sind zum Beispiel von mir. Und neben dem Radio lege ich karibisch inspirierte Musik auf. Meine Partnerin Sarah spielt mehr House und Techno. Wir haben beide auch schon international aufgelegt. Demnächst geht es nach Amsterdam. Wir wurden zum Online Radio Festival Anfang Mai eingeladen zu einem 30-stündigen Broadcast.
Ihr seid insgesamt 70 Leute, wie ist das Radio organisiert?
Wir haben vier Volunteers und einen Praktikanten. Täglich ist jemand anderes zuständig und kümmert sich um das Studiomanagement. Wir haben momentan circa 90 Sendungen. Zuvor waren Sarah und ich unter der Woche oft von 12 bis 12 im Studio. Das war sehr auslaugend vor allem bei 90 Leuten, wo dann auch Mal einer später oder gar nicht kommt und deine Facebook-Nachrichten plötzlich überlaufen. Gerade sind wir nicht in die Planung involviert, da wir seit Januar unsere ganze Energie in das Funding gesteckt haben und versuchen, ein Businessmodell aufzubauen.
Das Crowdfunding habt ihr Anfang des Jahres eingeleitet, wie kam es zu dem „Crowd for Media“-Preis der Stadt Berlin?
Wir wurden gefragt, ob wir mitmachen wollen. Unser Crowdfunding war bereits angelaufen und recht erfolgreich. Viele internationale Websites haben uns unterstützt und unseren Aufruf für das Voting auf der Website des Berliner Senats abzustimmen, geteilt. Für uns war das Funding unser letzter Ausweg, um das Radio am Leben zu erhalten. Ich war dem gegenüber skeptisch. Da sogar ein Woody Allen versucht, seinen Film über Kickstarter zu finanzieren, war ich mir nicht sicher, ob es funktionieren würde.
Durch den Preis der Stadt habt ihr zusätzlich 5.000 Euro bekommen – was macht ihr damit?
Wir bezahlen erst einmal Studio und Büro für ein Jahr – das sind immerhin 3000 Euro. Sonst ist Technik geplant: Neue Kabel, Mikrofone und ein kleines Polster für die nächste GEMA- und GVL-Rechnung, die zusammen über 1000 Euro betragen – das zu haben, ist beruhigend. Zudem kam über unser Crowdfunding über 3.300 Euro zusammen, das war insgesamt eine tolle Bestätigung.
Wie ist die Community hinter dem Radio entstand?
Sarah und ich haben Leute angesprochen, die wir interessant fanden, darunter auch das Blog No Fear of Pop. Mir ist dabei aufgefallen, dass es für Einige ungewohnt war, eine Radiosendung zu machen – das ist in Großbritannien ganz anders. Radio ist gut für alle, nicht nur für uns, die es initiieren. Es ist eine Plattform. Viele unserer Contributer haben sich bei uns beworben, es hat sich herumgesprochen. Wir haben auf unsere Website auch ein Kontakt-Formular, wenn jemand Lust hat, eine Sendung zu machen.
Du hast nur eine Radiosendung?
Sarah und ich machen zusammen immer noch „Welcome to the Room“, doch in letzter Zeit leider nicht mehr so häufig, da wir uns viel um Förderungen und das Crowdfunding gekümmert haben. Jerk Sauce ist meine Sendung. Ich wollte über karibische Musik und Essen reden – jetzt dreht es sich ausschließlich um Musik (lacht). „BCR Special“ – ein loses Format mit wechselnden Protagonisten, das von uns kuratiert wird.
Hier in Berlin gibt es eine große englischsprachige Community…
Wir bringen durch das Radio hier verschiedene Nischen zusammen und die Leute können sich kennenlernen. Wir senden auf Englisch, da wir gerne ein internationales Publikum erreichen wollen. Hier passiert so viel. Amerika ist als Vorreiter des Podcast-Radio Vorbild für uns. Es wird dort öfter als die FM-Frequenzen gehört.
Welches Spektrum bedient ihr?
Musik von nationalen und internationalen DJs, von Dancehalle bis Techno, aber auch Lesungen wie von der „Young Girl Reading Group“ oder Kunsthörspiele wie von Steven Warwick (Heartsick) sind beim BCR vereint.
Arbeitet ihr mit anderen Berliner Radios wie dem radio transatlántico, das aus dem Haus der Kulturen der Welt sendet, zusammen?
Sie haben uns gefragt, aber wir haben kein Interesse an einer FM-Sendung (Frequenz). Mit der National Public Radio Station (NPR), die auch eine Berlin-Frequenz haben, hatten wir einen Film-Talk. Doch das Vernetzen mit internationalen Online-Radios wie dem Londonder NTS, Dublab Los Angeles oder Japan interessiert uns mehr.
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Eindrücke von ACUD-Kunsthaus/ Berlin Community Radio:
Fotos: Natalie Mayroth