Solidaritätsprofilbild: Anteilnahme oder Mitläufertum?

Wer bin ich im Netz und wer will ich sein? Social-Media-Profile sind hungrig! Sie wollen gepflegt und aktualisiert werden. Mit der Kolumne „Profilneurose“ reflektieren wir Verhalten in den sozialen Medien zwischen politischem Streitthema und kreativem Impulsgeber.

Facebookaufforderung

Du hast also jetzt auch Dein Profilbild geändert: zu einer Frankreichfahne oder einem Peacesymbol mit Eiffelturm. Was veranlasst Dich dazu? Was denkst Du verändert sich dadurch? Das möchte ich jeden fragen, der sich angesprochen fühlt, der im Zuge des Schneeballeffekts jetzt auch noch Facebooks Vorschlag angenommen hat sein Profilbild zu ändern, um Frankreich zu unterstützen.

Danke Facebook für diese Möglichkeit.

Facebook Profile ChangedEine digitale Bilddatei ist leicht und schnell hochgeladen, es fühlt sich gut und richtig an – etwas getan zu haben. Nur: Dieses Gefühl ist trügerisch. Es ist, wie sich von einem Freund mit den Worten zu verabschieden: „Ok, ich geh dann Mal, ich muss noch was machen,“ und sich dann an den Computer zu setzen und – Mal ehrlich – doch nur die Zeit im Internet zu versurfen.

Frag Dich – was tust Du, nach dem Du Dein Profilbild geändert hast? Denkst Du weiter? Lässt Du Dich Einwickeln von Vermutungen und Spekulationen u. a. von bestimmten Politikern und Medien? Hast Du Angst? Oder setzt Du Dich vor Deine nächste Netflix-Serienfolge?

Natürlich: Es geht darum Anteilnahme zu zeigen, mit den Angehörigen der Opfer in Paris, die durchgemacht haben, was niemand durchmachen will. Digitale Anteilnahme via Solidaritätsprofilbild ist an sich ein angemessener Zug, denn Mitgefühl zu empfinden, erklärt immerhin, dass einem Mitmenschen nicht absolut egal geworden sind. Aber: Ich frage mich, warum sich so viele Menschen sofort solidarisch zeigen, wenn es andere Menschen trifft, die in unserer heilen, westlichen Welt leben, aber es ihnen dagegen schwerfällt, automatisch das gleiche Gefühl für Millionen von Flüchtlingen zu empfinden.

Ja sicher, es geht mir wahrscheinlich näher, wie es in den Straßen von Paris sein kann, wenn ich dort selbst schon das gute Leben genossen habe und weil ich mir nicht ausdenken mag, in einer Bar, beim Tanzen im Club, beim Flanieren entlang der Konsummeilen willkürlich hingerichtet zu werden. Doch: Nur weil ich vielleicht noch nie in Beirut war – dort sind einen Tag vor den Terrorattacken in Paris, durch einen Anschlag mehr als 200 Menschen umgekommen – und dort eine gute Zeit hatte, wie vielleicht in Paris, kann ich mir darum herausnehmen, den Menschen, die dort genau das erleben, was jetzt auch bei unseren Nachbarn passiert ist, weniger Solidarität zu teil werden zu lassen? Solidarisch mit denen zu sein, die in Sicherheit und Wohlstand leben, so wie man selbst, ist leicht. Aber um die Emphatie-Ecke zu denken – ist das schon zu anstrengend, zu viel verlangt?

Und was überhaupt ist Solidarität, die neben der Anteilnahme mit einem Solidaritätsprofilbild ausgedrückt werden soll? Es heißt, sich verbunden fühlen, die Haltung, Ideen, Aktivitäten und Ziele einer anderen Person, eines Gegenübers, einer Gesellschaft zu unterstützten. Sich mit Frankreich zu solidarisieren – insbesondere mit der Landesflagge, sagt also auch, dass man sich nicht nur mit den Betroffenen der Terrornacht in Paris solidarisiert, sondern auch mit jeglicher Politik, die Frankreich als Nation jetzt einschlagen wird – und dieser Kurs heißt verschärftes Bombardement in Syrien auf den IS (und ob es hier dann die Richtigen trifft?) und noch mehr Sicherheit, Kontrolle und Grenzen.

Wie solidarisch und menschlich zeigt sich die Politik gesammelter Länder der EU, insbesondere auch die Frankreichs? Alles andere als vorbildhaft. Wiki zu Schengener Abkommen? Jetzt nicht mehr. Das Leid der Anderen? Das soll hinter Zäunen stattfinden – nur, dass ein Zaun, das Verbarrikadieren hinter Grenzen in einer globalisierten, digitalisierten und transparenten Welt allerhöchstens als Symbol für Feindseligkeit bestand hat. Wer angreifen will, dem machen Zäune nichts aus. Und Feindbilder wie „den Islam“ oder den als Flüchtling getarnten Terroristen zu unterstützen, mit groben Vermutungen über Ereignisse in Paris, in einer Zeit, in der es kaum noch möglich ist, nachzuvollziehen, wer nun wirklich für welche Kriege verantwortlich ist. Das sollte gewaltige Shitstorms auslösen, aber stattdessen ziehen sich viele ängstlichen Naturen lieber in einfaches Schwarz-Weiß Denken – oder ein Solidaritätsprofilbild für die ohnehin schon Privilegierten zurück, die außer Frage, nicht weniger leiden, wenn es um Terror geht, als Nicht-Privilegierte, Nicht-EU-Pass-Besitzer.

Ein Post der über Freunde in meiner Timeline zu dem Thema auftaucht ist von Andreas Linke, der im Moment auf Weltreise ist. Er schreibt:

„(…) Jetzt frage ich mich aber, ob Facebook mir auch zeigt, wenn einer nicht in Sicherheit ist? Ich sehe schon die Facebookspiele: Welcher Terroranschlagsüberlebender bist du? Welche Stadt ist Safe? Der Flüchtlingsradar zum Runterladen usw. Ich würd ja mein Profilbild ändern in die Farben von Benin, Bangladesh oder der Steiermark aber mal ernsthaft: Wo war euere Solidarität letzte Woche, als Flüchtlinge vor unseren Grenzen verhungern und wo ist euere Solidarität nächste Woche, wenn sie hinter unseren Grenzen erfrieren. Wir leben in einem Land, das mit seiner Politik den Terror schürt und finanziert. Ändert nicht euer Profilbild, sondern das Kreuz auf eurem Wahlzettel.“

Oder fahrt zu einem Transitlager, oder auch nur nach Passau. Lernt die kennen, die vor Terror geflüchtet sind – es sind so viele junge Familien mit Kindern – kaum älter als Mitte zwanzig. Nähe schafft Anteilnahme und letztendlich sind die, die denken, dass Terror die Lösung ist, die absolute Minderheit – denn Mal ehrlich: Eigentlich wollen wir doch alle einfach nur in Ruhe Leben – und leben lassen.

_______________

Zwei Beiträge, die ich unbedingt zum Thema empfehle:

Der Krieg als permanenter Zustand
Zukunft von Europa: Subventionen ja, Solidarität nein?

There are 3 comments

  1. Michael Russ

    Ich denke dass die Menschen welche die Tricolore Ihrem Profilbild überstülpen eine Affinität zu Frankreich,
    zu Paris, zum Code Napoleon (Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit), und zueinander darstellen.

Was denkst Du?