Farm Cultural Park in Favara:
Eine Kunstkommune, die niemand sucht

Cultural Farm Favara
Es gibt sie, diese Momente, wenn man etwas findet, nachdem man nicht gesucht hat. Die Stadt Favara, im Süden Siziliens, ist so ein Ort. Favara ist laut, grau, hässlich. 30.000 Einwohner, viele davon ohne Arbeit, viele wollen weg. Vor sechs Jahren war die Stadt nur bekannt für Mafia und Arbeitslosigkeit; kein Tourist hat sich hier her verirrt, bis ein Ehepaar das historische Stadtzentrum mit der Farm Cultural Park zum Hotspot der Avantgarde etabliert hat. Ein Ort, den niemand gesucht hat.

Alle denken an den Mafiaboss

Favara: Wenn Italiener an das kleine Städtchen im sizilianischen Hinterland denken, dann fällt ihnen zuerst der große Mafiaboss Gerlandino Messina ein, der sich hier lange vor den Carabinieri versteckt hat. Und dann steht Favara noch im Schatten ihrer Nachbarstadt Agrigent. Agrigent ist näher an der Küste, Agrigent hat bessere Jobs. Nach Agrigent fahren die Einheimischen zum Ausgehen und die Touristen wegen der Tempel. Nach Favara will keiner.

So sieht die Stadt Favara außerhalb der Cultural Farm aus.Es dämmert schon, als wir in Favara ankommen. Je weiter wir in die Stadt hineinfahren, desto hässlicher wird sie. Links und rechts sind graue Wohnblöcke mit bröckelnden Fassaden, ein Haus gleicht dem anderen, kein Grün, nirgends.

Favara wirkt sowjetisch

Wir erreichen die kleine Seitengasse, in der unser Bed & Breakfast sein soll. Sie wirkt düster, irgendwie sowjetisch. So stelle ich mir Moskaus Plattenbausiedlungen vor. Kein Mensch ist zu sehen. Bis ein hinkender alter Mann ums Eck kommt: unser Gastgeber Piedro. Er begrüßt uns und trägt schnell unsere Koffer ins Haus, als wollte er, dass wir von der Straße kommen.

Unsere Gastgeber Maria und Piedro kümmern sich rührend. Auf die Idee, in Favara ein Bed & Breakfast aufzumachen, wären sie bis vor ein paar Jahren nie gekommen. Aber dann hat hier in der Stadt ein neuer Ort aufgemacht, der inzwischen Leute wie uns anzieht, Gäste aus der ganzen Welt.

Die Gehwege sind schmal, kaum Platz zum gehen.

Die Gehwege sind schmal, kaum Platz zum gehen.

Von unserem Bed & Breakfast ist es etwa eine Viertelstunde Weg durch die Nacht. Links und rechts: leere Schaufenster, überall Schilder: “Haus zu verkaufen”, “Wohnung zu verkaufen”. Die Gehwege sind extrem schmal. Die Autos rasen rücksichtslos an uns vorbei. Ich habe schon fast keine Lust mehr, weiter durch Favara zu irren, da taucht links von uns eine Bar auf.

Junge Leute sitzen draußen auf kleinen Hockern und trinken Wein. Wir stolpern in einen Innenhof: Hier sind noch mehr Menschen, sogar eine Cocktailbar, eine Pizzeria, und laute Musik. Aber vor allem: Kunst.

Fast schon ein Kulturschock

Die Wände sind mit Monstern bemalt, Holzbalken bilden eine riesige geometrische Installation. Eine Wand ist blau angestrichen wie eine Mülltonne. Darauf Putins Gesicht und der Spruch “Put-in-trash”. Das ist der Ort, wegen dem alle kommen, das ist die Farm Cultural Park – im Gegensatz zum Rest von Favara fast schon ein Kulturschock.

