Noch vor Betreten der Galerie DAM warnt ein FSK-18-Hinweis, doch drinnen lockt zunächst nur leckere Teigware belegt mit Tomatensoße und Salami. Zur Verkostung ist sie nicht gedacht, sie ist Teil der Installation „Pizza Sexual“ von Emilie Gervais. Das Smartphone darauf zeigt Grafiken von Frauen, die sich in Pizza räkeln. Miauen und Schnurren mischt sich hinzu. Es schallt durch die Lautsprecher der Mehrkanal-Video-Skulptur von Faith Holland, die Katzen-Videos loopt. Auch im Video „Puparrazzi“ von Petra Cortright gibt es niedliche Tierchen zu sehen: einen zu Lady Gaga singenden Hund und ein weinendes Kätzchen. LOL-Cats, knapp bekleidete Manga-Mädchen, verrückte Videos, Selfies und 3D-modellierte Bilder. Es sind Sinnbilder für die Auswirkungen des Virtuellen auf Alltägliches. Basierend auf der Idee eines virtuellen „Museums für digitale Kunst“, betreibt Wolf Lieser seit 2003 in Berlin die Galerie DAM.
Tina Sauerländer, 34, hat künstlerische Arbeiten, die das Netz einfangen, für „Porn to Pizza“ zusammengestellt. Sauerländer, die ebenfalls als Autorin tätig ist, hat in München Kunstgeschichte studiert und bereits für das Haus der Kunst gearbeitet. Während des Gallery Weekends wurde die von ihr kuratierte Gruppenausstellung „Saloon“ bei Sexauer gezeigt.
Woher kam dir die Idee für die Ausstellung „Porn to Pizza“ und nach welchen Kriterien hast du die Künstler ausgewählt?
Unser häusliches und privates Leben hat sich durch das Internet in kurzer Zeit stark verändert. In sozialen Netzwerken posten wir Selfies, Katzenvideos, Essen oder selbst gedrehte Sexvideos. Dabei schaffen es nur die besten, schönsten und heißesten Bilder ins Netz, das so zu einer hyperrealistischen Version der Wirklichkeit wird. Künstler reflektieren diese Entwicklungen und schaffen neue, innovative Ausdrucksformen. Die Ausstellung „Porn to Pizza —Domestic Clichés“ versammelt eine große Bandbreite von Werken verschiedener Medien von insgesamt 21 internationalen Künstlern, die sowohl digital, als auch skulptural, installativ und interaktiv arbeiten.
Im Internet lebt jeder in seiner Blase. Warum wolltest du auch die Verknüpfung zu pornografischen Inhalten im Galeriekontext herstellen?
Im Internet lebt man nicht in einer Blase, sondern in Netzwerkstrukturen, die man sich selbst nach seinen eigenen Interessen und Ansichten unabhängig vom Ort aussucht. Wir leben nicht mehr in einer hierarchisch-lokalen sondern in einer horizontal-dezentral strukturierten Gesellschaft. Die Vermarktung der eigenen Persönlichkeit auf sozialen Plattformen ist Teil davon. Neben Facebook, Twitter & Co. ist Pornografie ein relevanter Inhalt der virtuellen Welt geworden. Vor wenigen Jahren mussten wir noch heimlich Pornofilme in der Videothek ausleihen, jetzt sind sie stets verfügbar und gesellschaftsfähig – und verändern unseren Umgang mit Sexualität. In die Ausstellung binde ich nicht notwendigerweise pornografische Inhalte ein, aber Kunstwerke, die das Thema hinterfragen und kritisch aufbrechen, besonders in punkto eines männlich-heterosexuellen Rollenverständnisses, das die meisten Pornos im Internet immer noch propagieren.
Isoliert im weißen Raum wirken viele der Ausstellungsstücke sehr künstlich. Worin liegt für dich der Reiz, sie an einem physischen Ort zu zeigen?
Im realen Raum treten die Arbeiten, die dort körperlich und nicht nur visuell erlebbar sind, in Dialog miteinander. Die Werke selbst beschäftigen sich ebenfalls mit Dingen, die stark mit physischem Erleben verbunden sind – Essen, Kuscheln, Sex haben – und die nun Eingang in die virtuelle Welt des Internet finden, die wir wiederum nur als zweidimensionale Fläche visuell wahrnehmen können. Zudem beschäftigen sich die Videos, Bilder, Skulpturen oder (interaktiven) Installationen mit der philosophischen Diskussion um Wahrnehmung im Sinne des Neuen Realismus und Materialismus. Dabei geht es um die Veränderung unserer Vorstellung von Wirklichkeit im digitalen Zeitalter und um die Auswirkungen digitaler Bilder und Ästhetik auf die künstlerische Produktion und Verwendung von Materialien.
„Porn to Pizza“ ist noch bis 24. Oktober 2015 in der Galerie Dam, Neue Jakobstraße 6 Dienstag bis Freitag von 12–18 Uhr und Samstag von 12–16 Uhr zu sehen. Am 18. September 2015 um 16 Uhr findet eine Kuratorenführung mit Tina Sauerländer statt.