Die erste Medienkunst Biennale in China

In Peking stellen Künstler in der ersten „Beijing Media Art Biennale“ unter dem Motto Ethik der Technologien aus. Mit Blut, Gliedmaßen, Gehirnen – und einer für China untypischen Technologiekritik. 

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Caroline von Eichhorn vor „Delusional Mandala“ von Lu Yang

Erst wird der Kopf der Shanghaier Künstlerin Lu Yang eingescannt. Nun werden auch Gehirn und Organe ausgemessen. Schließlich rendert das Bildprogramm die Daten zum geschlechtslosen Avatar. Das Wesen beginnt zu tanzen und fährt anschließend in einem mit buddhistischen Symbolen dekorierten Lastwagen durch eine karge Nebellandschaft. Nadeln bohren sich in den Kopf der Person. Die Religion scheint der einzige Anker zu bleiben, der sie zum Lachen bringen kann. Die Künstlerin Lu Yang mischt Manga- und Animéstil mit Innenansichten eines Gehirns und aufgeschnittenen Körpern. Ein superseltsames, hypnotisierendes Video, wie eine hybride neuro-religiöse Lehrstunde auf Pillen.

LuYang Delusional Mandala by LuYang from LuYang on Vimeo.

Der Film „Delusional Mandala“ wird derzeit auf der ersten chinesischen Medienkunst Biennale, der „Bejing Media Art Biennale“, unter dem Motto „Ethik der Technologien“ gezeigt. Das Thema bietet sich geradezu an in dem Land, das schneller als andere neue Technologien entwickelt und erprobt. Mit über 600 Millionen nutzen mehr Menschen das Internet als in jedem anderen Land der Welt. Auch Senioren wischen über die Smartphones, als wären sie schon immer da.

Die Regierung durchsucht das Netz nach politisch missliebigen Online-Kommentaren

Für ethische Bedenken interessiert sich der chinesische Staat dabei kaum. Im Gegenteil: Er nutzt das Internet, um seine Bürger zu kontrollieren. China ist mit seiner „Great Firewall“ Weltmeister bei der Internetzensur. Das heißt: Die Regierung hat Zugang zu allen Daten der chinesischen sozialen Netzwerke wie WeChat, Weibo und Youku. Sie durchsucht das Netz nach politisch missliebigen Online-Kommentaren. Darüber hinaus baut China die weltweit größte Klonfabrik und umweltbelastende Megainfrastruktur-Projekte wie den Drei-Schluchten-Staudamm, um nur ein paar fragwürdige Technologieeinsätze zu nennen.

In heutigen Zeiten setzt es sich fort, dass Technologie eine kritische Grenze der Ethik durchbricht

Jetzt aber in Form von Medienkunst beschäftigen sich Chinesen mit der ethischen Seite der Technologie. „Es erschien uns als das dringendste Thema“, sagt Kuratorin Lulu Li. „In heutigen Zeiten setzt es sich fort, dass Technologien eine kritische Grenze der Ethik durchbricht,“ schreiben die Kuratoren im Eröffnungstext. Etwa bei den Aspekten Datenschutz, Cyborgs, Gentechnik und virtualisierte Realität. „Leider sind unsere aktuellen Interpretationen oft unbrauchbar bei diesen Themen.“

Keiichi Matsuda testet, wie viele Medien und Technologie ein Gang durch die Stadt aushalten kann.

Viele Werke wie „Delusional Mandala“ verstören, weil sie eine dunkle Zukunft mit den Mitteln der heutigen Wissenschaft zeichnen. So etwa auch der Film Hyper-Reality von dem Londoner Designer Keiichi Matsuda. Der Film ist wie Facebook, Instagram und Snapchat gleichzeitig, dazu Gamekonsole und Stress des physischen Alltags. Ein Jahrmarkt ist im Vergleich dazu Chillout-Modus. Die Szenen aus dem Kurzfilm illustrieren, wie unser Leben mit Virtual und Augmented Reality, mit Wearables und dem Internet der Dinge in Zukunft aussehen könnte. Der Künstler testet, wie viele Medien und Technologie ein Gang durch die Stadt aushalten kann. Und es ist die jetzt schon gelebte Reizüberflutung.

Medienkunst eignet sich, um das Thema „Ethik der Technologie“ aufzugreifen, weil Chinesen dort vergleichsweise viel Freiheit genießen. In anderen Kunstgattungen wie Film oder Musik will die Regierung wissen, was veröffentlicht wird. Songtexte und Drehbücher müssen vor der Realisierung von der Zensurbehörde freigegeben werden. Vor allem westliche Einflüsse wie etwa Metal oder Hiphop passen nicht ins Bild des politisch forcierten „Chinesischen Traums“. Kunstwerke hingegen dürfen ausscheren. So sind auf der Beijing Media Art Biennale nackte Körper, abgeschnittene Gliedmaßen und Blut zu sehen, aber auch Geister und Aliens, die laut Zensurvorgaben den Aberglauben fördern.

Ein Überblick über technisch-ethische Debatten der letzten 100 Jahre

img_0433Außerdem findet man auch einen Schnelldurchlauf der Ethikgeschichte der Technik in der Ausstellung. In einem deckenhohen Mindmap an einer langen Wand im Rundbau des World Art Museum im Pekinger Millennium Monument sammeln sich Zitate, Reden, Videos und Texte rund um die fünf großen Themenkomplexe Big Data, Künstliche Intelligenz, Mixed Realities, Genetik und Naturwissenschaften. Wer daran vorbeigeht, fühlt sich wie ein Student in der Bibliothek: Ausgedruckte Wikipedia-Einträge über Kybernetik neben einem Ted Talk von James Watson, abgespielt auf dem Flatscreen, ein Zitat von Stephen Hawking und viele kleine Post-its – Verbindungen werden durch Schnüre dargestellt. Diese Wand, die hier auch digital zu finden ist, liefert Unwissenden wie Kennern einen lehrreichen Überblick über technisch-ethische Debatten der letzten 100 Jahre.

