#Afd – und wir sind schuld

Wer bin ich im Netz und wer will ich sein? Social-Media-Profile sind hungrig! Sie wollen gepflegt und aktualisiert werden. Mit der Kolumne „Profilneurose“ reflektieren wir Verhalten in sozialen Medien zwischen politischem Streitthema und kreativem Impulsgeber.

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Wir sind ein politikverdrossenes Pack. Damit meine ich mich, euch, die ihr das lest und überhaupt alle, die sich irgendwie in sozialen Medien bewegen. Denn die Twitter-Trend-Karte zeigt #afd seit Wochen ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Und das kann doch nicht sein, denke ich mir, dass die Partei, deren Name sowieso schon zu oft genannt wird, so viel Aufmerksamkeit bekommt. Kann ja sein, dass auch die ein oder andere Hatespeech gegen die Afd darunter ist, aber können wir nichts anderes mehr außer Anti zu sein? Oder wissen wir es einfach nicht besser?

#afd #berlin

Besonders groß und dick prangt der Name der Partei auf der Stadt Berlin, wo doch jetzt, ganz real, eine so bunte Parteienvielfalt herrscht. Im Netz regiert allerdings nur die Afd. Sind virtuelle Vorboten also ernst zu nehmen? Ich finde ja, ich finde es falsch, dass Politikern, Parteien, Institutionen oder Unternehmen, die eine Gesellschaft in den Ruin treiben, durch soziale Medien eine so starke Stimme verliehen wird. Und ich finde es ist unsere Schuld, dass wir immer wieder gerne lesen, was für Arschlöcher in der Afd sind. Ich finde es ist unsere Schuld, dass wir uns nicht genug über unseren Facebook-Newsfeed hinaus informieren. Und es ist erbärmlich mit anzusehen, wie die Afd sich die Medien zu eigen macht und wir immer wieder die von ihnen produzierten Schlagzeilen klicken.

Hauptsache schlechte Nachrichten

Dabei ist die Afd natürlich nur stellvertretend für ein einzelnes dominantes Thema im Internet. In dieselbe Schublade gehört die CSU, CETA oder Trump. Wenn ich mal wieder einen Artikel in meiner Timeline sehe, dessen Überschrift nichts Positives ahnen lässt, bin ich schon kurz davor ihn weg zu klicken: weil böse Nachrichten eben nerven. Ist die Schlagzeile aber besonders schockierend, schaue ich aus Neugier doch mal rein. Nur um festzustellen, dass ich hier kein gut recherchiertes journalistisches Stück vor mir habe, sondern eine weitere Tirade gegen die Afd, Trump oder Seehofer. Und dann bin ich nicht mehr nur genervt, weil ich keine Lust auf schlechte Nachrichten habe, sondern weil ich in letzter Zeit immer seltener etwas lese, was nicht nur Anti ist.

Hauptsache Anti

Leider habe ich das Gefühl, dass Gegen-etwas-zu-sein fest in der Kultur der Zwanzig- und Dreißigjährigen verankert ist. Es geht darum, besonders individuell sein zu wollen und sich von allgemeingültigen Meinungen abzugrenzen. Leider schwimmt man so auf derselben Welle wie Afd-Wähler, die den Argumenten der „Anti für Deutschland“ Partei zustimmen, ohne sie zu hinterfragen oder auf Umsetzbarkeit zu überprüfen. Warum entscheiden sich denn Wähler für die Afd? Weil sie sich durch plakative Sprüche in ihrem „Gegen-etwas-sein“ bestärkt fühlen. Warum wählen alle anderen nicht oder können sich nicht so richtig entscheiden? Weil andere Parteien nicht so provokant sind? Oder weil es uns hier ja eigentlich ganz gut geht und wir, anders als in den Vorstellungen der Afd, die Bedrohung unseres Wohlstands nicht in dem netten Türken sehen, der uns so gutes Fladenbrot verkauft.

Alternativ aber keine Ahnung

Aber nicht Afd wählen, nur alternativ sein und keinen wirklichen Plan davon zu haben, was schief läuft in unserer Welt finde ich auch ziemlich bemitleidenswert. Es ist an der Zeit, sich aus der eigenen Comfort-Zone heraus zu bewegen. Den Horizont zu erweitern und sich nicht nur für das zu interessieren, was ein Algorithmus ausspuckt, der die Posts und Tweets sowieso nur passend zu unserem Interessensprofil anzeigt. Wir bewegen alle weniger als wir könnten, und das hat einen Namen: Politikverdrossenheit. Es ist eine große Dummheit, bei all unseren Möglichkeiten nichts zu tun. Und nur weil du einen Artikel zu einem politischen Thema teilst, heißt das eben noch lange nicht, dass du politisch engagiert bist.

There is one comment

  1. HellDunkelGrau

    Mein Twitter zeigt keine afd und keine pegida. Ich denke mann muss das zwingend so konfigurieren sonst kommt man schlecht drauf. Man geht doch auch nicht zur Anti-Pegida Demo- das ist ungefähr so sinnhaft wie mit Verschwörungstheoretikern zu diskutieren. Trotzdem- guter Denkanstoß!

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