„Selfciety“ und warum eine Ich-Gesellschaft auf Dauer langweilt

Die Ausstellung „Selfciety“ in der Münchner whiteBox thematisiert „Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung im digitalen Zeitalter“. Aber drehen sich die dort gezeigten Künstler auch nur um sich selbst?

Manja Ebert – sleepingsquad (2016), 9-Kanal-Videoinstallation / 9 LCD-Flachbildschirme / 9 RaspberryPi-Computer

Menschen, die sich live im Schlaf übertragen, liken und kommentieren lassen, ein sogenannter „sleepingsquad“ (engl. für schlafende Gruppe), begrüßt mich auf Bildschirmen. Der Schlaf als Moment der Hingabe an das unbewusste Selbstinszenieren – eine Arbeit der Künstlerin Manja Ebert. Links von mir hat Ruth Hutter ihr ungeschminktes und meist fertiges Gesicht in das von Boxengirls retuschiert, die normalerweise wie perfektes Barbie-Plastik strahlen. Dann berühre ich ein weißes iPad, um mir den 360-3D-Selfscan von Marina Menegon genauer anzusehen. Instinktiv drehe ich das Bild entlang der bunten Motivsocken in eine Perspektive zwischen ihre Beine, kann dort aber nichts besonderes erkennen, denn ihre Haut ist mehr oder weniger absichtlich stark verzerrt und gelöchert.

Selfies – die Jagd nach Likes?

Die Ausstellung „Selfciety“ in der Münchner whiteBox thematisiert „Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung im digitalen Zeitalter“. Kurator Benjamin Jantzen beschreibt das Konzept der Ausstellung im Katalog, als ein Forschen danach „inwiefern ein Selfie lediglich ein Jagen nach Likes ist und ab wann und ob es vergleichbar ist mit einem künstlerischen Selbstporträt, im Sinne des gezielten Inszenierens der eigenen gewollten und angestrebten Wirkung des Ichs.“

Dieser Ansatz erinnert mich ein wenig an die Frage, ob denn nun jeder ein Fotograf ist, weil er mit seinem Smartphone Fotos macht und ob sich darum der Beruf des Fotografs erübrigt. Außerdem kann diese Formulierung leider nur zu einem Zirkelschluss führen, denn jedes Selfie oder Selbstporträt zeichnet sich doch aus durch die eigene Kontrolle der Bildwirkung. Die US-Amerikanische Künstlerin Leah Schrager bringt dies in unserem 52. Künstlerselfie auf den Punkt: „I love selfies, because unlike many forms of photography, the model has control and ownership of their image.“

Gibt es also nun einen Unterschied zwischen einem Selfie und einem Künstlerselfie? Nach mehr als 50 verschiedenen Statements von inter/nationalen Künstlern kann ich darauf nur antworten: Ja und Nein. Denn die eigentliche Frage, die wir uns zum Beispiel bei unserer Künstlerselfie-Reihe stellen, ist: Wann wird denn ein Selfie zu mehr als einem Selfie? Wächst also über sich selbst als Selbstbildnis hinaus? Nicht jedes Selfie in unserer Reihe ist ein eigenes Kunstwerk, sondern auch Mal „nur“ Verortung oder Kommentar. Einige stehen aber für sich und setzen sich selbst in einen kunstgeschichtlichen Kontext, wie beispielsweise die Arbeiten von Maria Justus oder Vacillica.

Die Werke paraphrasieren einen Hype

Jantzens Ausstellungsidee ist nicht neu – mich als Herausgeberin der Selbstdarstellungssucht macht sie aber zumindest neugierig darauf, welche Positionen zum Thema in München zur Diskussion gestellt werden. Leider hat mich keine der gezeigten sonderlich überrascht. Im Gegenteil habe ich feststellen müssen, dass die ausgewählten Werke eher das Paraphrasieren eines Hypes darstellen. Sich wie Esben Holk mit einem #Selfie-T-Shirt, sich Selbst mit dem Selfie-Stick vor dem Photobooth mit ein paar Verzerrungsfiltern zu filmen und das Ganze dann „be more posthuman“ zu nennen, das finde ich weder „bemerkenswert noch schockierend“ – Zitat zur Ausstellung aus dem Vorwort von Geschäftsführerin der whiteBOX Dr. Martina Taubenberger.

Auch die Arbeiten „Regarde Moi“ von Aurélie Bayad, in der sie sich 34-Minuten einfach nur banal, rauchend, tanzend, sich langweilend selbstinszeniert oder „The Face-Swap Archive“ von Gretta Louw, bei dem der Titel schon alles sagt, sind für mich allenfalls an der Oberfläche einer Bewegung abgekratzte Notizen. Welche Perspektiven eröffnen denn diese Arbeiten, die wir so in der Art schon längst beim Surfen selbst erfahren haben und die jeweiligen Künstler uns als Spiegel vorhalten?

„Selfciety“ zeigt somit, wohin wir uns bewegen, wenn sogar unsere Künstler (und Kuratoren) ihre Arbeit nur durch das Internet inspirieren lassen, das dort Gesehene, allenfalls tumblresk sammeln, reposten und remixen. Wenn wir hängen bleiben zwischen Spiegel und Spiegel, Like und Like und den meistverwendeten Hashtags einer Szene auf Instagram, dann fehlt eines: Innovation.

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Die Ausstellung „Selfciety“ ist noch bis zum 26. Februar 2017 in der whiteBOX, Atelierstraße 18, München zu sehen. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 10:00 bis 18:00 Uhr. Eintritt frei.

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