Pia Frey: „Google ist eine Fragemaschine.“

PiaFrey (c) SonjaSteppan

Wäre man tatsächlich vor Neugier zu platzen in der Lage, so bestünde Gefahr, Pia Frey, Journalistin und Gründerin des Pressekompass könne jeden Moment zerbersten.

Jüngst stellte sie auf der Frankfurter Buchmesse ihr erstes Buch, den Sinnfragenkombinator vor, und schuf damit einen 3969-teiligen, in sich willkürlich kombinierbaren Fragenkatalog, der jetzt ab November käuflich zu erwerben ist. Beim Blättern durch Vokabeln, Satzteile und Blankoseiten ergibt sich hierbei eine nicht enden wollende Litanei an verwirrend-verunsichernden, philosophisch-politischen und satirisch-sonderbaren Fragestellungen, denen nur eines fehlt: die Antwort.

Mit Pasta Verdura und Weißwein gelingt es mir, die Fragenkönigin in meine Wohnküche zu locken, und den Spieß umzudrehen: dass sie vermeintlich gar nicht so gut im Antworten ist, wird hiermit widerlegt.


Pia, beinahe 4000 Fragen kann man sich mit deinem Sinnfragenkombinator stellen! Wie kamst du bitteschön auf diese Idee?

Ganz beiläufig, während einer Zugfahrt. Ich war lange bei keiner Idee so euphorisch, weil das genau das Gefühl war, mit dem ich damals in München in Philosophieseminaren saß. Da konntest du irgendeine Frage in den Raum werfen, etwa „Wie aussichtsreich ist Entwicklungshilfe in der Zukunft?“, und es sponnen sich dann wilde Fundamentaldiskussionen daraus. Ich habe gar nicht über jede Frage nachgedacht, sondern nur gemerkt, dass sich eigentlich die meisten Arten von Substantiven, Adjektiven und Verben mit einem Fragezeichen kombinieren lassen.

War dein Philosophiestudium ausschlaggebend dafür, dass du dazu tendierst, erst mal alles in Frage zu stellen?

Nein, das kam schon früher. Ich habe einen Bruder. Und der redet viel zu viel. So war als Kind meine einzige Art, zu Wort zu kommen, diejenige, dass ich Fragen gestellt habe. Außerdem habe ich schon recht früh mit journalistischen Projekten angefangen, bei denen man ja auch aufs Fragestellen trainiert wird. Ich merkte, dass ich echt schlecht im Antworten bin und eine clevere Frage automatisch wesentlich schlauer wirkt.

Es erfordert ja auch viel mehr Weitblick, sich eine intelligente Frage auszudenken, die das Gegenüber herausfordert.

Ja, aber ganz generell wird einer Frage sofort mehr Gescheitheit zugestanden, als einer Theorie oder Aussage.
Das wird natürlich dann frustrierend, wenn die Fragen zu keinem Ende kommen, weil es die finalen Antworten oft nicht gibt.

Steckt dann hinter dem Kosmos des Sinnfragenkombinators tatsächlich nur reine Neugierde, oder möchtest du auch verdeutlichen, dass sich viele Fragen niemals beantworten lassen können?

Beides! Die richtigen Fragen aufzudecken ist etwas, das mir einen Kick gibt, mehr noch als die richtigen Antworten.
Am liebsten höre ich jemandes Perspektive. Dabei sehe ich dessen Antwort niemals als finale Wahrheit, auch bei der Arbeit am Pressekompass nicht. Wir vergleichen Kommentare und Meinungen zu aktuellen Themen, die durch ihre Gegenüberstellung etwas Banales bekommen und fast schon relativiert werden.


In deinem eigentlichen Metier als Journalistin überlegst du dir gezielt maßgeschneiderte Fragen, die ausschließlich für deinen Interviewpartner von Interesse sind. Was ändert sich beim Sinnfragenkombinator, der ja an eine breite Masse gerichtet ist, welche nicht nur die Frage selbst generiert, sondern auch individuell die Beantwortung gestaltet?

Ich habe neulich mit dem Generationsforscher Joern Gawron gesprochen, der sich viel mit der „Generation Y“ beschäftigt hat, und beschreibt, dass unsere Altersgruppe vom Generationszyklus her den Trümmerfrauen entspricht, die etwas Zerstörtes neu aufgebaut haben. Das bedeutet quasi, dass wir etwas zuvor etwas Bestehendes dekonstruieren müssen, weil es nicht mehr funktioniert. Und damit fangen wir an, indem wir Fragen an das Bestehende stellen.

Vielleicht einfach auch weil dieser Generation keine Option mehr bleibt?

Genau! In vielerlei Hinsicht sind wir an unsere Grenzen gekommen, und um zu dieser Erkenntnis zu kommen, müssen erst einmal die richtigen Fragen gestellt werden. Aber das ist mega schwierig! Wo fängt man an, und wo hört man auf?
Als ich den Sinnfragenkombinator erstellt habe, musste ich irgendwann bei ein paar tausend Kombinationen einfach aufhören – man kommt ja doch zu keinem Ende!

Richtig, ein Interview richtet sich ja nach dem Umfang oder der Zeit, die einem zur Verfügung steht, aber im besten Fall könnten sich mit einem halbwegs interessanten Interviewpartner die Fragen ja ebenso bis ins Unendliche steigern.

Jede Antwort wirft neue Fragen auf.

Kennst du noch dieses interaktive Kinderbuch „Die Insel der 1000 Gefahren„? Je nachdem, welche Fragen du als Protagonist im Laufe des Buchs beantwortest, veränderst du die Handlung der Geschichte.

