#armlaenge

Wer bin ich im Netz und wer will ich sein? Social-Media-Profile sind hungrig! Sie wollen gepflegt und aktualisiert werden. Mit der Kolumne „Profilneurose“ reflektieren wir Verhalten in sozialen Medien zwischen politischem Streitthema und kreativem Impulsgeber.

Mein Name ist Sonja und ich wurde missbraucht.

Ich verfüge nicht über die Stärke einer Sophia Hoffmann, beispielsweise, die eloquent damit begann, eine verjährte Vergewaltigungsgeschichte in der publizistischen Wahrnehmung zu platzieren, noch trage ich eine Matratze durch die Gegend. Ich reihe mich ebenso wenig in das Public Bashing einer hinreichlich schlechten Armlängen-Formulierung noch bediene mich des abgefrühstückten Wiesn-Arguments.

#armlaenge

Foto: Evelyn Dragan

Wo aber sich gerade aktuell, traurigerweise, die Vorfälle in den erfahrungsgemäß sehr adretten und zusätzlich sich-sicher-anfühlenden Städten Köln und Hamburg (neuerdings auch D, B und F) zu einer Hochburg an widerwärtigen Mutmaßungen aufstapeln, da möchte ich doch gerne mal eine Lanze brechen. Nämlich für all die Frauen da draußen, die sich lange nicht trauen, etwas zu sagen. Die, obschon die Tagesschau mit schönen Alliterationen à la “keine Hetze, lieber Hirn & Härte!” und schlimmer Föhnfrisur dafür wirbt, endlich bitte stärker zu sein, sich etwas mehr Würde innerhalb dieser Problematik erwarten. Die sich zu sehr schämen und lieber den Mund versiegeln, als einem überteuerten Psychiater von jedweden Vorfällen zu berichten.

Wäre da ein politisch angenehmes Silvester mit Sekt und harmloser Pyrotechnik zustande gebracht worden: es hätte an dieser Stelle eine intelligente Rezension in Sachen Virtual Reality stehen sollen. Für deren Faktencheck ich unlängst einen klugen, männlichen Designer akquirierte, weil er sich in diesen Dingen gar zu gut auskennt. 3D-Zeug, die Zukunft der graphischen Technik, deren Ambivalenzen, so was eben. Das gestaltet inhaltlich nun einen hübschen Übergang zu meiner Frage, ganz prinzipiell, ob Frauen überhaupt noch fraulich sein sollen, und solchen Kram eben nicht wissen zu brauchen. Sollen sie? Dürfen sie? Damit bin ich ja auch, in Herrgotts Namen, nicht die Erste, die die klassische Frauenfrage zu stellen versucht, aber dennoch tue ich es erneut, denn ich komme aus ebendieser Grauzone, die sich endlich dazu bekennt, nicht zu wissen, wohin mit ihrer Missbrauchsgeschichte, oder überhaupt: ihrer Geschichte.

Bitte nicht falsch verstehen, ich bin nicht vollständig entwurzelt und ein sehr großer Fan aller feministischen Errungenschaften, Wahlerlaubnis und Gleichheit genereller Art. Im Lichte der bornierten öffentlichen Kommentare möchte ich dennoch hier kurz mal radikal und diskutabel Sympathie aussprechen für alle Frauen, die ihre Position in dieser doch sehr vagen Nummer noch nicht finden konnten. Vielleicht auch jene, die in maskuliner/sexueller Manier eine große Portion Scheiße erlebt haben, welche ihre Psyche arg formte, sodass sie bis heute davon zehren. Die sich trotzdem, metaphorisch gesehen, ohne Armlängenvermessung an den öffentlichen Plätzen der Interaktion zwischen Herren und Damen aufzuhalten wünschen, doch hey! Diese unvermeidliche Diskrepanz aus Wille und Wirklichkeit.

Wenn ich von den Ereignissen in Köln und Hamburg lese, dann erfüllt es mich mit dem Wunsch, all diese als “Opfer” degradierten Persönlichkeiten der Reihe nach in den Arm zu nehmen (herzlich und gnadenvoll) und ihnen aus der schmerzlichen Erfahrung heraus zuzusprechen, dass zwar alles echt schwierig sein wird, aber sehr, sehr gut möglich.

Was denkst Du?