#machenumzuzeigen

Wer bin ich im Netz und wer will ich sein? Social-Media-Profile sind hungrig! Sie wollen gepflegt und aktualisiert werden. Mit der Kolumne „Profilneurose“ reflektieren wir Verhalten in sozialen Medien zwischen politischem Streitthema und kreativem Impulsgeber.

2. März, 2014: Im Hostel Casa del Sol in Tulum, Mexiko ist es gerade halb Acht Abends. Ein paar Däninnen, um die 20 Jahre, frisieren sich gegenseitig die Haare. Noch nie habe ich verstanden, was es bringen soll, die eh schon glatten Haare noch ein Mal mit dem Glätteisen zu behandeln. Als ob ein Glätteisen den Magic-Trick bringt und eine sexuelle Aura hervorlockt. Nach kurzer Zeit holt ein Mädchen nach dem anderen ihr Smartphone: Selfie-Time!

Selfie-Time bei Anderen wirkt für mich wie ein absurdes Theaterstück. Das Smartphone scheint den Taschenspiegel ersetzt zu haben. Es ist selbst zu einem Spiegel in eine Parallelwelt geworden. Ein bisschen schäme ich mich fremd, für die Mädchen, obwohl ich natürlich sehr genau weiß, dass ich nicht anders bin.

Das Smartphone als Nabelschnurr zur Ich-Konstruktion

Jeder der Touristen – mich eingeschlossen – hat hier einen Mac, ein iPhone oder ein vergleichbares Smartphone. Jede viertel Stunde legen wir mit unseren Geräten den Router lahm. Ich sehe bei mir und bei den anderen Facebook auf dem Bildschirm. Was wir hier gemeinsam haben: Wir sind verreist und doch nicht – die Nabelschnur zu unserem Freundeskreis in der Heimat wollen wir auf keinen Fall durchtrennen. Wir können auf der anderen Seite des Kontinents sein und trotzdem sind wir nicht weg. Aus den Augen, aus dem Sinn gilt nicht mehr – danke Social Media!

Mit einer Freundin hatte ich vor Jahren ein Gespräch über die Daseinsberechtigung der Institution Theater diskutiert. Sie hatte mir erklärt, dass das Theater nicht mehr gebraucht werde, da sich heute jeder selbst eine Bühne gebaut habe und sein eigenes Leben inszeniere. Diese These verfolgt mich und ich muss gerade in diesem Moment hier in Tulum daran denken.

Wer braucht heute noch Theater, wenn jeder selbst eine Bühne hat?

Ständig bin ich dabei aus meiner Realität eine neue Wirklichkeit zusammenzusetzen. Es sind konstruierte Wirklichkeiten, die von mir auf das System Like zugeschnitten werden – kleine Unterhaltungsgeschichten, die Erfolg, Lifestyle und ein aufregendes Leben vermitteln. Ich erlebe, fotografiere, schreibe – halte Momente fest. Für Facebook, Twitter, meinen Blog – für eine nebulöse Zielgruppe, die schon längst nichts mehr mit einem Freundeskreis oder Familie zu tun hat.

Bin ich – sind wir – also zu einer Generation von Bühnenmenschen herangewachsen? Wir spielen unsere Solos und zeigen uns Gegenseitig von unseren Bühnen aus Daumen, die nach oben zeigen. (Anm. am 15.01.2017: jetzt sogar auch eine Bandbreite an Emoticons.) Ein bis zwei Tage Lebensdauer hat ein Stück jeweils, dann gehen wir kurz von der Bühne. Leben wir noch, oder halten wir nur noch fest, werten unsere Notizen aus, setzen ein neues Stück zusammen und stellen uns auf die Bühne. Vor einem Selfie gehen wir in die Maske oder zumindest durch Photoshop oder einen Instagram-Filter. Wir arbeiten fleißig. Produzieren Bühnenstücke wie Bienen Honig. Bühnenstückproduktionshamsterrad.

Mein Leben, dann doch noch Mal eben durch das Glätteisen gezogen.

Was denkst Du?