Kino der Kunst 2015

 Bjørn Melhus, „Freedom & Independence”, DEU 2014, 15’, Limboland Productions, Berlin


Bjørn Melhus, „Freedom & Independence”, DEU 2014, 15’, Limboland Productions, Berlin

Wie viele Ichs kann ein Mensch sein? Wohl mehr als man denkt! Als Schauspieler sowieso. Björn Melhus, Videokünstler, spielt die Charaktere in seinen Filmen bevorzugt selbst, so auch in seinem Neuesten mit dem Titel „Freedom & Independence“, der bei Kino der Kunst – das vom 22. bis 26.04 2015 in München stattgefunden hat – Weltpremiere feierte. Der Film bewegt sich rasant zwischen Remix-Culture, Musical und Science-Fiction – die Dialoge sind ausnahmslos collagiert aus Hollywoodfilmen, drehen sich um Religion und Kapitalismus und werden von den Figuren lippensynchron gesprochen. 15 Minuten professionelles Dubsmash.

„Freedom & Independence“ ist in seiner Machart symptomatisch für das Programm von Kino der Kunst. Alles scheint erlaubt, Strukturen müssen zerstört werden, die Gleichzeitigkeit der Stilformen wird gefeiert. Es grüßt der Post-Kapitalismus und die Defragmentierung der Kultur ins System. Kunst und Kapital sind unverkennbar verwoben, dies offenbart sich stets dort, wo vor einer großformatig angelegten Veranstaltung die BMW-VIP-Shuttle Limousinen parken – so auch vor der Hochschule für Film und Fernsehen, in der die meisten der über 50 Filme des internationalen Programms gezeigt wurden.

Camille Henrot, „Grosse Fatigue“, 2013, Video, Farbe / Ton, 13’ © Camille Henrot / VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Courtesy the artist, Silex Films and kamel mennour, Paris

Camille Henrot, „Grosse Fatigue“, 2013, Video, Farbe / Ton, 13’ © Camille Henrot / VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Courtesy the artist, Silex Films and kamel mennour, Paris

Camille Henrot löst für ihre Videoarbeit „Grosse Fatigue“, die im Rahmen von „Creating Realities“ bis zum 31. Mai im Museum Brandhorst zu sehen ist, gar ganze Kulturen aus ihrem Kontext und kombiniert Ursprungsmythologien – von den Sioux und Navajo Indianern, über den Shinto Buddhismus, bis hin zu islamischen und jüdischen Schöpfungsmythen – zu einer Art „schizophrenen Diskurs“, wie sie sagt. Das Video beginnt mit dem Öffnen des Ordners „Grosse Fatigue“ und entfaltet dann begleitet von lyrischem Sprechgesang in immer neuen Fenstern die Entsehung des Universums und die Evolution des Menschen. Viel wurde schon experimentiert mit filmischer Narration rein über Bildschirme. Henrot meistert aber die sich oft schwierig zu gestaltende Dramaturgie dieser Technik spielerisch. Auf der Venedig Biennale 2013 wurde sie dafür mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet.

Vorab Favorit und Gewinner des Hauptpreises Kino der Kunst Pierre Huyghe, lässt dagegen in seinem Kurzfilm „Untitled (Human Mask)“ erahnen, wie es auf der Erde nach der Ära Mensch aussehen könnte. Inszeniert in Fukushima inmitten eines einsamen Straßenzugs in einem Restaurant vegetiert ein Affe unter einem Puppenkostüm. Der Film kommt ohne Dialoge aus – lässt sie viel mehr im Kopf des Betrachters entstehen. Gegen Ende wird die Szenerie immer beklemmender, das Wesen bekommt mehr und mehr die Züge eines unter Hospitalismus leidenden Kindes. Sicher, das Wesen soll Metapher sein, aber es stellt sich dann doch die Frage, inwiefern der Affe freiwillig diese Maskenrolle spielt.

Sicher freiwillig, aber durch feinfühlige Auseinandersetzung des Künstlers und Regisseurs Phil Collins mit unterschiedlichen Communitys der Stadt Glasgow, singen und agieren Laienschauspielern in „Tomorrow is always to long“. Collins erzählt aus dem urbanen Lebensalltag. Besonders schön sind die immer wieder unterbrechend eingefügten TV-Clips und darunter ein mächtiger Tele-Shopping-Aura-Lesungsmonolog einer Fernseh-Wahrsagerin, der die Generation Internet ausnahmslos ins Herz treffen dürfte. Zu Recht ging der Publikumspreis an Phil Collins.

Gewollt aber nicht gekonnt war der Film von Clement Page „Light that obscures“ – einer der wenigen Filme der es wohl eher wegen Beziehungen, dem überzogenem Name-Dropping und den zahlreichen Förderungen im Abspann ins Programm geschafft hat. Durch vorhersagbaren Plott, plakative Anlehnungen zu „L’age d’or“, schlechtes Schauspiel und angeblich freudschen Ansatz versucht er ganze 18:40 Minuten zu blenden, animierte aber höchstens dazu E-Mails auf dem Smartphone zu lesen.

Neben dem abwechslungsreichen Film- und Ausstellungsprogramm ist besonders die gelungene Kooperation der unterschiedlichen Münchner Kulturinstitutionen im Museumsareal hervorzuheben. Herz des Kinos der Kunst waren sicherlich die Räumlichkeiten der HFF, aber zwischen der Pinakothek der Moderne, dem Museum Brandhorst sowie angegliederten Galerien für gezielte Highlights und Rahmenprogramm zu wechseln, hat doch gezeigt, dass München eine engagierte Kunstfilm- und Medienkunst-Szene beherbergt. Seit dem 22.04. – mit Eröffnung des Kinos der Kunst – bis einschließlich 14.06.2015 lohnt außerdem ein Besuch des Museums Ägyptischer Kunst. Dort finden mit der Ausstellung „Archäologie der Zukunft – Games und Kunst“ die in Deutschland noch stark unterrepräsentierten künstlerischen Videospiele Raum. Diese wiederum spannen den Bogen zwischen der Archäologie als vergangenheitsbezogene Wissenschaft über die Gegenwart hin zur Zukunft und machen Gleichzeitigkeit von narrativen Strukturen erlebbar.

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