Wer sagt, dass ich auf Tinder bin?

Wer bin ich im Netz und wer will ich sein? Social-Media-Profile sind hungrig! Sie wollen gepflegt und aktualisiert werden. Mit der Kolumne „Profilneurose“ reflektieren wir Verhalten in den sozialen Medien zwischen politischem Streitthema und kreativem Impulsgeber.

Es war vor gut eineinhalb Jahren: Während ich am Tisch arbeite, sitzen die Jungs aus meiner WG zusammen auf der Wohnzimmercouch. Sie belustigen sich damit, Mädchen auf ihren Smartphones anzutippen und auszulachen. Wie es scheint, haben sie am Tindern ziemlich viel Spaß. Das wird zu einem richtigen Event für sie. Zu dritt stecken sie ihre Köpfe zusammen und kichern. Sie auszublenden gelingt mir nicht. Ich frage mich, ob sie Mitte zwanzig sind oder doch erst sechzehn. „Natalie, du bist doch sicher auch angemeldet. Ich glaube, ich habe dich dort schon gesehen“, sagt Ganni. Ich werde rot, aber eigentlich ohne Grund. Und denke mir, gut, dass ich dort kein Profil habe. Sonst hätte er jetzt seinen Zeigefinger über mich gewischt.

Von dieser App hatte ich zwar schon gehört und auch kurz mit dem Gedanken gespielt, mich anzumelden, ihn aber wieder verworfen. Gründe für Online-Dating in Berlin scheinen mir nicht plausibel. Zudem steht meine Magisterarbeit an, also keine Boys für mich. Trotzdem verunsichert mich der Satz von Ganni. Hat er mich dort wirklich gesehen, oder wollte er mich nur aufziehen? Kurz darauf bekomme ich auf Facebook eine Freundschaftsanfrage eines Musikers, die mich zum Zweifeln bringt. Wir haben nur einen gemeinsamen Freund. Ich sehe mir seine Bilder an und stelle fest, die Person ist mir unbekannt. Kontaktiert er mich, weil ich über sein neues Album schreiben soll? Der junge Mann macht kein großes Geheimnis darum, woher er meint, mich zu kennen: „Believe it or not… but we matched on Tinder“ – Aber das kann doch nicht sein? „Ich bin nicht auf  Tinder“, antworte ich ihm.  

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Meine Neugierde ist nach wie vor vorhanden, doch wegen Reaktionen wie die meiner Mitbewohner ist die App Tabu für mich – und die Vorstellung bei einem Grinder für Heteros angemeldet zu sein gefällt mir nicht.

 

Woher kommt er nun auf mich? Ich bekomme Panik. Hat jemand meine Bilder geklaut und sie für Tinder verwendet? Haben die Jungs aus meiner WG ein Fakeprofil von mir gesehen? Ich fühle mich hilflos, das macht mich wütend. Dass Konzertfotos von mir ohne Credit entwendet werden, bin ich leider schon gewöhnt. Aber müssen es private, halb private Bilder sein? Und wie finde ich das heraus? Muss ich mich jetzt anmelden? Und kann ich das sperren lassen? Viele Fragen, die erst mal unbeantwortet bleiben.

Ich vergesse den jungen Mann, doch ich denke weiter über die App nach, lese viel darüber und vergleiche die Meinungen. Aus meiner Recherche wird ein Pressekompass-Artikel. Das Schlimmste, was mir passieren kann, wurde mir schon unterstellt. Nachdem ich nicht nur negative Kommentare lese, überwinde ich meine Furcht, und melde mich an.

Zeitvertreib, Selbstbestätigung, Emoti-Talks 

Ich wollte letztendlich selbst wissen, wie Tinder funktioniert, wo man mich gesehen haben soll, wenn auch nur als „gemeinsamen Freund“, was ich heute vermute. Ich weiß nicht, warum es als Frau verwerflich sein soll, seinen Marktwert zu testen. Jetzt wische ich wie meine Mitbewohner. Auf Tinder sehe ich mir Frauen und Männer an. Eine zweite Natalie ist mir nicht über den Weg gelaufen. Bilder von mit Hunden kuschelnden Männern, beim Sport und in anderen Posen, die ich nicht unbedingt wiedergeben möchte, begegnen mir. Ich stelle fest, so einige dort bräuchten eine Beratung in Thema Selbstdarstellung.

Nach ein paar Wochen bin ich um zahlreiche Emoti-Talks und ein paar Frühstücks-, Park-, Eis-Essen und Capri-Sonne-Dates mit netten und auch sehr merkwürdigen Menschen reicher. Meinen Nachbarn, mit dem ich mich sehr gut verstehe, will ich aber nicht matchen. Wenn er auf mich steht, muss er schon im Real Life einen Schritt auf mich zu gehen. Mich zum Weintrinken einzuladen hat er auch ohne digitale Nachhilfe geschafft.

Nachdem ich auf einer Privatparty und dann in der U-Bahn angesprochen werde, dass man mich von Tinder kennt, reicht es mir. Ich will lieber als Natalie, als Bloggerin, als Journalistin und nicht als „Match“ des besten Kumpels erkannt werden. Ich lösche die App, was gar nicht so leicht ist, denn man verzichtet auf Aufmerksamkeit im Netz. Eine digitale Identität, die ich zuerst nicht wollte, doch von der es nicht einfach ist, sich zu trennen. Mir fällt auf, dass Tinder auch nur ein Ort ist, auf dem Menschen auf der Suche sind – sei es Zeitvertreib, Sex oder Anerkennung.

Meine Wut über den vermeintlichen Identitätsklau ist mittlerweile abgeklungen. Ob es so war, werde ich wohl nicht mehr herausfinden. Dass mir Bilder, die ich auf Soziale Netzwerke stelle, nicht mehr gehören, ist mir vor Augen geführt worden. Schwache Privatsphäreeinstellungen machen das nicht besser. Doch ich will mich weiterhin ausdrücken und mitteilen. Angst vor der App habe ich keine mehr. Ich habe sogar ein paar Freunde über diesen Weg kennengelernt, die ich nicht missen möchte. Nur wenn wir gefragt werden, woher wir uns kennen, wird es manchmal lustig.    

Natalie ist nicht mehr auf Tinder, dafür aber auf Twitter und Instagram.

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