Berlin Art Week 2015

Als ich am Mittwoch in Berlin ankomme, habe ich noch nicht wirklich Zeit mir schon Kunst anzusehen bzw. die Kunstszene aufzumischen. Stattdessen sitzen Natalie und ich vorwiegend am Schreibtisch und arbeiten Texte, Artworks und alles Mögliche ab, um die nächsten Tage einen freien Kopf für die Berlin Art Week zu haben. Den einzigen festen Termin, den wir für heute wahrnehmen müssen, ist das Treffen mit Rachel von „Das Gift“, der Kneipe in der unsere Lesung „Gebilde höchster Unpersönlichkeit“ stattfinden wird. Zu dem Termin kommt Rachel nicht. Na gut. Wir beschließen noch zu Monki zu gehen. Oder auch nicht, denn ich merke, während wir die Treppen am Hermannsplatz hinunter laufen, dass ich meine 5-Tages-Karte zu Hause vergessen habe. (Warum auch immer ich eine 5-Tages-Karte gekauft habe! Macht das nicht, es lohnt sich nicht.) Dann wollen wir Natalies Analogfotos abholen, aber ich habe ja kein Fahrrad. Also machen wir ihren Fahrradkorb ab, ich setze mich auf den Gepäckträger und wir fahren los – direkt in einen Wolkenbruch. Ich schreie – triefend vom Regen – noch nach vorne, dass ich jetzt gerne ein Selfie machen würde, aber es ist mir dann doch zu gefährlich.

Line kommt den Tag darauf in Berlin an und wir treffen uns bei der Kunstmesse Positions zur Pressekonferenz und nehmen am Presserundgang teil.

Caroline, Natalie und Veronika auf der Positions, Galerie Judith Andreae

Nicht nur wir bleiben dort am Stand der Galerie Judith Andreae an einem Werk von Regina Schumann stehen – verrät Instagram im nachhinein. Es ist ein Vorzeige-Social-Media-Kunstwerk – schließlich setzt es Kunstbetrachter in eine außergewöhnliche Szene von floureszierender und spiegelnder Oberfläche.

Sich gegenseitig beim Fotografieren fotografieren – das darf man schon Mal, wenn man als Presse von der Selbstdarstellungssucht akkreditiert ist.
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Mein persönliches Highlight der Positions ist das Treffen mit dem Weimarer Künstler Benedikt Braun, gezeigt von der Berliner Galerie Eigenheim, dessen Arbeit genau meinen Humor trifft und mich das Durchblättern seiner Kataloge richtig gut gelaunt stimmt. Zu oft habe ich das Gefühl, das Lachen in der Galerienszene verboten ist, dass Elite damit definiert wird, möglichst oft die Ellenbogen auszufahren oder es ungeschriebenes Gesetz ist ephemer durch Räume zu schweben und sich beweihräuchern zu lassen. Es geht aber eben auch anders.

Benedikt Braun auf der Positions

Zwischen der Positions und dem Art Berlin Contemporary Opening haben wir noch ein Fotoshooting mit Klara von Teenage Tigerkill, das uns für zwei Stunden in eine esoterische Zwischenwelt entführt. Auf dem Weg vom Shooting zur abc sind Line und ich so anregend in ein Gespräch vertieft, dass wir erst merken, dass die U-Bahn in der wir sitzen abgestellt wird, als wir schon im Tunnel feststecken – aber zum Glück nur für 10 Minuten!

Auf der abc freue ich mich die eingeeisten Pflanzen der Arbeit „Tropisme“ von Julian Charrière zu entdecken, da ich sie bisher nur von einem Porträt des Künstlers in der Monopol kenne und im gedruckten Heft schon für spannend befunden hatte.

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Überpräsent bzw. auf seinem künstlerischen Zenit empfinde ich derzeit Ryan Trecartin, um den man wohl auf keiner größeren Messe mehr herumkommt. Auf der abc zeigte Sprüth Magers gerahmte, hochauflösende Stills seiner 3D-Videoarbeiten sowie eine Skulptur in Zusammenarbeit mit Lizzie Fitch.

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Auf dem Weg nach draußen über die Videokunst-Halle treffen wir den Münchner Grafik Designer Thomas Mayfried, mit dem wir uns anhand von Fotos auf unseren iPhones über laufende Ausstellungen in Berlin austauschen und wir von ihm erfahren, dass er derzeit im Rahmen von Stadt/Bild in der Berlinischen Galerie bei „The Dialogic City: Berlin wird Berlin“ ausstellt.

IPhone-Session mit Thomas Mayfried

Nach der abc mache ich mit einer Freundin einen Abstecher auf die Lesung von Adele Waldmann aus ihrem Bestsellerroman „Das Liebesleben des Nathaniel P.“ – denn zeitgleich zur Berlin Art Week ist auch das internationale Literaturfest und da möchte ich natürlich auch vorbeigeschaut haben.

Aber mit diesem einen vollen Tag ist es natürlich noch lange nicht vorbei! Freitag nehmen uns die Vorbereitungen für unsere Lesung ein – mehr dazu im Laufe der Woche. Am Samstag nehmen wir an einer mehrstündigen Radtour teil – organisiert vom Kunsthaus Dahlem und geführt von Fotograf und Fahrradaktivist Stefan Draschan um anschließend noch zu dritt – Natalie, Lene und ich – ein paar Stunden durch die Berliner Galerienlandschaft zu touren: Wir besuchen unter anderen die Future Gallery und den gegenüberliegenden Projektraum, Between Bridges, in der wir mit Anders Clausens Federn spielen.

Anders Clausen in der Galerie Between Bridges

Dann fahren wir zur Kunsthalle der Deutschen Bank zu Xenopolis. Vor dem Gebäude findet der „Marsch für das Leben“ statt, eine Demonstration gegen Abtreibung und ich muss mich fragen, in welchem Jahrhundert wir leben und dass sich mehr als 5000 Leute dafür einsetzen fremdbestimmt zu werden. Auch bei Xenopolis kann ich Michel Bonvins Fotografien nur hinterfragen: Wie kommt es, dass man als Künstler Elend ästhetisiert und unter anderem auch damit Geld verdient? Aber vielleicht kann mir der Eine oder Andere das vermitteln oder diese Position erklären.

Fotos: Natalie Mayroth

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