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Dass es ausgerechnet hier einen solch schönen Ort gibt, kam so: Florinda Saieva und ihr Mann Andrea Bartoli sind in Favara geboren und aufgewachsen. Aber irgendwann hielten sie es nicht mehr aus: die hohe Arbeitslosigkeit, die fehlenden Perspektiven für junge Leute. Bei jeder Gelegenheit ergriffen sie die Flucht. „Ich habe lange als Anwältin gearbeitet. Mein Mann und ich waren viel unterwegs, in Italien und Frankreich. Als meine ältere Tochter Carla drei Jahre alt wurde, mussten wir eine Entscheidung treffen, wo wir leben wollen. Wir haben überlegt nach Paris zu gehen.“

Florianda Saieva

Florianda Saieva

Florinda ist um die 40, sie trägt kurze braune Haare und ein gestreiftes Polohemd. Nach Paris gehen, das hätte bedeutet, in einer echten Metropole zu leben, mit Kultur, Karrierechancen und guter Bildung für die Kinder. Es hätte aber auch geheißen: die Heimatstadt zu verlassen. Und da merkten Florinda und Andrea: Sie sind es leid, für Kultur und Inspiration immer nach Paris, London oder Rom zu fahren. “Daher haben wir entschieden, dass wir in Favara bleiben. Aber wir wollten nicht einfach nur bleiben, sondern Dinge ändern, damit unsere Töchter eine bessere Zukunft haben. Also haben wir uns überlegt, dass wir all unsere kreativen, kulturellen und ökonomischen Ressourcen und unsere Leidenschaft für zeitgenössische Kunst in diese Stadt investieren.“

Das war 2010. Im selben Jahr wird der Mafiaboss Gerlandino Messina endlich gefasst. In einem Bunker spüren ihn die italienischen Polizisten auf. Vielleicht ein Zufall, aber 2010 wagen Florinda und Andrea ihren Neuanfang: Sie gründen die Farm.

 

Die Leidenschaft kommt aus der Familie

Die beiden kaufen ein paar leerstehende Häuser im halbverlassenen historischen Stadtzentrum. Sie beginnen, sie zu renovieren und einzurichten. Sie buchen Künstler, setzen eine Webseite auf und laden Leute ein. Ob sie einen Plan hatten? Es kam eher intuitiv, sagt Florinda. Es ist die Leidenschaft für Kunst und Architektur, die sie antreibt „Unsere Leidenschaft kommt aus unseren Familien. Der Bruder meines Mann ist ein großer Kunstsammler. Er hat in Calgary, Wales studiert und war von da an besessen. Und in meinem Fall kommt es von meinem Vater. Er ist Bauherr, deshalb interessiere ich mich schon immer für Architektur. Andrea und ich haben unsere Interessen zusammengelegt.“

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Cultural Farm Favara

Am nächsten Morgen schauen wir uns die Farm bei Tageslicht an. Wir entdecken so viel mehr: den riesigen grünen Teegarten, mit Terrassen, weinbewachsenen Wänden und gemütlichen Bänken unter Bäumen. Die braucht es, denn in der Mittags-Sonne rettet sich hier jeder von einer Schatteninsel in die nächste.Da ist ein Kunst- und Designladen. In den Obergeschossen wohnen zeitweise Künstler – kostenlos. Ich treffe Christina, Design- und Fotografiestudentin, 27 Jahre alt. Sie macht gerade ein Praktikum, gibt Führungen und erledigt die Öffentlichkeitsarbeit.

Christina

Christina studiert Fotografie und Design

Vlady macht sizilianische Street Art

„Das Wichtigste ist, dass dir dieser Ort eine Möglichkeit bietet. Mich macht es glücklich, hier zu sein und in die Welt der Künstler einzutauchen.“ Christina führt mich ins Herzstück der Farm Cultural Park, in die Ausstellungräume. Sie zeigt mir ihren Lieblingskünstler: Vlady, ein sizilianischer Street Artist.

Wir stehen vor einer groß ausgedruckten Fotografie von Vlady. Der Times Square in New York, viele Touristen, dazwischen ein rotes Schild. Darauf steht: “Just to spoil your picture” – auf deutsch: „Nur, um Dein Bild zu versauen“. „Vlady hat versucht, den wahren Wert einer Fotografie zu verstehen, an einem Ort, an dem sehr viele Menschen sind und tausendmal das gleiche Foto schießen“, sagt Christina.

Vlady Art Cultural Farm Favara

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All die Touristen kommen nicht drum herum, auch das rote Schild zu fotografieren – ich finde die Idee großartig. Auf dem nächsten Bild ist eine sizilianische Landschaft zu sehen: typisch trockene und gelbe sanfte Hügel, davor ein altes rotes Haus. Aus der Wand des Hauses kommt ein Strohhalm und trinkt aus einer vertrockneten Wiese – eine Allegorie auf Sizilien, wo die Menschen aus einer lahmenden Wirtschaft oft noch das letzte bisschen heraussaugen müssen._mg_0309

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Die Toilette in der Farm Cultural Park

Nicht nur die Ausstellungs-Werke, auch die Räume sind faszinierend verwinkelt, Kunst und Architektur aufeinander abgestimmt. Sogar die Toilette ist ein kafkaeskes Kunstwerk: sie versteckt sich am Ende eines langen dunklen Ganges, der immer schmaler und niedriger wird.

