TechnoSphärenKlänge #1

2015_TechnoSpährenKlänge_HollyHerndon-0741Rote Fleischstücke fliegen durch virtuelle Welten. Maiskolben gesellen sich dazu und sie wirbeln in der Matrix des Haus der Kulturen der Welt (HKW). Schnelle, bunte, animierte Bilder wechseln die Leinwand während der Performance von Holly Herndon im bestuhlten Auditorium des HKW.

Im Rahmen der Zeitdiagnose „100 Jahre Gegenwart“, einer Kooperation mit dem CTM Festival, finden die audiovisuellen Konzerte von Lorenzo Senni, Holly Herndon und Tim Hecker als Auftaktveranstaltung der Reihe „TechnoSphärenKlänge“ statt. Die jungen Experimentalmusikerinnen interpretieren an diesem Abend auf unterschiedliche Weisen, die Eingangsfrage nach dem Klang der Technosphäre, die eine Verschmelzung von Mensch und Maschine umschreibt. Ihre Arbeiten können auch als Forschungsprojekte verstanden werden, denn auch Musik bleibt nicht von technologischen Entwicklungen unbeeinflusst.

Synthesizer, Laptops und Mikrophone – viel Technik befindet sich auf dem Tisch, hinter dem Holly Herndon, eine zierliche Rothaarige, steht. Sie bestreitet nach der Musikperformance von Lorenzo Senni, der dekonstruierte Musikstücke aneinanderreiht, ohne sie zum Höhepunkt kommen zu lassen, die Bühne. Doch die Laptopmusikerin Herndon ist nicht alleine. An ihrer linken Seite steht ein Sänger, rechts ein Mann, der sich wie es scheint, um die 3D-animierten Visuals kümmert. Zu Beginn und Ende der Animation findet sich sein Gesicht auf der Leinwand in einem ganz eigenen Kosmos wieder.

Während des einstündigen Auftritts wechseln die Hintergründe von einfarbig grell hin zu verschiedenen Kulissen, in denen neben Lebensmitteln auch Gitarren und Menschen, wie von einem Wirbelsturm getrieben, in Bewegung gesetzt werden. Die Motive wiederholen sich mehrmals. Ein vollgestellter Schreibtisch mit Mac Book, Notizen und viel Kleinkram ist auch darunter – alle Elemente sehen aus, als würden sie zerfließen oder als hätte jemand kräftig davon abgebissen – es sind 3D-Aminationselemente, die aus dem Video „Chorus“, programmiert vom Japaner Akihiko Taniguchi, bekannt sind. Sie wurden ebenfalls verwoben.

Holly Herndon – Chorus [Official Video] from RVNG Intl. on Vimeo.

2015_TechnoSpährenKlänge_Holly_Herndon_Singer_HKW-0742

Hollys Vocalist

Elektronische Töne treffen auf zarten Gesang, der ohne viele Wörter auskommt. Sie verschmelzen zu einem Sound, der zunächst abgehackt wirkt, doch zunehmend an Eindringlichkeit gewinnt. Besonders auffallend ist das tiefe Einatmen während des Songs „Breathe“. Zwischendurch ist es kurzzeitig wieder techno- und tanzlastiger. Sobald sich das Auge auf das Leinwand-Geschehen einstellt, lässt sich ein Versinken in eine andere Welt kaum verhindern. Was liegt da noch auf dem Schreibtisch? Was bedeuten wohl die japanischen Schriftzeichen, die auf dem animierten Laptopbildschirm zu entdecken sind? Das Gespür für den eigenen Aufenthaltsort verliert sich in den flimmernden Bildern. Mit dem Publikum kommuniziert Herndon per Leinwand. Sie tippt Wörter in die Projektion hinein und fragt, ob es laut genug ist. Später mahnt sie Snowden Asyl in Berlin zu gewähren und erntet Applaus dafür. Die Tanzeinlage des langhaarigen Sängers, der ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Gender is over“ trägt und um seine Knie weiße Bandagen, reißt einen kurz aus Computertraumwelten heraus: Er wirft sich auf den Boden, sein Mund leuchtet, als hätte ein rotes Fahrradlicht geschluckt und bewegt sich heftig dazu.

Am Ende bedankt sich die Frau mit den klaren blauen Augen und dem roten Zopf nicht nur bei Akihiko Taniguchi, sondern auch beim Sponsor Ableton und der amerikanischen Softwarefirma Cycling 74, die durch die visuelle Programmiersprache „Max for Live“ eine Verbindung von Musik mit visuellen Medien ermöglicht. Dadurch kann direkt in der Musikapplikation Ableton programmiert werden, wodurch sich neue Symbiosen, wie auf der Leinwand zu sehen, ergeben. Holly Herndons Beitrag war ein Konzert für Ohren und Augen, das technologische Schnittstellen geschickt zu verknüpfen weiß. Das Verlangen, bei ihrem Beitrag aufzustehen, sich zu bewegen, musste jedoch unterdrückt bleiben. Nach einer kleinen Zugabe, zu der sie sich vom Publikum via Textnachricht auffordern lässt, schließt nach einer Pause der letzte Akt Tim Hecker ab.

Beim erneuten Betreten des Auditoriums ist die Bühne komplett in Nebel gehüllt. Langsam wird eine Lichtinstallation erkennbar, die wie eine digitale Mauern wirkt. 30 LEDs, die aussehen, als würden Codes und Zahlen als Lämpchen aufleuchten, bilden das Bühnenbild. Vom Kanadier Hecker ist kam etwas zu sehen, er verschwindet in seiner Kulisse, die durch die Beleuchtung wechselnd rot, grün-blau oder lila eingefärbt ist. Viele lehnen sich tief in ihre Sessel zurück, manche mit einem Weinglas in der Hand. Andere verlassen den Raum frühzeitig. Nach Heckers eher unmelodischen Performance macht sich ein plattes Gefühl breit, doch es hat auch einen erlösenden Charme, als die Musik aussetzt und das Konzert beendet ist. Insgesamt herrscht an diesem Abend zwischen der Bühne und dem Publikum Distanz, die schwierig zu überbrücken ist, doch die Klänge der „Tech­no­sphäre” wurden als Musik erfahr­bar, die jedoch nicht ohne Anstrengung endlos konsumierbar ist.

Was denkst Du?