Die Organisatoren, das ist typisch chinesisch, haben ihre Veranstaltung Beijing Media Art Biennale in nur vier Monaten hochgezogen

img_0421Nur: Es finden sich keine chinesischen Philosophen in dem Netz. „Die chinesischen Philosophen scheinen bei diesen Themen noch keine Relevanz zu haben “, erklärt Kuratorin Lulu Li, und ergänzt, dass sie gerne jemanden dabei gehabt hätten, aber in Kürze der Zeit niemanden gefunden hätten. Denn die Organisatoren, das ist typisch chinesisch, haben ihre Veranstaltung in nur vier Monaten hochgezogen. Dafür halfen umso mehr Studenten der Central Academy of Fine Arts Peking. „Die haben bis zur letzten Minute Tag und Nacht gearbeitet“, sagt Medienkünstler Petermfriess. „Die Atmosphäre war bis zum letzten Moment hektisch“, sagt er. Er ist einer von etwa 40 internationalen eingeladenen Künstlern.

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Medienkünstler Petermfriess.

Friess stellt eine Gehirnstrominstallation namens Wonderworld aus. Mit einem EEG-Gehirnsensor können Besucher eine audiovisuelle Präsentation, in der es um Themen wie Leidenschaft, Gewalt, Verschmutzung geht, steuern. Gleichzeitig werden sie mit ihrem eigenen Stresslevel konfrontiert. Die Leute reagieren unterschiedlich. „Es gab auch welche, die sich den Brainsensor weggerissen haben“, sagt Friess.

Anspielungen auf Glaubenssymbole und das ambivalente Mensch-Tier-Verhältnis

Neben vielen Videos und Virtual Reality Brillen findet man im CAFA Museum auch eine Sammlung an 30 Miniatur-Installationen. Man muss sich herunterbeugen, um sie gut zu erkennen. In Glaskästen stehen Mikro-Beamer, die Mini-Projektionen an die Wände werfen. Da ist zum Beispiel ein Animations-Video eines abstrahierten Menschen, der seinen Hund streichelt. Plötzlich schneidet er ihm mit einem Messer den Hals auf und trinkt das Blut. Vielleicht eine Auseinandersetzung mit unserem ambivalenten Verhältnis zu Tieren, die wir einerseits lieben und andererseits essen.

Je länger man die Videos ansieht, desto irrer machen sie einen

In einer anderen Projektion liegt ein Bündel Geldscheine neben einer Langhantel und einem Kreuz, welches Muskeln bekommen hat – eine Anspielung auf neue und alte Glaubenssymbole. Des weiteren streichelt ein Roboter seinen Riesenpenis. Dazwischen: Chinesische Vasen, Buddha-Statuen, weiße Kissen. Es ist die Arbeit „Die Gegenwart sucht ihren Mund in der Spiegelung der Suppe“ des Schweizer Yves Netzhammer. Der Künstler setzt Video und Skulptur in Kontext zueinander. Als Miniaturausgabe wirken die Botschaften der Videos auf den ersten Blick dezent und unauffällig. Doch je länger man sie sich ansieht, desto irrer machen sie einen.

 

Die Ausstellung – sie beinhaltet noch viel mehr ausgezeichnete Arbeiten – lässt einen aufgerüttelt aber ebenso inspiriert zurück. Einen solch dystopischen Blick auf Technik kennt man aus China kaum. Gerade deshalb tut er dem Land gut. Den Werken ist gemein, dass sie den Körper des Menschen in ihr Zentrum setzen – und seine Verletzlichkeit: abgeschnittene, blutende Gliedmaßen, fremdgesteuerte Gehirne, Überforderung und Reizüberflutung. Der Körper scheint wie überwältigt vom schnellen Fortschritt der Technologie. Wenn man eine Quintessenz aus der Ausstellung ziehen möchte, dann könnte man herauslesen, dass es den Künstlern um den Schutz dieser Körper geht.

Beijing Media Art Biennale könnte sich als internationaler Standort der Medienkunst etablieren

Die Ausstellungsräume sind etwas dunkel, die Webseite noch rudimentär. Auf den ersten Blick fehlt einem der chinesische Blick. Doch dann merkt man, dass es ihn gar nicht braucht, weil das Thema global ist. Kurzum: Die Beijing Media Art Biennale liefert eine großartige Auswahl an Arbeiten, die mit so unterschiedlichen Ansätzen viele Denkanstöße bieten. Sie zeigt nicht nur einfach Kunst, sondern bettet diese zugleich in den philosophischen und historischen Kontext ein. Damit hat sie großes Potential, sich nicht nur als internationaler Standort der Medienkunst zu etablieren, sondern ebenfalls deren politische und gesellschaftliche Bedeutung zu verdeutlichen.

Die Beijing Media Art Biennale im CAFA Museum geht noch bis zum 30. Oktober 2016. Sie wird von der Central Academy of Fine Arts Peking in Kooperation mit der HfG Offenbach organisiert. Die Beijing Media Art Biennale soll auch 2017 oder 2018 wieder stattfinden.

Fotos: Caroline von Eichhorn

_mg_0170 _mg_0165Beijing Media Art Biennale © Caroline von Eichhorn

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