Cultural Farm Favara

Im ersten Stock hämmern Männer an einem Holzgerüst. Sie bauen ein kleines Haus ins große Haus. Es wird Teil der Architekturschule. Hier sollen Kinder an Baustile und Konstruktion herangeführt werden.

Die Italienerin Guisy  beobachtet erstaunt aus der Ferne, wie sich ihre Heimatstadt entwickelt.Sie ist die Tochter unserer Gastgeber und wohnt mittlerweile in Frankfurt – weil sie dort nach ihrem Studium einen Job gefunden hat.

Wie läuft das Mafiageschäft heute?

„Früher haben in Favara nur alte Leute gewohnt. Die jungen Leute, die früher in Agrigent etwas gemacht haben,  treffen sich jetzt lieber in Favara. Mittlerweile sind hier schöne Bars, Restaurants und Cafés entstanden.“ Auch ihre Eltern haben davon profitiert. Sie mussten kein “Zu verkaufen” Schild anbringen. Sondern betreiben jetzt ein Bed & Breakfast. Und die Mafia? Wie läuft deren Geschäft ohne Boss? „Dieser Boss ist im Gefängnis. Aber was mit der Mafia ist, weiß ich nicht. Die Leute reden nicht darüber.“

Vielleicht gibt es längst einen neuen Boss. Das ist Florinda Saieva egal. „Wir werden immer gefragt, ob wir die Mafia bezahlen. Aber wir produzieren ja gar nichts, daher sind wir für die Mafia nicht interessant.“

Farm Cultural Park

Diese Holzskulptur ist ein Geschenk einer japanischen Künstlerin an die Farm.

Für die Mafia ist die Farm Cultural Park nicht interessant, für die Kunstwelt schon. Sie wurde dieses Jahr schon auf der Architektur-Biennale in Venedig vorgestellt, und auf der EXPO in Mailand. Künstler aus der ganzen Welt spenden Werke. Der Modefotograf Terry Richardson und der italienische Architekt Fabio Novembre zum Beispiel.

Immerhin mehr Touristen als früher

Noch kommen zwar nur etwa 20 Touristen pro Monat. Aber früher waren es Null. Und alles hier ist “do it yourself”. „Bisher haben wir alles aus eigener Tasche bezahlt. Wir haben noch kaum Einnahmen, bis auf die Eintrittsgelder bei ein paar Ausstellungen, die Bar und den Laden. Ok, wir haben glücklicherweise nicht so viele Ausgaben. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Farm profitabel machen.“

Immerhin haben sie schon einen Angestellten – Rosario. Er managt die Bar. „Die meisten gehen hier weg, um zu studieren oder zu arbeiten. Nach Palermo, Catania, oder gar nach England oder Deutschland. Ich liebe meine Stadt, ich habe ein solches Glück, dass ich nun hier, an diesem schönen Ort, arbeiten kann.“

Wie lange Florinda Saieva und Andrea Bartoli noch durchhalten, ohne mehr Geld einzunehmen, wissen sie nicht. Andrea arbeitet parallel als Notar, um die Familie zu ernähren. Die Großeltern kümmern sich um die Kinder, wenn Florinda auf den Baustellen mithilft.

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Zugegeben: Die Farm Cultural Park ist nur ein winziger Teil Favaras. Auch wenn alle Bürger Favaras ihre “Farm” lieben gelernt haben, wird sie allein die Wirtschaft der Stadt nicht wiederbeleben können.

Ein Plädoyer fürs Selbermachen

Trotzdem setzt sie ein Zeichen: Florinda und Andrea haben nicht auf Finanzierung von außen gewartet, sie haben einfach losgelegt und etwas Großes auf die Beine gestellt. Vielleicht ist deswegen der knallrote Swimmingpool im Teegarten das am meisten fotografierte Werk in der Farm Cultural Park. Darin steht in weißen Buchstaben “Suca” geschrieben, was auf Deutsch in etwa so viel heißt wie: “Scheiß drauf”.

Die Geschichte über die „Farm“ gibt es auch als Radiobeitrag in den Bayern 2 Radioreisen.

Caroline von Eichhorn Farm Cultural Park_mg_0227

 

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