Stimmt! Ich weiß noch, wie ich dieses Buch so oft gelesen habe, bis ich jede Option ausprobiert hatte.


Läuft so auch metaphorisch jedes Interview, je nachdem, wie du die Schleife weiterleitest, wenn das Gegenüber die Antwort A, B oder C wählt?

Fragen stellen ist eine echte Kunst! Beim Sinnfragenkombinator sind sie ja zufallsgeneriert, weil der Leser sie willkürlich zusammensetzt, aber trotzdem eben tiefschürfend. Bisher kann ich es noch gar nicht so richtig für mich definieren.

Musst du dazu erst mal das Erscheinungsdatum abwarten, bis du die Resonanz bekommst, ob Leute ihn eher als Kalender oder als Trinkspiel verwenden?


Bei der Buchmesse wollten viele da systematisch rangehen, und es ist ganz niedlich, wenn sie dann bei „Ist Kapitalismus zukunftsfähig?“ eine Pro-Contra-Liste zu erstellen beginnen und mit ihrem Anspruch an sich selbst unbedingt antworten wollen, aber irgendwann daran scheitern. Manche lachen einfach nur drüber, wieder andere wollen das dialogisch angehen: „Diskutieren wir doch mal: Ist Leberwurst ein Verbrechen?“
Da gibt es also keine Anleitung, das muss man individuell erleben.

Im Prinzip ist es ja auch wieder gegensätzlich zum Pressekompass, wo du versuchst es den Leuten einfacher zu machen, zu filtern und zu komprimieren, und Fragen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ähnlich wie auch Suchmaschinen.

Google ist ja im Endeffekt auch eine Fragemaschine!

Hast du noch die UN Women-Kampagne von Ogilvy & Mather Dubai auf dem Schirm, bei der Schlagwörter zu Frauenrechten in Google-Suchen mit Autocorrect ergänzt wurden?

Ja natürlich, das ist ziemlich krass. Als ich für den Wissenstest der Journalistenschule gelernt habe, googlete ich öfters Namen, und bei fast allen waren die ersten Ergänzungen „… ist tot“, „… ist Muslim“ oder, besonders bei Fußballspielern, „… ist schwul“. Wenn man das dann aufruft, öffnen sich die grindigsten Seiten, und es wundert einen, welche Masse an Leuten diese Art von Frage stellt.

Das erinnert mich an die Media Markt-Reklame mit der Pseudo-Schließung, wo innerhalb kürzester Zeit die am häufigsten gegooglete Frage „Macht Media Markt wirklich zu?“ wurde.

Ich behaupte mal, Google trägt zur Inflation von Fragen bei. Es gibt ja nun auch häufig Bücher im Fragenformat, wie etwa den „Roman in Fragen“ von Powell oder die Neuauflage von Max Frischs Fragebögen. Ich weiß auch nicht, was für eine kosmische Wolke da grad unterwegs ist.

Wird das Konzept Frage immer relevanter, je weniger Antworten unsere Generation zu weltpolitisch wichtigen Themen hat? Ist es vielleicht auch ein Privileg unserer Zeit, souverän den Status Quo in Frage zu stellen, und sich einzugestehen, dass man diese oft nicht beantworten kann?

Ja, mit Sicherheit, aber das ist mitunter ungemütlich, weil eine treffende Frage so viel auslösen und ganze Lebenskonzepte zum Kippen bringen kann! Allein schon wer sie wem in welcher Situation stellt.

Es macht ja auch einen Unterschied, ob es eine reine Wissensfrage zum Weltgeschehen ist, oder sich auf dich persönlich bezieht, wie etwa damals diese kitschigen Freundebücher mit „Was willst du mal werden wenn du groß bist?“ oder „Wer ist deine liebste Boyband?“

Das sind die einzigen Fragen, bei denen man sich der Wahrheit sicher sein kann: wenn es um eigene Empfindungen geht. Alles andere ist unwahrscheinlich vage! Ob etwa Kapitalismus zukunftsfähig oder Leberwurst ein Verbrechen ist.

Pia, glaubst du denn selbst, dass Leberwurst ein Verbrechen ist?

Ich hätte an dieser Stelle herzlichst gerne die Antwort erfahren. Ob etwa Pias altbekannter, konsequenter Sojamilchkonsum eventuell schon ein Indiz dafür ist, dass sie Wurstgerichte aller Art für Auswuchs krimineller Absichten hält?

Doch just in diesem entscheidenden Moment unterbricht mich die Mitbewohnerin mit ihrer Vermutung, der Verschlusshaken unserer Spülmaschine raste nicht mehr gescheit ein und wüsste ich davon was, ob das heute schon geklemmt habe?, vielleicht geht’s ja mit Gewalt, in der Tat tut es das!, selbst ist die Frau.

Und als ich mich kurz darauf, die Spülmaschine im Hintergrund monoton rauschend, zurück zu Pia auf die Couch begebe, bin ich urplötzlich unschlüssig: Was war nochmal meine Frage gewesen?

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Am Donnerstag, den 7. November um 20 Uhr stellt Pia den Sinnfragenkombinator in der Buchhandlung Leseglück (Ohlauer Straße 37, Kreuzberg) vor. Dabei mit im Gespräch: der österreichischen Schriftsteller Christian Ankowitsch und Alexander Marguier vom Cicero Magazin. Herzliche Einladung!

Hier zu Pias Pressekompass.

Hier zu Pias Sinnfragenkombinator.

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Eindrücke des Gesprächs von Pia und Sonja

Pia Frey (c) Ivonne Greulich

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Bildnachweis: Sonja Steppan, Ivonne Greulich

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